»Ich werde diese Diskussion nicht fortsetzen. Ich behalte meine Erkenntnis für mich.« Hochmütig kehrte die Katze dem Hund den Rücken und spazierte auf der Küchenanrichte entlang. Vor der Plätzchendose aus bemalter Keramik in Form eines lachenden Schweins blieb sie stehen.
»Sei nicht so empfindlich.« Tucker lief auf dem Fußboden mit.
»Ich sehe nicht ein, warum ich eine Diskussion mit einem Tier fortsetzen soll, das keine Achtung vor meinen Fähigkeiten hat.« Sie war ein bißchen verschnupft, weil sie die Stallmaus nicht zur Strecke gebracht hatte.
»Tut mir leid. Du bist erstaunlich fix. Ich bin nicht ganz bei mir wegen dem Eis.«
Eifrig teilte die Katze ihre Gedanken mit:»Also, ich habe darüber nachgedacht, wie klein Jockeys sind. Wie Beute.«
25
Vertrackter November. Das Quecksilber stieg auf dreizehn Grad. Das Eis schmolz. Die vom Regen aufgeweichte Erde nahm langsam das Wasser auf. Ein einzelner kleiner verwirrter weißer Schmetterling wurde gesichtet, der bei Mirandas Hintertür herumflatterte.
Harry und Mrs. Hogendobber sortierten den üblichen Montagmorgenschwall von Postsendungen. Pewter kam zu Besuch, hatte aber bald genug von Mrs. Murphys und Tuckers Schilderung ihrer dramatischen Erlebnisse auf dem Eis. Sie schlief auf dem Sims ein, das die oberen Postfächer von den unteren trennte. Da sie auf der Seite lag, hing ein Stück ihres grauen Wabbelbauchs über.
»Sie kommen doch, oder?« fragte Mrs. Hogendobber. Sie meinte das Liederfestival ihrer Kirche. »Am neunzehnten November. Notieren Sie sich das Datum.«
»Mach ich.«
Mrs. Murphy steckte die Nase in Mrs. H.'s Postsack. »Mrs. Murphy, geh da raus.«
»Sei nicht so pingelig.«
Mrs. Hogendobber griff mit klimpernden Armreifen in den Postsack und bekam den gestreiften Katzenschwanz zu fassen.
»He, ich zieh dich auch nicht am Schwanz!« Die Katze drehte sich blitzschnell herum.
»Ich habe dir gesagt, du sollst da rausgehen. Ich kann übrigens Katzen nicht leiden, Murphy. Bei dir mache ich eine Ausnahme.« Mrs. Hogendobber sprach die halbe Wahrheit. Als Harry die Nachfolge von Mr. Hogendobber antrat und ihre Tiere zur Arbeit mitbrachte, hatte Mrs. Hogendobber ihr Vorhaltungen gemacht. In ihrer Trauerzeit hatte sie sich im Postamt eingefunden, ohne recht zu wissen, wie sie hingelangt war. Sie hatte George in den fast vier Jahrzehnten, die er Postvorsteher gewesen war, geholfen. Als unbezahlte Assistentin, denn das Postamt von Crozet, klein und weitab vom Schuß, konnte keine weitere Arbeitskraft entlohnen. Dabei hatten die Postsendungen im Laufe der Jahre beträchtlich an Umfang zugenommen. Als Harry die Stellung als Posthalterin - die Bezeichnung war ihr lieber als Postvorsteherin - antrat, war es ihr dank ihrer Jugend möglich, etwas härter zu arbeiten, als George es gegen Ende seiner Laufbahn vermocht hatte, trotzdem konnte sie das Arbeitspensum nicht bewältigen. Gesuche um eine Hilfskraft trafen bei der Regierung auf taube Ohren. Kein Wunder. Von den 429.025 Postangestellten arbeiteten weniger als zehn Prozent in ländlichen Gegenden. Sie wurden gern ignoriert, was auch sein Gutes hatte, denn Arbeitskräfte auf dem Land genossen viel mehr Freiheit als städtische Postangestellte, die in eine geregelte Vierzigstundenwoche gezwängt und von machthungrigen Vorgesetzten schikaniert wurden.
Mrs. Hogendobber kam zunächst ein-, zweimal die Woche, um auszuhelfen. Anfangs hatte Harry ihre Gesellschaft begrüßt, sie jedoch gebeten, nicht zu arbeiten, da sie ihr nichts bezahlen könne. Doch Miranda kannte die Arbeitsabläufe, die Leute im Hauptpostamt in Charlottesville am Seminole Trail, sogar die Leute in Washington, ganz zu schweigen von sämtlichen Einwohnern Crozets. Sie erwies sich als unentbehrlich. Da George, besonnen im Umgang mit Geld, ihr genug hinterlassen hatte, um bequem davon leben zu können, und sie mit ihren Backwaren noch dazuverdiente, war sie auf das Geld nicht angewiesen. Mehr als alles andere war sie darauf angewiesen, sich nützlich zu machen.
Im Laufe der Zeit waren sie und Harry sich nahegekommen. Und im Laufe der Zeit hatte Mrs. Hogendobber ungeachtet ihrer Vorbehalte die zwei pelzigen Geschöpfe an Harrys Seite lieben gelernt. Sie hatte sogar die dicke graue Katze lieben gelernt, die momentan auf dem Sims völlig weggetreten vor sich hinpofte. Nicht, daß dies irgend jemanden etwas anging.
Nachdem Murphy es auf die Spitze getrieben hatte, verließ sie rückwärts den Postsack, tänzelte seitwärts zum Schalter und sprang hinauf. Sie plumpste auf die Seite und wälzte sich herum, wobei sie viel Bauch sehen ließ.
»Murphy, du machst dich heute morgen ganz schön wichtig.« Harry tätschelte ihren Bauch.
»Mir ist langweilig. Pewter ist weggesackt. Tucker schnarcht unterm Tisch. Dabei ist heute so ein schöner Tag.«
Harry küßte sie auf die Wange. Ein leises Klopfen am Hintereingang machte der Küsserei ein Ende. Mrs. Murphy konnte Menschenküsse ohnehin nur in Grenzen ertragen.
Miranda öffnete. »Adelia, kommen Sie herein.«
Addie, noch in ihrer Reithose, trat ein.
»Alle deine Schätzchen aufgewärmt?« fragte Harry. Tucker hob den Kopf und ließ ihn wieder sinken.
»Oh - ja.« Addie schnupperte, als ihr der Vanilleduft von warmen süßen Stückchen mit Zimtfüllung und Vanilleglasur in die Nase stieg.
»Ihre Post liegt auf dem Tisch«, sagte Miranda, während sie zwei Stapel zu den großen unteren Schließfächern trug, die von den kleinen Geschäften der Stadt benutzt wurden.
»Danke.«
»Bereit für den Colonial Cup?« Harry sprach von dem berühmten Hindernisrennen in Camden, South Carolina, das ebenfalls von Marion duPont Scott ins Leben gerufen worden war.
»Ja, Ransom Mine macht sich gut. Du weißt ja, er ist in Montpelier Zweiter geworden. Royal Danzig, ich weiß nicht, er war die letzten Tage nicht in Form, und Bazooka - ich glaube, ich brauche einen Pilotenschein, um Bazooka zu reiten. Mickey Townsend hat zwei Pferde rübergeschickt, gleich nachdem Nigel ermordet wurde.« Sie hielt einen Moment inne. »Er sagt, er möchte, daß ich mit ihnen arbeite. Sie sind wirklich großartig in Form. Mickey hat mich immer unterstützt. Chark paßt das nicht in den Kram, aber er weiß, daß es extra Geld bringt, deshalb hat er den Mund gehalten.«
»Was heißt denn das, ein Pferd>aufwärmen<?« Miranda hielt inne. Sie merkte nicht, daß Pewter sich im Schlaf herumwälzte.
»Vorsicht!« rief Mrs. Murphy.
Zu spät. Pewter purzelte in eines der großen Geschäftsschließfächer.
»Pewter.« Mrs. Hogendobber beugte sich über die verdatterte Katze. »Hast du dir weh getan?« Sie konnte nicht anders, sie brach in Lachen aus.
»Nein.« Pewter rappelte sich hoch und marschierte schnurstracks aus dem Postfach zum Tisch, wo sie mit den Krallen einen Batzen Gebäck herausriß, bevor Harry sie daran hindern konnte.
»Ich glaube allmählich, ihr habt mit diesen Kreaturen mehr Arbeit als ich mit den Pferden«, bemerkte Addie. »Aufwärmen - also, ich lockere ein Pferd ein wenig auf, trabe ein bißchen, dann mache ich einen Trainingsgalopp um die Bahn. Chark gibt mir die Distanz an. Man arbeitet mit einem Pferd, um die Kondition zu trainieren. Ich denke, so kann man es am ehesten beschreiben.« »Haben Sie nie Angst da oben?« fragte Miranda.
»Im Moment habe ich mehr Angst hier unten.«
»Warum? Hat jemand Sie bedroht?« Mrs. Hogendobber trat wieder zu Addie.
»Nein.« Addie setzte sich auf den Stuhl neben den Vanille stückchen. »Es ist alles ein Chaos. Arthur bombardiert mich täglich mit Vorträgen, was ich mit meinem Erbe zu machen habe, wenn ich einundzwanzig werde. Mim hält mir denselben Vortrag, aber mit viel mehr Stil. Mein Bruder zuckt die Achseln und sagt, wenn ich's verpulvere, bin ich selbst schuld und er zahlt mir keine Unterstützung, aber darum habe ich ihn auch nie gebeten. So ist es an guten Tagen. An schlechten Tagen schreit er mich an. Alle führen sich auf, als würde ich ausflippen.«