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«Weiter, weiter», drängte meine Großmutter. «Hör nicht auf!»

Dann erzählte ich ihr, wie alle anderen ihre Perücken und ihre Handschuhe und ihre Schuhe abzogen und auszogen und wie ich ein Gewoge von pickligen Glatzen vor mir gesehen hatte und dass die Finger der Weiber kleine Krallen hatten und ihre Füße keine Zehen.

Meine Großmutter war in ihrem Sessel nach vorne gerutscht, sodass sie ganz auf der Kante saß. Sie hatte die Hände gefaltet und auf den goldenen Knauf ihres Stockes gelegt, den sie zum Gehen brauchte, und sie schaute mich mit Augen an, die so hell und klar wie zwei Sterne funkelten.

Dann erzählte ich ihr, wie die Hoch- und Großmeister-Hexe die furchtbaren weiß glühenden Funken verschossen hatte und wie sie eine Hexe in ein Rauchwölkchen verwandelt hatte.

«Davon hab ich gehört!», rief meine Großmutter aufgeregt. «Aber ich habe es nie glauben wollen! Du bist das erste nichthexenhafte Wesen, das so etwas gesehen hat! Es ist das berühmte Strafgericht der Hoch- und Großmeister-Hexe! Es ist auch als das Grillvergnügen bekannt, und alle anderen Hexen werden vor Angst versteinert gewesen sein, dass es sie trifft! Ich habe gehört, dass es sich die Hoch- und Großmeister-Hexe zur Regel macht, bei jeder jährlichen Mitgliederversammlung mindestens eine zu verschmurgeln. Das macht sie natürlich, damit die anderen kuschen.»

Dann erzählte ich meiner Großmutter von dem Mäusemacher mit dem Verzögerungszauber, und als ich bei den Kindern von England war, die alle in Mäuse verwandelt werden sollten, fuhr sie buchstäblich in ihrem Sessel in die Höhe und rief: «Ich hab's doch gewusst! Ich habe gewusst, dass sie etwas Ungeheuerliches ausbrüten!»

«Das müssen wir verhindern», sagte ich.

Sie wandte sich um und starrte mich an. «Hexen kannst du nicht aufhalten», antwortete sie. «Denk doch nur an die Zauberkraft, die der Hoch- und Großmeister-Hexe allein in den Augen steckt! Mit diesen weiß glühenden Funken könnte sie jederzeit jeden von uns vernichten. Du hast es ja selber gesehen!»

«Trotzdem, Großmama, wir müssen sie daran hindern, alle Kinder in England in Mäuse zu verwandeln.»

«Du bist mit deiner Geschichte noch nicht fertig», sagte sie. «Erzähl mir von Bruno. Wie haben sie ihn erwischt?»

Ich berichtete also, wie Bruno Jenkins hereingekommen war und dass ich wahr und wahrhaftig mit meinen eigenen Augen verfolgt hätte, wie er zu einer Maus zusammengeschrumpft war. Meine Großmutter betrachtete Bruno, der immer noch in der Bananenschüssel saß und mit vollen Backen schmatzte.

«Hört er denn nie mit dem Essen auf?», erkundigte sie sich.

«Niemals», antwortete ich. «Kannst du mir etwas erklären?»

«Ich werde mein Bestes versuchen», sagte sie. Sie streckte die Hand aus, nahm mich vom Tisch und setzte mich auf ihren Schoß. Dann begann sie mir ganz sachte das weiche Fell auf meinem Rücken zu streicheln.

Das war ein schönes Gefühl. «Was willst du denn wissen, mein Schätzelchen?», fragte sie.

«Ich kann nicht begreifen», sagte ich, «wieso Bruno und ich immer noch genauso reden und denken können wie vorher.»

«Das ist doch ganz einfach», erwiderte meine Großmutter. «Sie haben dich ja nur schrumpfen lassen und dir vier Pfoten und ein Fell gegeben, mehr nicht. Offensichtlich sind sie nicht dazu imstande, dich ganz und gar in eine Maus zu verwandeln. Du bist immer noch du selbst, du steckst nur in einer anderen Hülle. Und du verfügst gottlob immer noch über einen Verstand und deine Gefühle und deine Stimme.»

«Dann bin ich also in Wirklichkeit gar keine gewöhnliche Maus», sagte ich. «Ich bin eine Art Mäusemensch.»

«Vollkommen richtig», erwiderte sie. «Du bist ein Mensch im Mausegewand. Du bist etwas ganz Besonderes.»

Wir saßen für ein paar Augenblicke in tiefem Schweigen da, während meine Großmutter fortfuhr, mich mit einem Finger sanft zu streicheln, während sie die andere Hand für ihre Zigarre brauchte. Das einzige Geräusch im Raum stammte von Bruno, der weiter zwischen den Bananen in der Schüssel herumfuhrwerkte. Ich war jedoch nicht müßig, während ich so friedlich auf ihrem Schoß saß. Meine Gedanken rasten wie verrückt. Mein Gehirnkasten sauste und dröhnte, wie er es noch nie in meinem ganzen Leben getan hatte.

«Großmama», sagte ich schließlich, «es kann sein, dass ich eine Idee habe.»

«Ja, mein Schätzelchen, was ist es denn?»

«Die Hoch- und Großmeister-Hexe hat ihnen gesagt, dass sie Zimmernummer 454 hat. Stimmt's?»

«Es stimmt», erwiderte sie.

«Na ja, mein Zimmer hat die Nummer 554. Meins, 554, ist im fünften Stock. Dann muss also ihrs, 454, im vierten Stock sein.»

«Das ist sicher richtig», antwortete meine Großmutter.

«Glaubst du dann nicht auch, dass dieses Zimmer 454 direkt unter Zimmer Nummer 554 liegen müsste?»

«Das ist überaus wahrscheinlich», erwiderte sie. «Diese modernen Hotels sind alle wie aus dem Baukasten angelegt. Aber was hätten wir davon, wenn das stimmte?»

«Würdest du mich bitte auf meinen Balkon tragen, damit ich runterschauen kann?», bat ich.

Alle Zimmer im Grandhotel hatten eigene kleine Balkönchen. Meine Großmutter trug mich also durch mein Schlafzimmer auf meinen Balkon hinaus. Und dann schauten wir beide sofort auf den Balkon unter uns.

«Also, wenn das wirklich ihr Zimmer ist», sagte ich, «dann geh ich jede Wette ein, dass ich irgendwie runterklettern und reinkommen könnte.»

«Nur damit sie dich abermals erwischen», sagte meine Großmutter. «Das werd ich nie und nimmer erlauben.»

«In diesem Augenblick», sagte ich, «sitzen alle Hexen unten auf der Sonnenterrasse und trinken Tee mit dem Hoteldirektor. Die Hoch- und Großmeister-Hexe kommt bestimmt nicht vor sechs oder kurz vor sechs zurück. Dann wollte sie nämlich die Zutaten für dieses widerwärtige Rezept den Alten geben, die nicht mehr auf die Bäume klettern können, um Grunzer-Eier zu suchen.»

«Und was denkst du dir, wenn du es wirklich schaffen solltest, in ihr Zimmer zu kommen?», fragte meine Großmutter. «Was soll dann passieren?»

«Dann würde ich versuchen, das Versteck zu finden, wo sie ihren Vorrat an Mäusemacher aufhebt, und wenn ich es schaffe, dann würde ich ein Fläschchen stehlen und hierher bringen.»

«Könntest du das schleppen?»

«Ich glaube schon. Es ist ein sehr kleines Fläschchen.»

«Vor dem Zeug graust mir», murmelte meine Großmutter. «Was würdest du damit anfangen, wenn du es schafftest, es hierher zu bringen?»

«Ein Fläschchen reicht für fünfhundert Leute», erklärte ich. «Damit könnte man allen Hexenweibern da unten mindestens eine doppelte Dosis verpassen. Wir könnten sie alle in Mäuse verwandeln.»

Meine Großmutter sprang mindestens fünf Zentimeter hoch in die Luft. Wir standen draußen auf meinem Balkon, und von da ging es eine Million Meter senkrecht in die Tiefe, und als sie ihren Luftsprung machte, fiel ich ihr fast aus der Hand und übers Geländer.

«Pass doch auf auf mich, Großmama!», keuchte ich.

«Was für eine Idee!», rief sie. «Das ist phantastisch. Das ist ungeheuerlich! Du bist ein Genie, mein Schätzelchen!»

«Das wär doch was, nicht wahr?», sagte ich. «Das wär doch wirklich was!»

«Auf einen Schlag wären wir alle Hexen in England los», rief sie. «Und die Hoch- und Großmeister-Hexe wär auch dabei!»

«Wir müssen das einfach versuchen», sagte ich.

«Hör mal», sagte sie und ließ mich vor lauter Aufregung fast wieder über das Geländer fallen. «Wenn wir das zustande brächten, dann würde es der größte Triumph in der ganzen Geschichte der Hexerei sein!»

«Wir haben dazu aber noch ziemlich viel zu tun», bemerkte ich.