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«Natürlich haben wir da noch viel zu tun», sagte sie. «Und damit können wir gleich anfangen. Nehmen wir nur mal an, du könntest eins von diesen Fläschchen ergattern. Wie würdest du das in ihr Essen mischen?»

«Das können wir uns später überlegen», sagte ich. «Lass uns doch erst einmal versuchen, überhaupt an den Stoff heranzukommen. Wie können wir ganz genau rauskriegen, ob das da unter uns wirklich ihr Zimmer ist?»

«Das werden wir sofort überprüfen!», rief meine Großmutter. «Komm mit! Wir dürfen keinen Augenblick mehr verlieren!» Während sie mich in der einen Hand trug, eilte sie aus dem Schlafzimmer und durch den Korridor, wobei sie bei jedem Schritt mit ihrem Krückstock auf den Teppich pochte. Wir gingen die Treppe hinunter, ein Stockwerk tiefer bis zur vierten Etage. Rechts und links waren die Zimmertüren, auf die die Nummern in goldenen Zahlen aufgemalt werden.

«Hier ist es!», sagte meine Großmutter. «Nummer 454.» Sie rüttelte an der Tür. Natürlich war sie verschlossen. Meine Großmutter schaute sich nach rechts und nach links um und musterte den langen leeren Hotelflur abschätzend. «Ich glaube, du hast Recht», sagte sie. «Dieses Zimmer liegt fast genau unter deinem.»

Sie marschierte den Korridor wieder zurück, wobei sie die Zimmertüren zählte, die zwischen dem Zimmer der Hoch- und Großmeister-Hexe und dem Treppenhaus lagen. Es waren sechs. Sie stieg wieder zum fünften Stock hinauf und zählte dort auch die Türen.

«Sie wohnt direkt unter dir!», rief meine Großmutter aus. «Ihr Zimmer liegt genau unter deinem!»

Sie trug mich in mein Schlafzimmer und ging abermals auf den Balkon hinaus. «Das da unten ist ihr Balkon», verkündete sie. «Und was noch besser ist: Die Tür von ihrem Balkon ins Schlafzimmer steht sperrangelweit offen! Wie willst du da runterklettern?»

«Keine Ahnung», antwortete ich. Unsere Zimmer lagen an der Vorderseite des Hotels und schauten zum Strand und zum Meer hinüber.

Direkt unter meinem Balkon, Tausende von Metern unter mir, konnte ich einen Staketenzaun mit emporragenden Eisenspitzen erkennen. Wenn ich abstürzte, war es aus mit mir.

«Ich hab's!», rief meine Großmutter. Mit mir in der Hand rannte sie in ihr eigenes Zimmer zurück und begann, in der Kommode herumzuwühlen. Sie kramte ein blaues Wollknäuel heraus. Der Faden endete an vier Stricknadeln und einer halbfertigen Socke, die sie für mich gestrickt hatte. «Dies ist genau richtig», sagte sie. «Ich steck dich in die Socke und lass dich zum Balkon der Hoch- und Großmeister-Hexe hinunter. Aber wir müssen uns beeilen. Dieses Ungeheuer kann in jedem Augenblick in ihr Zimmer kommen.»

Die Einbrechermaus

Meine Großmutter hastete mit mir in mein Schlafzimmer und auf den Balkon hinaus.

«Bist du bereit?», fragte sie. «Ich setz dich jetzt in den Strickstrumpf.»

«Hoffentlich kann ich das alles schaffen», sagte ich. «Ich bin doch nur eine kleine Maus.»

«Du schaffst es schon», antwortete sie. «Viel Glück, mein Schätzelchen.» Sie stopfte mich in die Socke und begann, mich über das Balkongeländer hinabzulassen. Ich rollte mich in der Strumpfspitze zusammen und hielt den Atem an. Durch die Maschen konnte ich sehr gut hinausschauen. Kilometer unter mir spielten Kinder am Strand. Sie hatten die Größe von Käfern. Der Strickstrumpf begann im Winde sanft zu schaukeln. Ich blickte empor und sah den Kopf meiner Großmutter über das Balkongeländer über mir hinausragen.

«Du bist fast da!», rief sie. «Abwärts geht's! Aber mit Fingerspitzengefühl! Jetzt bist du da!»

Ich fühlte einen leichten Stoß. «Und jetzt rein!», rief meine Großmutter. «Schnell, schnell! Spute dich! Durchsuch das Zimmer!»

Ich sprang aus der Socke und rannte in das Schlafzimmer der Hoch- und Großmeister-Hexe. Hier herrschte der gleiche üble Geruch, den ich schon im Ballsaal bemerkt hatte. Das war der Hexengestank. Er erinnerte mich an den Geruch im Männerpissoir in unserem Bahnhof.

Soweit ich es erkennen konnte, war das Zimmer ziemlich aufgeräumt. Kein Zeichen deutete darauf hin, dass hier nicht eine ganz gewöhnliche Person wohnte. Aber so musste es ja auch sein, nicht wahr? Keine Hexe konnte so leichtsinnig sein, irgendetwas Verräterisches so herumliegen zu lassen, dass es das Zimmermädchen bemerken musste.

Plötzlich sah ich einen Frosch über den Teppich hopsen und unter dem Bett verschwinden. Ich sprang selber in die Höhe.

«Beeil dich!», erklang die Stimme meiner Großmutter von irgendwo draußen und hoch oben. «Schnapp dir das Zeug und dann wieder raus mit dir!»

Ich versuchte mir einen Überblick zu verschaffen und das Zimmer zu durchsuchen. Das war freilich nicht einfach. Ich konnte zum Beispiel keine der Schubladen aufziehen. Genauso wenig konnte ich die Türen des großen Kleiderschranks öffnen. Ich hörte auf, ohne Sinn und Verstand herumzusausen, setzte mich mitten auf den Fußboden und konzentrierte mich auf meine Gedanken. Wenn die Hoch- und Großmeister-Hexe etwas ganz Geheimes verstecken wollte, wohin würde sie es tun? Ganz bestimmt nicht in eine normale Schublade. Und auch nicht in den Kleiderschrank. Das war viel zu offensichtlich. Ich sprang auf das Bett, um den Raum besser überblicken zu können. He, dachte ich, wie wär's denn unter der Matratze? Vorsichtig ließ ich mich über den Rand des Bettes nach unten und wutzelte mich zur Unterseite der Matratze durch. Ich musste mich mit allen Kräften vorwärts stemmen, um überhaupt weiterzukommen, aber ich gab nicht auf. Ich konnte überhaupt nichts sehen. Und als ich so unter der Matratze entlangkrabbelte, prallte ich plötzlich gegen etwas Hartes, das über mir in der Matratze steckte. Ich griff nach oben und tastete es mit meiner Pfote ab. Ob das ein Fläschchen sein konnte? Es war tatsächlich eine kleine Flasche. Ich konnte ihre Form ganz genau unter der Matratze spüren. Und genau daneben stieß ich auf noch einen harten Gegenstand und dann noch einen und noch einen. Die Hoch- und Großmeister-Hexe musste die Matratze aufgeschlitzt und alle Fläschchen hineingeschoben und den Bezug wieder zugenäht haben. Ich begann wie verrückt, den Matratzenbezug über meinem Kopf mit meinen Zähnen zu zerfetzen. Meine Nagezähne waren hervorragend scharf, und es dauerte nicht lange, da hatte ich ein kleines Loch zustande gebracht. Ich zwängte mich in das Loch und packte ein Fläschchen am Halse. Ich schob es durch das Loch in der Matratze und hangelte mich danach auch heraus.

Indem ich rückwärts trippelte und die Flasche hinter mir her zerrte, schaffte ich es, den Rand der Matratze zu erreichen. Ich ließ die Flasche vom Bettgestell auf den Teppich fallen. Sie knallte auf und kullerte ein Stück, aber sie zerbrach nicht. Ich sprang vom Bett. Ich untersuchte das Fläschchen. Es sah genauso aus wie dasjenige, das die Hoch- und GroßmeisterHexe im Ballsaal gehabt hatte. Auch auf diesem klebte ein Schild. formula 86 stand darauf, retard / mausemutarium. Außerdem noch: Diese Flasche enthält fünfhundert Dosen. Hurra! Ich war mit mir selber höchst zufrieden.

Drei Frösche kamen unter dem Bett hervorgehopst. Sie hockten auf dem Teppich und glotzten mich mit großen schwarzen Augen an. Ich starrte sie an. Diese großen Augen waren das Traurigste, was ich jemals gesehen habe. Es kam mir plötzlich in den Sinn, dass sie wahrscheinlich früher einmal Kinder gewesen waren, diese Frösche, ehe sie die Hoch- und Großmeister-Hexe erwischt hatte. Ich stand da und umklammerte das Fläschchen und schaute die Frösche an. «Wer seid ihr?», fragte ich sie.

Genau in diesem Augenblick hörte ich, wie sich ein Schlüssel im Türschloss drehte und wie die Tür aufflog und die Hoch-und Großmeister-Hexe ins Zimmer fegte. Die Frösche sprangen mit einem einzigen mächtigen Satz wieder unter das Bett zurück. Ich huschte hinter ihnen her, das Fläschchen immer noch im Arm, und ich rannte ganz nach hinten bis an die Wand und schob mich hinter einen der Bettpfosten. Ich hörte Füße über den Teppich schreiten. Ich lugte um den Bettpfosten. Die drei Frösche hatten sich mitten unter dem Bett aneinander geschmiegt. Frösche können sich nicht so wie Mäuse verstecken. Sie können auch nicht so rennen wie Mäuse. Das Einzige, was die armen Dinger zustande bringen, ist ihr ziemlich schwerfälliges Gehopse.