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Ich musste aus der Küche heraus und zu meiner Großmutter zurück. Und da gab's nur einen einzigen Weg. Ich musste quer über den Fußboden flitzen und hinter einem der Kellner zur Tür hinaus. Ich verhielt mich vollkommen reglos und wartete auf meine Gelegenheit. Mein Schwanz tat unterdessen schrecklich weh. Ich ringelte ihn herum, damit ich ihn betrachten konnte. Es fehlten ein paar Zentimeter, und er blutete ziemlich stark. Ein Kellner war gerade dabei, sich mit Tellern zu beladen, auf denen irgendein rosa Eis angerichtet war. Er trug einen Teller in jeder Hand und balancierte zwei weitere auf jedem Unterarm. Er ging gerade auf die Tür zu. Er stieß sie mit seiner Schulter auf. Ich sprang aus dem Kartoffel sack, sauste über diesen Küchenboden und wie ein Blitz in den Speisesaal, und ich hörte nicht zu rennen auf, bis ich unter dem Tisch meiner Großmutter war.

Es war zu schön, die Füße meiner Großmutter wieder zu sehen, in diesen altmodischen schwarzen Stiefeln mit ihren Schnürsenkeln und Haken. Ich huschte an einem ihrer Beine hinauf und landete auf ihrem Schoß. «Hallo, Großmama!», flüsterte ich. «Ich bin wieder da. Ich hab's geschafft! Ich hab es in ihre Suppe gegossen!»

Ihre Hand kam unter den Tisch und streichelte mich. «Bravo, mein Schätzelchen», flüsterte sie zurück. «Gut gemacht! Im Augenblick sind sie gerade dabei, diese Suppe zu essen!»

Plötzlich zog sie ihre Hand zurück. «Du blutest ja!», flüsterte sie. «Mein Schätzelchen, was ist denn mit dir passiert?»

«Einer der Köche hat mir den Schwanz mit einem Küchenmesser abgeschlagen», flüsterte ich zurück. «Es tut ganz schön weh.»

«Lass mich mal sehen», sagte sie. Sie senkte den Kopf und untersuchte meinen Schwanz. «Armes kleines Ding», flüsterte sie. «Ich werde dich erst einmal mit meinem Taschentuch verbinden. Dann wird es nicht mehr bluten.»

Sie zog ein kleines spitzenbesetztes Taschentuch aus ihrem Lederbeutel und wickelte es irgendwie um meine Schwanzspitze. «Das wird wieder heilen», sagte sie. «Versuch jetzt einfach, nicht mehr daran zu denken. Hast du es wirklich geschafft, ihnen den ganzen Flascheninhalt in die Suppe zu träufeln?»

«Bis zum letzten Tropfen», antwortete ich. «Meinst du, du könntest mich irgendwo unterbringen, von wo ich sie beobachten kann?»

«Sicherlich», antwortete sie. «Meine Handtasche liegt neben mir, auf deinem eigenen Stuhl. Ich steck dich da jetzt hinein, und du kannst hinausschauen, aber nur, wenn du aufpasst, dass dich niemand sieht. Bruno steckt auch da drinnen, aber um ihn brauchst du dich gar nicht zu kümmern. Ich habe ihm ein Brötchen zu essen gegeben, und damit wird er wohl eine Weile beschäftigt sein.»

Ihre Hand umschloss mich, und ich wurde von ihrem Schoß gehoben und in ihre Handtasche überführt. «Hallo, Bruno», sagte ich.

«Schön großes Brötchen», antwortete er, und ich hörte ihn im Grunde des Beutels knuspern und knabbern. «Wär mir nur lieber gewesen, wenn sie's mit Butter bestrichen hätte.»

Ich spähte über den Rand der Handtasche. Ich konnte die Hexen ganz klar und deutlich sehen, wie sie mitten im Saal an ihren beiden langen Tafeln saßen. Sie waren bereits mit der Suppe fertig, und die Kellner sammelten die Teller ein. Meine Großmutter hatte sich eine von ihren schrecklichen schwarzen Zigarren angezündet und nebelte uns gerade ein.

Um uns herum saßen die anderen Sommergäste dieses ziemlich vornehmen Hotels und schwatzten und lachten und stopften sich das Essen in den Bauch. Ungefähr die Hälfte von ihnen waren alte Leute mit Krückstöcken, aber es gab auch eine ganze Masse Familien mit Vater, Mutter und mehreren Kindern. Sie sahen alle recht wohlhabend aus. Das musste man auch sein, wenn man im Grandhotel Ferien machen wollte.

«Das ist sie, Großmama!», flüsterte ich. «Das ist die Hoch-und Großmeister-Hexe!»

«Ich weiß!», flüsterte meine Großmutter zurück. «Sie ist die zierliche Person in Schwarz, am Kopf der Tafel, die uns am nächsten ist.»

«Sie könnte dich ermorden!», flüsterte ich. «Sie könnte jedermann in diesem Raum mit ihren weißglühenden Funken töten!»

«Pass auf!», flüsterte meine Großmutter. «Der Kellner kommt!»

Ich schlüpfte in mein Versteck, und ich hörte William sagen: «Ihr Lammbraten, gnädige Frau. Und was für ein Gemüse wünschen Sie? Erbsen oder Mohrrüben?»

«Mohrrüben, bitte», antwortete meine Großmutter. «Aber keine Kartoffeln.»

Ich hörte, wie die Mohrrüben serviert wurden. Dann wieder Stille. Dann die Stimme meiner Großmutter, die flüsterte: «In Ordnung. Er ist weg.» Ich schob meinen Kopf wieder heraus. «Es merkt doch wohl keiner, wenn ich meinen kleinen Kopf so wie jetzt rausstrecke?», wisperte ich.

«Nein», antwortete sie. «Das glaub ich wirklich nicht. Mein Problem besteht darin, dass ich mich mit dir unterhalten muss, ohne die Lippen zu bewegen.»

«Das kannst du aber großartig», sagte ich.

«Ich hab die Hexen gezählt», sagte sie. «Es sind gar nicht so viele, wie du gedacht hast. Als du gesagt hast zweihundert, da hast du wahrscheinlich nur geschätzt, oder?»

«Sie sind mir wie zweihundert vorgekommen», antwortete ich.

«Ich hab mich auch geirrt», fuhr meine Großmutter fort. «Ich dachte, es gäbe sehr viel mehr Hexen in England.»

«Wie viele sind es denn?», fragte ich.

«Vierundachtzig», erwiderte sie.

«Dann sind es fünfundachtzig gewesen», sagte ich. «Denn eine ist verschmurgelt worden.»

In diesem Moment erblickte ich Mister Jenkins, Brunos Vater, der direkt auf unseren Tisch zusteuerte. «Pass auf, Großmama!», flüsterte ich. «Da kommt Brunos Vater!»

Mister Jenkins und sein Sohn

Mister Jenkins kam mit einem unheilschwangeren Gesicht auf unseren Tisch zu. «Wo steckt dieser Enkelsohn von Ihnen?», fuhr er meine Großmutter an. Er benahm sich unhöflich, und er sah sehr wütend aus.

Meine Großmutter musterte ihn mit einem eisigen Blick, gönnte ihm jedoch keine Antwort.

«Ich vermute nämlich stark, dass er und mein Sohn Bruno irgendeine Teufelei ausgeheckt haben», fuhr Mister Jenkins fort. «Bruno ist nämlich nicht zum Abendessen aufgetaucht, und es gehört schon was dazu, dass dieser Junge sein Essen versäumt!»

«Ich muss zugeben, dass er einen gesunden Appetit hat», bemerkte meine Großmutter.

«Ich habe das Gefühl, dass Sie mit ihm unter einer Decke stecken», fuhr Mister Jenkins fort. «Ich habe keine Ahnung, wer Sie zum Teufel sind, und es ist mir auch egal, aber Sie haben mir und meiner Frau heute Nachmittag einen gemeinen Streich gespielt. Sie haben eine dreckige kleine Maus auf den Tisch gesetzt. Das lässt mich vermuten, dass Sie alle drei etwas ausgebrütet haben. Also, wenn Sie wissen, wo sich Bruno versteckt, so rücken Sie gefälligst sofort damit heraus!»

«Ich habe Ihnen keinen Streich gespielt», erwiderte meine Großmutter. «Diese Maus, die ich Ihnen geben wollte, war Ihr eigener kleiner Sohn Bruno. Ich habe mich Ihnen gegenüber nur freundlich erwiesen. Ich habe versucht, das Kind in den Schoß der Familie zurückzuführen. Sie haben sich geweigert, ihn anzunehmen.»

«Was zum Geier wollen Sie damit sagen, meine Gnädigste?», rief Mister Jenkins. «Mein Sohn ist keine Maus!» Sein schwarzer Schnurrbart zappelte beim Sprechen wie verrückt auf und ab. «Und jetzt raus damit, Sie Weibsperson! Wo steckt er? Antworten Sie gefälligst!»