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«Hat er denn ihre Adresse gewusst?»

«Ja. Sie hatten ihren Pass in ihrem Zimmer gefunden, und darin stand ihre Anschrift. Sie fand sich außerdem noch im Hotelregister. Jeder, der sich in einem Hotel aufhält, muss einen Namen und eine Adresse in dieses Buch eintragen.»

«Aber die Hoch- und Großmeister-Hexe wird doch nicht ihren wirklichen Namen und ihre Anschrift in das Hotelregister geschrieben haben?», fragte ich.

«Warum denn nicht?», fragte meine Großmutter. «Außer den anderen Hexen hat doch keiner auf der ganzen Welt auch nur die leiseste Ahnung gehabt, wer sie war. Wo sie aufgetaucht ist, da haben die Leute sie nur als eine nette Dame gekannt. Du, mein Schätzelchen, nur du allein bist das einzige Wesen auf der Welt, das keine Hexe ist und sie trotzdem ohne Maske gesehen hat. Selbst in ihrer Heimatgegend, in dem Ort, in dem sie gewohnt hat, haben die Nachbarn sie nur als eine freundliche und sehr reiche Baronin gekannt, die große Summen zu Wohltätigkeitszwecken stiftete. Das hab ich schon überprüft.»

Ich wurde allmählich aufgeregt. «Und diese Adresse, die du rausgekriegt hast, das muss doch das geheime Hauptquartier der Hoch- und Großmeister-Hexe gewesen sein.»

«Das ist es immer noch», antwortete meine Großmutter. «Und dort wird sich wahrscheinlich die neue Hoch- und Großmeister-Hexe mit ihrem Hofstaat aus speziellen Helferhexen unterdessen eingerichtet haben. Du weißt ja, wichtige Herrschaften umgeben sich immer mit ganzen Heerscharen von Beratern.»

«Wo liegt denn ihr Hauptquartier, Großmama?», rief ich. «Sag mir rasch, wo es ist.»

«Es ist ein Schloss», erwiderte meine Großmutter. «Und das Faszinierende daran ist, in diesem Schloss müssen sich alle Namen und Adressen von allen Hexen auf der Welt befinden. Wie könnte die Hoch- und Großmeister-Hexe sonst die Geschäfte führen? Wie könnte sie die Hexen aus den verschiedenen Ländern zu ihrem Jahrestreffen einladen?»

«Wo ist denn das Schloss, Großmama?», rief ich ungeduldig. «In welchem Land liegt es? Sag's mir doch rasch!»

«Rate mal», erwiderte sie.

«Norwegen!», sagte ich.

«Gleich beim ersten Versuch getroffen!», antwortete sie. «Hoch oben in den Bergen oberhalb eines kleinen Dorfes.»

Das waren ungeheure Neuigkeiten. Ich legte vor lauter Aufregung ein kleines Tänzchen auf der Tischplatte hin. Meine Großmutter war jedoch auch in Erregung geraten, und jetzt hievte sie sich aus ihrem Sessel und begann, im Zimmer auf und ab zu schreiten, wobei sie mit ihrem Stock auf den Teppich pochte. «Wir müssen uns also wieder an die Arbeit machen, du und ich!», rief sie aus. «Eine große Aufgabe liegt vor uns! Gottlob, dass du eine Maus bist. Eine Maus kommt überall hin. Ich brauche dich nur irgendwo in der Nähe des Hexenschlosses abzusetzen, und dann huschst du einfach hinein und schleichst dich überall hin und schaust dich überall um und spitzt nach Herzenslust die Ohren.»

«Das werd ich machen! So will ich's machen!», antwortete ich eifrig. «Und keiner wird mich sehen! In einem großen Schloss herumzuflitzen, wird im Vergleich mit der vollgeräumten Küche, in der es auch noch von Köchen und Kellnern gewimmelt hat, ein reines Kinderspiel sein!»

«Und wenn es notwendig wäre, so könntest du tagelang drinnen bleiben», rief meine Großmutter. In ihrer Aufregung fuchtelte sie mit ihrem Krückstock in der Luft herum, und plötzlich stieß sie eine hohe und sehr schöne Vase um, die zu Boden krachte und in tausend Scherben zersprang. «Kümmer dich nicht drum», sagte sie, «das ist nur eine Ming-Vase. Wenn du Lust hättest, könntest du wochenlang in diesem Schloss bleiben, und sie hätten keine Ahnung, dass du da bist. Ich könnte mir ein Zimmer im Dorf mieten, und jeden Abend könntest du dich aus dem Schloss schleichen und mit mir zu Abend essen und mir berichten, was alles los gewesen ist.»

«Und ob! Das könnte ich gut!», rief ich aus. «Und drinnen im Schloss könnte ich einfach überall herumschnüffeln!»

«Aber deine Hauptaufgabe», sagte meine Großmutter, «bestünde natürlich darin, alle Hexen dort zu vernichten. Das wäre dann endlich das wahre Ende der ganzen Hexengesellschaft.»

«Ich sie vernichten?», rief ich. «Wie soll ich das denn machen?»

«Kannst du es nicht erraten?», fragte sie.

«Verrat es mir!» antwortete ich.

«Der Mäusemacher!», rief meine Großmutter triumphierend. «Noch einmal das Formula 86 retard / Mausemutarium. Du wirst es allen im Schloss zu schlucken geben, indem du es ihnen in das Essen träufelst. Du kannst dich doch noch an das Rezept erinnern, oder?»

«Wort für Wort», entgegnete ich. «Willst du damit sagen, dass wir es selber machen sollen?»

«Warum denn nicht?», rief sie aus. «Wenn sie es herstellen können, so bringen wir es auch zustande! Es dreht sich doch nur darum, dass man genau weiß, was reinkommt.»

«Und wer klettert auf die hohen Bäume, um die Grunzer-Eier zu kriegen?», fragte ich sie.

«Ich natürlich!», rief sie wieder. «Das mach ich selber! In diesen alten Knochen steckt noch tüchtig Leben!»

«Ich glaube aber trotzdem, dass ich das übernehmen sollte, Großmama. Das könnte dich zum Krüppel machen.»

«Ach, das sind Kleinigkeiten!», rief sie aus und schwenkte den Stock wieder durch die Gegend. «Wir werden keine Widerstände dulden!»

«Und was geschieht danach?», fragte ich sie. «Nachdem sich die neue Hoch- und Großmeister-Hexe und alle anderen Hexen im Schloss in Mäuse verwandelt haben?»

«Dann ist das Schloss vollkommen leer, und ich werde heraufkommen und zu dir stoßen und...»

«Warte!», rief ich. «Halt mal! Mir ist gerade etwas Unangenehmes eingefallen!»

«Was denn?», fragte sie.

«Als der Mäusemacher mich in eine Maus verwandelt hat», antwortete ich, «bin ich keine gewöhnliche Maus geworden, die man mit Mausefallen fangen kann. Ich bin ein sprechender und denkender intelligenter Mausejunge geworden, dem es nicht im Traum einfallen würde, sich auch nur in die Nähe einer Mausefalle zu begeben!»

Meine Großmutter blieb stocksteif stehen. Sie wusste schon, was jetzt kommen würde.

«Also», fuhr ich fort, «wenn wir den Mäusemacher dazu benutzen, um die neue Hoch- und Großmeister-Hexe samt allen anderen Hexen im ganzen Schloss in Mäuse zu verwandeln, so wird der ganze Ort von blitzgescheiten, supergefährlichen und höllisch heimtückischen Mäusehexen wimmeln. Sie werden immer noch Hexen sein, Hexen im Mausefell. Und das», setzte ich hinzu, «könnte grauenhaft werden.»

«Ach du grüne Neune! Du hast Recht!», rief sie bestürzt. «Das hab ich vollkommen übersehen.»

«Und mit einem ganzen Schloss voller Mäusehexen kann ich es wirklich nicht aufnehmen», sagte ich.

«Ich wohl auch nicht», murmelte sie. «Wir müssen sie also auf einen Schlag loswerden. Sie müssen zermalmt werden und erschlagen und in kleine Stücke gehackt - genau wie im Grandhotel.»

«Das mach ich nicht», entgegnete ich. «Das kann ich nicht. Und du kannst das auch nicht, Großmama. Und Mausefallen hätten nicht den geringsten Sinn. Ach übrigens», setzte ich hinzu, «die Hoch- und Großmeister-Hexe, die mich erwischt hat, die hat sich doch geirrt, nicht wahr? Ich meine, was die Mausefallen angeht.»

«Ja, ja», antwortete meine Großmutter ziemlich ungeduldig. «Aber mit der Hoch- und Großmeister-Hexe brauchen wir uns nicht mehr zu beschäftigen, die ist dem Küchenchef unter das Messer geraten. Jetzt müssen wir uns mit der neuen Hoch- und Großmeister-Hexe beschäftigen, mit der Hexe hoch oben im Schloss und mit all ihren Helfern und Helfershelferinnen. Eine Hoch- und Großmeister-Hexe ist schon schlimm genug, wenn sie sich als Dame verkleidet, aber stell dir nur vor, was sie anrichten könnte, wenn sie eine Maus wäre! Sie käme überall hin!»