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«Oje», sagte ich. «Und dann werden sie erschossen?»

«Selbstverständlich», entgegnete sie, «und danach gerupft und gebraten und zum Abendessen verspeist.»

Ich stellte mir vor, ich wäre ein Fasan und flatterte angstvoll über den Jägern mit ihren Flinten, und ich taumelte und stürzte, während die Schüsse unter mir knallten.

«Ja, ja», sagte meine Großmutter. «Es macht den englischen Hexen ein höllisches Vergnügen, daneben zu stehen und zuzuschauen, wie die Erwachsenen ihre eigenen Kinder erschießen.»

«Ich will wirklich nicht nach England gehen, Großmama.»

«Natürlich nicht», entgegnete sie. «Ich auch nicht. Aber es bleibt uns gar nichts anderes übrig. Wir müssen.»

«Sind die Hexen in allen Ländern verschieden?», fragte ich.

«Gar nicht zu vergleichen», erwiderte meine Großmutter. «Aber von den anderen Ländern weiß ich nicht allzu viel.»

«Weißt du nicht einmal etwas über Amerika?», erkundigte ich mich.

«Eigentlich nicht», antwortete sie, «obgleich ich habe sagen hören, dass es da drüben Hexen gäbe, die die Erwachsenen dazu bringen können, ihre eigenen Kinder aufzuessen.»

«O nein!», rief ich. «Nie und nimmer, Großmama! Das kann nicht wahr sein!»

«Ich habe keine Ahnung, ob es stimmt oder nicht», sagte sie. «Es ist nur das, was ich gehört habe.»

«Aber wie können sie sie denn nur dazu bringen, ihre eigenen Kinder zu essen?», fragte ich.

«Die verwandeln sie in Hot Dogs», erklärte sie. «Für eine geschickte Hexe ist das nur ein Klacks.»

«Hat denn jedes Land auf der Welt seine eigenen Hexen?», fragte ich.

«Wo du Menschen findest, da hast du auch Hexen», antwortete meine Großmutter. «Es gibt in jedem Lande einen Geheimbund der Hexen.»

«Und kennen sie sich alle gegenseitig, Großmama?»

«Nicht die Spur», entgegnete sie. «Eine Hexe kennt nur die Kolleginnen im eigenen Lande. Es ist ihr streng verboten, mit irgendwelchen ausländischen Hexen Verbindung aufzunehmen. Aber eine englische Hexe kennt zum Beispiel alle anderen Hexen in England. Sie sind miteinander befreundet. Sie telefonieren unaufhörlich miteinander. Sie tauschen ihre Gift-rezepte aus. Der Himmel mag wissen, worüber sie sonst noch schwatzen. Mich widert selbst der Gedanke daran an.»

Ich saß auf dem Fußboden und beobachtete meine Großmutter. Sie legte ihren Zigarrenstummel in den Aschenbecher und faltete die Hände über den Bauch. «Einmal im Jahr», fuhr sie fort, «veranstalten die Hexen in den einzelnen Ländern ihr nationales Geheimtreffen. Dann kommen sie alle an einem Ort zusammen und hören sich eine Rede von der Hoch- und Großmeister-Hexe der ganzen Welt an.»

«Von wem?», rief ich.

«Sie herrscht über alle anderen», sagte meine Großmutter. «Sie verfügt über die größten Zauberkräfte. Sie kennt keine Gnade. Alle anderen Hexen erstarren in Furcht vor ihr. Sie sehen sie alle zwölf Monate bei ihrem gemeinsamen Jahrestreffen. Sie tritt auf, um die Lust am Bösen zu schüren und ihre Anordnungen zu geben. Die Hoch- und Großmeister-Hexe reist von Land zu Land und veranstaltet diese Jahrestreffen.»

«Und wo finden diese Treffen statt, Großmama?»

«Da gibt es alle möglichen Gerüchte», antwortete meine Großmutter. «Ich habe sagen hören, dass sie ganz normal in einem Hotel buchen, so wie jeder andere Frauenverein, der eine Tagung veranstalten will. Ich habe auch sagen hören, dass in diesen Hotels, in denen sie absteigen, höchst merkwürdige Dinge vor sich gehen. Es wird zum Beispiel gesagt, dass die Betten die ganze Zeit unberührt bleiben. Dass man auf den Teppichen im Schlafzimmer Brandflecken entdeckt. Dass in den Badewannen Kröten sitzen und dass der Koch einmal unten in der Küche ein junges Krokodil gefunden hat, das in einem Suppentopf herumgeschwommen ist.»

Meine Großmutter griff wieder nach der Zigarre, machte einen kräftigen Zug und sog den stinkenden Rauch tief in die Lunge.

«Wo lebt die Hoch- und Großmeister-Hexe denn privat?», fragte ich.

«Das weiß keiner», antwortete meine Großmutter. «Wenn wir das wüssten, dann könnte sie ausgerottet und vernichtet werden. Hexologen der ganzen Welt haben jede freie Minute ihres Lebens dafür geopfert, um das geheime Hauptquartier der Hoch- und Großmeister-Hexe zu entdecken.»

«Was ist denn ein Hexologe, Großmama?»

«Das ist jemand, der Hexen erforscht und viel über sie weiß», entgegnete meine Großmutter.

«Bist du ein Hexologe, Großmama?»

«Ich bin ein pensionierter Hexologe», entgegnete sie. «Ich bin zu alt, um noch tätig zu sein. Aber als ich jünger war, da habe ich viele Reisen rund um die Welt unternommen, um den Schlupfwinkel der Hoch- und Großmeister-Hexe zu entdecken. Es ist mir aber nicht einmal gelungen, den Erfolg am Rockzipfel zu erwischen.» - «Ist sie reich?», fragte ich.

«Sie kann im Gelde baden», antwortete meine Großmutter, «oder waten. Es heißt, sie hätte in ihrem Hauptquartier eine Druckmaschine, die haargenau der entspricht, mit der die Regierung die Banknoten druckt, die du und ich benutzen. Banknoten sind schließlich nur kleine Papierzettel mit speziellen Mustern und Bildern. Wenn man die richtige Maschine und das richtige Papier besitzt, kann sie jeder nachmachen. Ich vermute, dass sich die Hoch- und Großmeister-Hexe so viel Geld druckt, wie sie braucht, und es mit vollen Händen an ihre Hexen weitergibt.»

«Und was ist mit ausländischem Geld?», fragte ich.

«Solche Maschinen können chinesisches Geld herstellen, wenn du sie so einrichtest», sagte meine Großmutter. «Es kommt nur darauf an, dass du den richtigen Knopf drückst.»

«Aber Großmama», wandte ich ein, «wenn keiner die Hoch-und Großmeister-Hexe jemals gesehen hat, wie kannst du da so sicher sein, dass es sie überhaupt gibt?»

Meine Großmutter warf mir einen langen und sehr ernsten Blick zu. «Niemand hat jemals den Teufel gesehen», sagte sie, «aber wir wissen, dass er existiert.»

Am nächsten Morgen fuhren wir mit dem Schiff nach England, und nach kurzer Zeit wohnte ich wieder in dem alten Familienhaus in Kent, diesmal aber nur mit meiner Großmutter, die sich um mich kümmerte. Dann begann die Schule, ich ging jeden Tag zum Unterricht, und das Leben schien wieder seinen gewöhnlichen Lauf zu nehmen.

Am Ende unseres Gartens stand nun eine gewaltige Kastanie, und ich hatte mit Timmy, meinem besten Freund, angefangen, mir ziemlich weit oben ein großes Baumhaus zu bauen. Wir konnten nur an den Wochenenden arbeiten, aber wir kamen recht gut voran. Wir hatten mit dem Fußboden angefangen, für den wir breite Bretter zwischen zwei ziemlich weit voneinander entfernte Zweige gelegt und auf ihnen festgenagelt hatten. Innerhalb eines Monats waren wir mit dem Fußboden fertig. Dann errichteten wir um den Fußboden herum ein hölzernes Geländer und mussten schließlich nur noch das Dach bauen. Das Dach war der schwierigste Teil.

An einem Samstagnachmittag, als Timmy im Bett lag, weil er eine Erkältung hatte, fasste ich den Entschluss, schon einmal alleine damit anzufangen. Es war schön, hoch oben im Kastanienbaum zu sein, ganz allein mit den blassen jungen Blättern, die um mich herum aus den Zweigen brachen. Ich kam mir vor wie in einer großen grünen Höhle. Und die Höhe machte die Sache noch spannender. Meine Großmutter hatte mir gesagt, wenn ich abstürzte, würde ich mir ein Bein brechen, und jedes Mal, wenn ich hinunterschaute, rann mir ein kleiner Schauer den Rücken hinunter.

Ich arbeitete munter drauflos und nagelte das erste Brett an den Dachbalken. Da sah ich plötzlich aus dem Augenwinkel, dass genau unter mir eine Frau stand. Sie schaute zu mir hoch und lächelte auf eine höchst merkwürdige Art und Weise. Die meisten Leute verziehen beim Lächeln ihre Lippen zur Seite. Die Lippen dieser Frau zogen sich jedoch nach oben und nach unten und entblößten ihr ganzes Gebiss und das Zahnfleisch. Das Zahnfleisch sah aus wie ein Stück roher Braten.