»Was versucht ihr Flaschen eigentlich zu beweisen?«, sagte ich und klang auf einmal wie Underskinker. »Dass ihr Spiele verlieren könnt? Das kann jeder. Warum ver sucht ihr es nicht wenigstens?«
»Hör gut zu, diese Vampis kriegen, was sie von uns wollen«, antwortete Barzini. »Wir sorgen dafür, dass ihre Schule bestehen bleibt. Es kommen Vampis aus der gan zen Welt, um hier zur Schule zu gehen. U n d wir, wir wirklichen Menschen, zahlen dafür Steuern. Und der einzige Grund, warum sie uns überhaupt reinlassen, ist der, dass sie dadurch die Schule offen halten können. Es ist ein Beschiss, dass wir hier sind. Verhalt dich entspre chend, wie wir auch.«
»He, Barzini, die Jenti zahlen auch Steuern. Je darüber nachgedacht?«, sagte ich. »Ihre Steuern ermöglichen es dir, hier zu sein.«
»Halts Maul«, erwiderte Barzini und gab mir einen Stoß.
Das Eis war glatt und ich fiel hin. Die anderen Pfähler kicherten.
Ich hakte einen meiner Stiefel unter Barzinis Bein und warf ihn auf den Rücken.
Dann stand ich auf, während er mich mit Schimpf wörtern überschüttete.
»Wenn es euch Typen hier nicht gefällt, warum ver sucht ihr es nicht mit einer normalen Schule?«, sagte ich.
»Ich wette, es gibt ein paar freie Kindergartenplätze.«
Sie versuchten nicht mich aufzuhalten, als ich zu Justin zurückging.
»Wiedersehn«, sagte ich zu Brian.
»Du bist so gut wie tot«, rief Jason Barzini meinem Rücken nach.
Die Illyriade
Der Januar ging vorüber. Wir hatten noch zwei Spiele und sie ähnelten stark dem ersten. Der Einzige, der we nigstens versuchte es richtig zu machen, war ich, und wir spielten nur so lange, bis die andere Mannschaft einen Treffer erzielte. Auf der Reservebank hinter uns saßen immer andere Jenti. Egal wie viele der Pfähler Penaltys bekamen, sie wurden nie eingetauscht und niemandem schien es aufzufallen.
Ich war noch immer ein bisschen besorgt wegen dem, was die Pfähler mir vielleicht antun würden, aber alles, was sie nach jenem Tag im Schnee tatsächlich taten, war, nicht mehr mit mir zu reden. Da sie das nie wirklich ge tan hatten, war das keine große Sache. Barzini hatte wohl bloß ein großes Mundwerk.
Ein bisschen größere Sorgen machte ich mir wegen Gregor und seinem Haufen. Es gab Tage, an denen ich das Gefühl hatte, sie würden mich jedes Mal, wenn ich mich umdrehte, vom anderen Ende des Speisesaals oder von einem oberen Treppenabsatz aus beobachten. Viel leicht schauten sie bloß nach, ob ich nach wie vor ge zeichnet war. Aber auch mit ihnen gab es keine Zusam menstöße.
Ich bekam weiterhin unmögliche Hausaufgaben. U n d gefälschte Einsen, die ich aber ignorierte. Ich machte es mir zur Gewohnheit, nach der Schule zu Justin nach Hause zu gehen, um an dem ganzen Zeug zu arbeiten.
Ich würde nicht sagen, dass ich es toll machte, aber mit Justins Hilfe machte ich es besser. Manchmal kapierte ich sogar fast, was die Aufgabe war. Ich saß wirklich gerne in diesem kleinen Zimmer im zweiten Stock, wo Justin für uns eine Art Büro eingerichtet hatte, mit Büchern, Re galen, einem Computerterminal und dem ganzen Kram, den er brauchte, um zu Hause zu arbeiten. Es gab dort sogar einen riesigen alten Schreibtisch, Partnerschreib tisch genannt, an dem wir uns gegenübersaßen und ar beiteten, während von unten Klaviermusik zu uns he raufdrang.
Es war voll in diesem kleinen Raum, aber irgendwie schafften wir es, auch für Ileana einen Platz zu finden, wenn sie vorbeischaute, was sie so ein-, zweimal die Wo che tat.
Am besten waren die Freitage, wenn wir schließlich alle unten in Illyrien landeten. Palmyra wuchs und die Straße nach Neu Florenz war fertig. Justin stellte um Drei Hügel herum noch mehr Vororte hin. U n d Ileana erzählte uns, dass es bei der letzten Auseinandersetzung zwischen Anaxander und Vasco darum gegangen war, ob ein Theaterstück drei oder fünf Akte haben sollte.
»Wann bekomme ich das Epos zu Gesicht, das du über Illyrien schreibst?«, fragte sie mich bei jedem Spiel.
»Wenn es fertig ist«, gab ich immer zur Antwort.
»Aber es fehlt mir an Ideen.«
Daraufhin sagte sie so etwas wie: »Wie kann es irgend jemandem an Ideen fehlen? Illyrien ist dort, wo Ideen ihren Anfang nehmen«, und dann erzählte sie mir noch eine Geschichte über eine ihrer Figuren, während Justin und ich Fragen stellten oder Vorschläge machten. Ich weiß nicht, ob Chaucer auch so vorgegangen ist, aber bei mir funktionierte es.
Ich war froh über dieses Epos. Es war etwas, wofür ich Justin nicht brauchte. Es fehlte mir nicht einmal wirklich an Ideen; ich mochte bloß die von Ileana lieber als meine eigenen. Aber ich verwendete beide. An Abenden oder Sonntagen setzte ich mich einfach hin und fing an zu schreiben und die Blätter stapelten sich. Es sah so aus, als hätte ich gute Chancen, vielleicht sogar mehr als drei hundert zusammenzukriegen. Ich dachte daran, wie es sein würde, sie Shadwell auszuhändigen. Würde meine die umfangreichste Arbeit der ganzen Klasse sein? Was würde er sagen, wenn sie es wäre? Was würde ich ihm sagen?
Ich hoffe, es wird Ihnen gefallen, Mr Shadwell. Es ist ein wenig chaucerisch. Oder: Ich fürchte, ich bin ein bisschen über die dreihundert Seiten hinausgegangen.
Aber noch besser als das war es für mich, mir Ileanas Reaktion vorzustellen. Das war meine wirkliche Hoff nung — dass sie es lesen und erkennen würde, wie viel sie mir bedeutete.
Ich würde nicht sagen, ich war total in Ileana verliebt.
Nicht wirklich. Ich wollte bloß jede Minute mit ihr ver bringen. U n d ich begann zu glauben, es ging ihr ge nauso. Nicht dass sie diesbezüglich irgendwas gesagt hätte. Es waren nur ein paar Kleinigkeiten; zum Beispiel, dass sie Illyrien nie umarrangierte und wir uns so immer gegenüberstanden oder sie mir manchmal gestattete meine Tasse Kakao so hinzustellen, dass sie zufällig ihre berührte. Wenn das Epos beendet war, so dachte ich, würden die Dinge anders liegen.
Dann kam der vierzehnte Februar.
Der vierzehnte Februar sollte gemeinsam mit anderen großen Katastrophen in die Geschichte eingehen - wie dem großen Erdbeben von San Francisco (achtzehnter April), dem Absturz der Hindenburg (sechster Mai) und dem Großbrand von Chicago (achter Oktober). Am vierzehnten Februar ist Valentinstag. Es war jener Tag, an dem ich Ileana einen Teil meines Epos vorlas.
Es war nicht meine Idee. Ich wollte warten, bis es fer tig war. Aber eines Freitagnachmittags in Illyrien unter hielten wir drei uns über Shadwells Unterricht und eins führte zum anderen. Justin erzählte von dem Buch über Segelflosser, an dem er schrieb. Ileana arbeitete an einem R o m a n und erzählte ebenfalls davon.
Dann sagte sie: »Und wie geht es deinem Epos?«
»Ich hab etwa zweihundert Blätter«, erwiderte ich.
Manche waren sogar beidseitig beschrieben. »Ich hab elf Geschichten fertig und fange gerade mit der zwölften an.«
»Ich würde gern ein paar davon hören«, meinte sie.
Sie hatte so was in der Art auch schon früher gesagt, aber an diesem Tag trug ich zufällig einen Teil davon bei mir.
Ich hatte es zum Abtippen in die Schule mitgebracht, weil mein eigener Computer verrückt spielte.
»Es ist noch nicht fertig«, sagte ich.
»Bitte«, sagte sie. »Ich erzähle dir jetzt schon seit Wo chen Geschichten dafür. Dürfen wir nicht hören, was du gemacht hast?«
Es ist Valentinstag. Das Mädchen, das ich liebe, möchte et was hören, was ich geschrieben habe und das von Liebe handelt.
Justin war auch da, aber er war kein Problem. Er w ü r de wahrscheinlich sowieso da sein, wann auch immer ich es vorlas. Ich entschied, dass ich besser tat, was sie wollte.
Außerdem war es vielleicht - na, ihr wisst schon —, viel leicht war es an der Zeit.