„Aber zuweilen trifft man jemand?“
„Das schon.“
„Wen denn zum Beispiel?“
„Den Förster, einen Holzhauer oder auch einen Handwerksburschen.“
„Sonst niemanden?“
„Ich kann doch nicht wissen, wer da herumläuft. Ich habe verteufelt wenig Personen gesehen.“
„Aber man spricht davon, daß besonders zur Nachtzeit zuweilen viele Menschen dort zu treffen sind.“
„Unsinn. Welcher vernünftige Kerl läuft des Nachts im finsteren Wald herum.“
„Oh! Man redet Eigentümliches.“
„Dummheiten redet man! Gäbe es hier eine Grenze, die sich durch den Wald zieht, so wäre es möglich, daß sich Pascher an derselben herumtreiben. Wenn man aber da von Leuten redet, welche sich des Nachts im Wald herumtreiben, so befindet man sich gehörig auf dem Holzweg. Ich weiß das viel besser.“
Der Wirt stutzte. Sollte dieser dumme Bursche dennoch vielleicht etwas ahnen? Er fragte darum: „Nun, wer könnte es denn sonst sein, wenn es keine Leute sind, Monsieur?“
„Hm! Ja. Davon darf man eigentlich nicht sprechen.“
„Nicht? Warum nicht?“
„Es ist gefährlich.“
„Wieso gefährlich?“ fragte der Wirt, dessen Mißtrauen wieder zu wachsen begann.
„Weil sie einem sonst erscheinen, sogar wenn man gar nicht in den Wald geht, sondern im Bett liegt.“
„Wer denn? So reden Sie doch.“
„Na, leise darf man schon davon sprechen. Also wissen Sie, was sich des Nachts im Wald herumtreibt? Menschen sind es nicht.“
„Nun, wer sonst?“
„Kommen Sie her.“
Der Wirt trat ihm näher. Fritz faßte ihn am Arm, zog seinen Kopf zu sich nieder und flüsterte ihm in das Ohr:
„Die wilde Jagd.“
Dann ließ er den Arm des Wirts wieder los, schüttelte sich, als ob es ihn schaure, machte ein höchst ernstes Gesicht, nickte einige Male sehr bedeutungsvoll und fügte dann hinzu, indem er drei Kreuze schlug:
„Ja, so ist es, wenn man auch nicht laut davon sprechen darf. Aber des Nachts brächte mich keine Macht der Erde in den Wald, selbst wenn man zehn Pferde vorspannte!“
Jetzt fühlte sich der Wirt vollständig überzeugt, daß er es mit einem höchst unschädlichen und im Superlativ harmlosen Menschen zu tun habe. Er nickte, indem er innerlich sehr belustigt war, dem Pflanzensammler verständnisinnig zu und sagte:
„Ja, so ist es! Ich habe auch bereits davon gehört.“
„Wissen Sie auch, wer während der wilden Jagd in den Wald geht, dem dreht der wilde Jäger das Gesicht auf den Rücken!“
„Ich habe es gehört.“
„Und dann muß er mitjagen und hetzen in alle Ewigkeit. Der Himmel behüte mich davor.“
„Ja, das ist schlimmer als selbst das Fegefeuer und die ewige Verdammnis. Es graut einem, wenn man nur daran denkt. Ich will lieber an meine Arbeit gehen.“
Er ging; aber als er sich in dem vorderen Zimmer befand und die Tür hinter sich zugemacht hatte, drehte er sich um, schlug ein Schnippchen und brummte vergnügt:
„O du tausendfacher Dummkopf du! Du bist im ganzen Leben nicht zu kurieren. Und diesen albernen Menschen haben wir für gefährlich gehalten! Sind wir da nicht noch viel dümmer gewesen als er?“
Und drinnen im kleinen Zimmer lächelte Fritz leise vor sich hin und sagte zu sich selbst:
„Jetzt wird er draußen lachen und seine Glossen reißen. Dieser Franzmann ist doch ein unendlich gescheiter Kerl! Er hat die Güte gehabt, mir die allerbeste Auskunft zu geben. Nun weiß ich genau, woran ich bin. Diese Linie vom Steinbruch aus über die Ecke des Waldes ist ganz famos. Ich werde den Herrn Doktor erfreuen, wenn ich ihm heute abend sagen kann, wo sich dieses Waldloch befindet. Ich breche sofort auf, um es mir anzusehen. Aber vorher muß ich nach Hause, erstens um beim Wirt keinen Verdacht zu erregen, und zweitens, um mir noch eine Waffe zu holen. Man weiß nicht, ob ich gleich draußen bleiben muß.“
Er ging, um einen Revolver zu sich zu stecken und verließ dann die Stadt, indem er die Richtung nach dem ihm sehr wohl bekannten Steinbruch einschlug. –
Müller war froh gewesen, vom Wirt loszukommen. Er nahm sich vor, nicht direkt nach Schloß Ortry zu gehen, sondern das Forsthaus aufzusuchen und lenkte also von der Straße ab. –
Unterdessen hatte sich auf dem Schloß eine aufregende und etwas stürmische Szene ereignet.
Noch befanden sich nämlich die beiden Rallions hier, Vater und Sohn. Die Wunde, welche Fritz bei seiner Flucht aus der Ruine dem ersteren in die Hand beigebracht hatte, war als nicht bedeutend erkannt worden. Der Schnitt jedoch, welchen der Deutsche dem Sohn versetzt hatte, war fataler. Erstens verursachte er eine heftige Entzündung und große Schmerzen, und sodann entstellte er das Gesicht, auf welches der Oberst stets sehr eitel gewesen war.
Es verstand sich ganz von selbst, daß die beiden Grafen sich nicht in der allerbesten Laune befanden. Ihre heimlichen Angelegenheiten befanden sich zwar scheinbar im besten Gang, aber in Beziehung der beabsichtigten Verbindung des Obersten mit Marion wollte sich kein erfreulicher Fortschritt zeigen. Darum war Rallion, der Vater, am Morgen, als Marion beim Unterricht ihres Bruders zugegen war, zu dem alten Kapitän gegangen.
Er fand denselben über Briefen und Berechnungen sitzend. Der Alte reichte ihm die Hand und fragte ihn nach dem Grund des unerwarteten Besuchs.
„Hier“, sagte Rallion, „lesen Sie die Botschaft, welche mir durch die Morgenpost zugegangen ist.“
Der Kapitän nahm das Papier. Es enthielt nur wenige Zeilen, welche also lauteten:
„Dem Grafen Jules Rallion auf Ortry!
Kommen Sie sofort. Ihre Gegenwart ist dringend notwendig, um Gegenströmungen zu bekämpfen.
Herzog von Gramont.“
Der Befehl war also von dem Minister des Auswärtigen unterzeichnet, welcher, der Kaiserin zur Seite stehend, zu der Kriegspartei gehörte.
„Was sagen Sie dazu?“ fragte Rallion.
„Daß Sie reisen müssen. Wer mag der Urheber dieser Gegenströmung sein?“
„Das ist mir hinlänglich bekannt, interessiert mich aber augenblicklich gar nicht. Sie selbst sagen, daß ich reisen müsse. Aber denken Sie dabei auch an die Absichten, welche mich zu Ihnen führten?“
„Natürlich.“
„Sie sind unerfüllt geblieben.“
Der Alte blickte verwundert auf. Er legte die Feder weg, zupfte an den Spitzen seines Schnurrbartes und sagte:
„Daß ich nicht wüßte. Sie haben gesehen, daß unsere Organisation nahezu vollendet ist. Sie haben ferner die Vorräte gesehen, welche sich täglich vergrößern und –“
Rallion schnitt ihm mit einer raschen Handbewegung das Wort ab und fiel ein:
„Das ist es nicht, was ich meine, ich denke vielmehr an unsere Privatangelegenheit.“
„Nun, ist diese nicht in Ordnung?“
„Was nennen Sie Ordnung, bester Kapitän?“
„Den gegenwärtigen Zustand der Dinge.“
„Pah, ich finde ihn sehr unbefriedigend, also nicht in Ordnung!“
Der Alte sah ihn groß an; auf seiner Stirn zeigte sich eine Falte des Unmuts.
„Mein lieber Graf“, sagte er, „wenn ich von Ordnung spreche, so weiß ich, was ich sage. Ich hoffe, Sie kennen mich.“
„Ja, ich kenne Sie allerdings; aber selbst der sorgfältigste Rechner irrt sich einmal. Vielleicht nähern wir uns einem Fazit, an welches wir nicht gedacht haben.“
„Wieso? Es gibt Gründe, welche uns eine Verbindung unserer Kinder dringend wünschen lassen. Ich habe Ihnen gesagt, das Marion die Gemahlin Ihres Sohnes wird. Beide haben sich hier eingefunden, um sich kennenzulernen. Ist das nicht genug?“
„Nein, das ist es nicht.“
Da zog sich ein eigentümliches Lächeln über das Gesicht des Alten.
„Hm!“ sagte er. „Sollten Sie so heißblütig sein, an eine sofortige Vermählung zu denken?“