„Nun, so will ich die kurze Unterhaltung nicht unnützerweise in die Länge ziehen und dir sagen, daß ich zweierlei einzuwenden habe.“
Das war doch ein ganz und gar eigentümliches Verhalten!
Es zuckte über des Alten Gesicht wie Wetterleuchten, dann fragte er:
„Nun, was ist es, was meinst du?“
Seine Stimme hatte einen wegwerfenden, beleidigenden Ton.
„Zweierlei, woran du gar nicht zu denken scheinst“, antwortete sie; „nämlich meine Menschenrechte und meinen persönlichen Willen!“
Da zog sich sein Bart drohend empor. Er fragte:
„Was soll das heißen?“
„Daß ich den von dir anbefohlenen Bräutigam zurückweise. Ich werde den Obersten Rallion nie heiraten!“
„Ah! Das ist lustig“, lachte er. „Wie willst du das anfangen, Marion?“
„Frage dich vielmehr, wie du es anfangen willst, mich zur Frau eines Mannes zu machen, den ich verabscheue!“
„Das kannst du dir denken! Ich werde dich zwingen!“
Sie zuckte die Achsel, und dieses charaktervolle, feste Achselzucken stand ihr gar prächtig zu dem ernsten, bleichen Gesicht.
„Auch das begreife ich nicht, wie du mich zwingen willst“, antwortete sie. „Ich bin kein Kind. Die Obrigkeit gewährt mir ihren Schutz. Wenn ich einem Mann gehöre, so wird es nur derjenige sein, den ich mir selbst wähle. Ich räume in dieser Angelegenheit weder dir noch einem anderen Menschen einen Einfluß oder gar ein Recht über mich ein!“
Das war dem Alten zu viel. Er trat einen Schritt auf sie zu und donnerte:
„Das wagst du mir zu sagen, mir, mir.“
„Ja, dir“, antwortete sie kalt.
„Du ahnst es nicht, welche Mittel ich habe, dich zu zwingen!“
„Du kannst nicht ein einziges haben!“
„Du bist ruiniert, wenn du nicht gehorchst!“
„Wohl! Ich werde das zu tragen wissen!“
„Deine Familie ist ebenso ruiniert!“
Da schüttelte sie mit einer wahrhaft königlichen Bewegung den Kopf und antwortete, indem sich ein geringschätziges Lächeln um ihre Lippen zeigte:
„Ich bitte dich dringend, solche verbrauchten Theatercoups zu vermeiden. In Romanen und auf der Bühne kommt es vor, daß eine Tochter, welche ihre Familie liebt, um diese vor dem Untergang zu retten, ihre Hand einem ihr verhaßten Mann gibt. Hier aber spielen wir nicht Theater, und sodann habe ich auch keine Veranlassung, meiner Familie ein solches Opfer zu bringen.“
„Ungeratene Person! Weißt du, daß wir dich aus dem Haus stoßen können?“
„Tut es! Dann bin ich frei. Das ist es ja, was ich wünsche!“
„Ah!“ knirschte er. „Frei! Frei willst du sein. Du gibst mir gerade das Mittel, dich zu zähmen, in die Hand. Ich werde dich einsperren, bis du dich fügst!“
„Das darfst du nicht. Das Gesetz bestraft die unerlaubte Freiheitsberaubung.“
„Was frage ich nach dem Gesetz. Hier gilt einzig und allein mein Wille. Den deinigen werde ich zu brechen wissen. Du hast mir sofort zu sagen, ob du mir gehorchen willst.“
Die Baronin hatte Widerwillen erwartet, aber keinen Widerstand. Sie erhob sich, besorgt, über die Szene, welche sich jetzt entwickeln werde. Der Alte hatte sich bei den letzten Worten Marion noch um einen Schritt genähert. Sie zeigte dennoch keine Spur von Frucht, sondern sie antwortete ohne die mindeste Scheu:
„Es bleibt bei dem, was ich gesagt habe.“
„So kommen die Folgen über dich! Zeig her, Mädchen!“
Er wollte mit beiden Händen nach ihr fassen, fuhr aber mit einem lauten Schreckenslaut zurück. Auch die Baronin sprang in die äußerste Ecke des Zimmers. Marion hatte die rechte Hand in der Tasche gehabt. Als der Alte sie erfassen wollte, zog sie dieselbe hervor: eine große Brillenschlange fuhr ihm mit weitgeöffnetem Rachen entgegen.
„Was ist denn das?“ rief er. „Woher ist die Bestie?“
„Ein Gruß aus Algerien ist es“, antwortete sie. „Fasse mich an, wenn du den Mut dazu hast.“
„Ah! Du hast mit Abu Hassan, dem Zauberer, gesprochen!“
„Ja“, antwortete sie.
„Wohin ist er?“
„Suche ihn! Und nun zwinge mich, den Obersten zu heiraten.“
Sie drehte sich um und verließ das Zimmer. Jetzt erst atmete die Baronin wieder auf.
„Mein Gott“, rief sie. „Welch ein Auftritt. Welch ein Affront. Dieses Mädchen wagt es, ein so giftiges, scheußliches Tier anzurühren.“
Der Alte wendete sich zu ihr und sagte:
„Jammern Sie nicht. Dieses Mädchen hat mich überrumpelt. Es ist das erstemal in meinem Leben, daß es geschehen ist. Die Schlange ist nicht giftig; die Zähne sind ihr genommen; sie würde zunächst ihre Trägerin beißen und töten.“
„Warum flohen Sie denn?“
„Die Überraschung. Aber es soll ihr nichts nützen. Wann und wo hat sie mit diesem Abu Hassan gesprochen? Was hat er ihr erzählt? Das muß ich wissen! Das muß ich erfahren.“
„Kennen Sie diesen Menschen?“
Jetzt erst merkte er, daß er sich eine Blöße gegeben hatte. Darum fuhr er sie zornig an:
„Was geht Sie das an! Gehen Sie! Gehen Sie zu der Dirne, und sagen Sie ihr, daß ich ganz bestimmt erwarte, daß sie bis zur Dämmerung des heutigen Tages ihren Entschluß ändere. Tut sie das nicht, so wird sie einsehen müssen, daß ich viel mächtiger bin als sie.“
Er schob die Baronin zur Tür hinaus und verschloß die letztere hinter sich. Niemand wußte, was er jetzt vornahm. Und selbst, als nach einiger Zeit der Graf klopfte, wurde nicht geöffnet, sondern es ertönte nur die Frage:
„Wer ist draußen?“
„Ich, Graf Rallion.“
„Was wollen Sie?“
„Antwort!“
„Warten Sie bis zur Dämmerung. Ich habe jetzt keine Zeit.“
Der Graf mußte ohne Resultat zurückkehren. –
Als Marion in ihr Zimmer kam, fand sie dort Nanon ihrer harrend. Diese hatte natürlich den Befehl des Alten vernommen und ahnte, daß die Freundin des Trostes bedürfen werde.
„Mein Gott, wie bleich du bist!“ rief sie ihr entgegen. „Was ist geschehen?“
„Was ich längst erwartete.“
„Oberst Rallion?“
„Ja, liebe Freundin.“
„Dein Großvater verlangte es, und was hast du geantwortet?“
„Das, was ich mir vorgenommen hatte: Ich werde nie Gräfin Rallion sein.“
Sie setzte sich neben Nanon auf das Sofa. Die Freundin brannte vor Neugierde, über die stattgefundene Szene unterrichtet zu werden, sagte aber doch vorher:
„Weißt du, was du über den Obersten sagtest, als du ihn zum ersten Mal gesehen hattest?“
„Nun?“
„Er sei nicht übel.“
„Weiter nichts?“
„Er erscheine galant, ja chevaleresk. Und nun?“
„Das war nicht ein Urteil von mir, sondern ich hatte nur die Absicht, den ersten Eindruck zu bezeichnen, den er auf mich machte.“
„Und dieser Eindruck hat sich verwischt?“
„Vollständig. Der Oberst ist ein Laffe, und nicht nur das, sondern er erscheint mir jetzt als ein herz- und gewissenloser Mensch. Und sein Vater macht einen Eindruck auf mich, der mich zum Fürchten bringen könnte. Denk an das Verhalten des Obersten gegen diesen armen, braven Doktor Müller.“
Nanon nickte.
„Ihm sein Gebrechen vorzuwerfen, an welchem er so schuldlos ist!“
„Müller hat die Beleidigung nur aus Rücksicht für mich so ruhig hingenommen. Er ist ein außerordentlicher Mensch. Er zwingt mir, trotzdem er bloß Lehrer ist, die allergrößte Achtung ab.“
„Und dazu seine sonderbare Ähnlichkeit mit – mit deinem Ideal“, bemerkte Nanon lächelnd.
„Es mag sein, daß dieses Naturspiel einen ganz unwillkürlichen Eindruck äußert; aber auch abgesehen davon, ist dieser Müller ein Mann, den man achten und vielleicht sogar – lieben könnte, wenn –“