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„Nun, wenn?“

„Wenn er nicht – nicht –“

„Wenn er nicht nur Lehrer und noch dazu bucklig wäre?“

„Das allerdings. Er hat einen ganz eigenartigen Eindruck auf mich gemacht. Es ist mir oft, als wenn ich ihn umarmen müsse. Dir als meiner innigsten Freundin darf ich das sagen. Ich könnte ihm mein Leben, meine Seele anvertrauen.“

„Oh weh. Und das Ideal?“

Marion blickte trübe vor sich hin.

„Es wird mir unerreichbar bleiben“, sagte sie. „Wo ist er, den ich damals gesehen habe? Wo ist er? Ist er Mann, ist er Jüngling? Es ist eine Torheit, sein Herz an ein Phantom zu hängen. Ich bestehe jetzt aus zwei Einzelwesen, die ich nicht begreife. Die Wirklichkeit wird mich leider bald zur Selbsterkenntnis bringen. Ich fürchte, daß ich einer trüben Zeit entgegengehe.“

Da legte Nanon den Arm um die Freundin und sagte:

„Ich werde mit dir dulden, ich werde dich nicht verlassen.“

„Ja, du Liebe, du Gute, das wirst du. Ich muß leider annehmen, daß der Großvater auf Schlimmes sinnt. Er ist höchst rücksichtslos und gewalttätig. Er wollte mich einsperren.“

„Einsperren? Mein Gott, wie bist du dem entgangen?“

„Ich habe ihm gedroht.“

„Womit?“

„Mit dem Gesetz.“

Das war allerdings wahr, aber die volle Wahrheit wollte sie doch nicht sagen. Der Besitz der Schlange war der Freundin bisher noch Geheimnis geblieben.

„Dieses Gesetz wird dich schützen“, sagte Nanon.

„Wenn ich Gelegenheit habe, es anzurufen. Wenn man sich meiner aber plötzlich bemächtigt, wie will ich da Zuflucht zu dem Richter finden?“

„Ich würde Anzeige machen.“

„Wer weiß, ob es fruchten würde. Wie waren wir vor kurzer Zeit noch so glücklich. Und jetzt? Weißt du, wie Müller mit mir ins Wasser sprang?“

„Und der andere mit mir“, fügte Nanon schnell hinzu.

„Jetzt ist es mir, als ob mir ein ganz ähnliches Unwetter, eine ganz gleiche Gefahr nahe sei. Und wenn ich während des Unterrichts bei dem Bruder sitze und des Müllers Augen ruhen forschend auf mir, so ist es mir, als ob ich mich ihm auch in dieser Gefahr anvertrauen könne und müsse.“

„Ist das nicht phantastisch, liebe Marion?“

„Was nennst du phantastisch? Gehören Gefühle in das Reich der Wirklichkeit oder der Phantasie? Willst du mich deswegen belächeln, weil ein einfacher Hauslehrer einen solchen Eindruck auf mich macht, daß ich stets und immer an ihn denken muß?“

„Nein. Er ist ja dein Lebensretter und hat auch deinen Bruder gerettet.“

„Und sodann, wenn er so still an der Tafel sitzt, oder wenn er sich so sicher mitten unter uns bewegt, so ist es mir, als ob er alles beherrsche, und als ob selbst der Großvater Furcht vor ihm haben müsse. Ich begreife mich eben nicht – ich, und er, ein Lehrer.“

Da legte Nanon das Köpfchen an ihre Schulter und sagte halblaut, fast im Ton der Verschämtheit:

„Wenn du dich nicht begreifst, ich begreife dich, Marion.“

„Du? Bist du so plötzlich eine so große Menschenkennerin geworden?“

„Ja, eine sehr große. Mein Beispiel erklärt mir nämlich das deinige.“

„Du spricht von einem Beispiel.“

„Ja. Auch ich habe jemand, an den ich immer denken muß.“

„Du? Du?“ fragte Marion überrascht.

„Ja, ich.“

Da schob Marion die Gesellschafterin sanft von sich fort, um ihr in das erglühende Gesichtchen blicken zu können und fragte, während aus ihrem Ton fast eine Art Entzückung klang:

„Du? Du? Kleine Nanon, du liebst?“

Die Gefragte senkte die Augen und antwortete:

„Ich weiß es nicht.“

„Aber du denkst an ihn?“

„Oft, sehr oft.“

„Und gern?“

„Mit Freuden. Und dann, wenn ich ihn treffe und mit ihm spreche, so –“

„Ach, du triffst ihn, du sprichst sogar mit ihm? Wo?“

„Denk dir, im Wald.“

„Im Wald? Das ist ja ganz und gar romantisch. Du hast einen Geliebten, ohne daß ich es weiß!“

„Ich kann es ja selbst nicht sagen, ob ich ihn liebe.“

„Das mußt du doch wissen.“

„Ich weiß nur, daß ich ihm gut bin, herzlich gut.“

„Nun, dann liebst du ihn auch. Darf ich vielleicht wissen, wer er ist? Oder muß es Geheimnis bleiben?“

„Vielleicht ist es besser, daß ich es verschweige. Du würdest dich wundern, du würdest mich schelten, oder gar mich auslachen.“

„Denke das ja nicht. Warum sollte ich denn das tun?“

„Weil er kein vornehmer Herr ist, den ich meine.“

„Dann irrst du sehr. Der, für welchen ich mich in neuerer Zeit so sehr interessiere, ist ja auch nur ein Lehrer.“

„Aber der meinige ist noch viel weniger.“

„So sage es doch.“

Da drängte sich Nanon ganz an die Freundin heran, verbarg das Gesicht ganz an deren Brust und sagte:

„Denk dir, er ist nur ein Kräutersammler.“

Marion machte eine Bewegung des Erstaunens. Sie fragte:

„Ein Kräutersammler? Wohl gar dein Lebensretter, und du triffst ihn im Wald?“

„Ja, ganz unwillkürlich.“

„Wie wunderbar“, sagte Marion. „Aber doch wie leicht erklärlich! Derjenige, dem man das Leben verdankt, hat jedenfalls das Verdienst, daß man oft und gern an ihn denkt. Weiß er, daß du ihn liebst?“

„Er bemerkt jedenfalls, daß ich ihn gut leiden kann. Und, meine liebe Marion, ich muß dir etwas gestehen, aber wirst du mich nicht auslachen, wirklich nicht?“

„Nein, meine Liebe, ganz gewiß nicht. Das sind so ernste Sachen, daß ich ans Lachen gar nicht denken werde.“

„Nun, so will ich dir gestehen, daß – daß ich ihn, daß ich ihn bereits geküßt habe!“

„Wirklich? Wirklich? Ist das möglich!“

„Ja“, antwortete Nanon, bis in den Nacken erglühend.

„Er hat dich geküßt, willst du wohl sagen?“

„Nein, sondern ich ihn!“

„Das ist ja unbegreiflich! Wie ist denn das gekommen?“

„Ich muß es dir erzählen. Wir trafen uns im Wald, zufällig, wirklich ganz zufällig. Ich hatte mich verirrt und rief aus Angst laut um Hilfe. Da kam er des Weges daher.“

„Und rettete dich abermals!“ lächelte Marion.

„Ja, er kam. Ich war müde und setzte mich, und er ließ sich neben mir nieder. Hast du ihn genau betrachtet?“

„Nein.“

„Nun, als er so vor mir im Moos lag, da fiel es mir auf, was für eine prächtige Gestalt er hat, so stark, so kräftig und doch so proportioniert. Seine Hände und Füße sind so klein, wie bei einem Aristokraten und gar nicht wie bei einem gewöhnlichen Pflanzensammler.“

„So genau hast du ihn betrachtet?“

„Ja; aber geh! Du lachst doch! Und sein Gesicht, so lieb und gut, seine Augen so treu und ehrlich. Wir sprachen viel; wir kamen auch darauf, daß er mich aus dem Wasser gerettet hatte, und da redete ich von Dankbarkeit, die ich gar nimmer abtragen könne. Da sagte er, daß ich mit einem Mal die ganze Schuld bezahlen könne, und zwar so, daß nun er mein Schuldner werde.“

„Was verlangte er? Ich ahne es! Einen Kuß.“

„Nein. Er ist gut und bescheiden! Er bat mich um die Erlaubnis, meine Hand küssen zu dürfen.“

„Das erlaubtest du ihm natürlich!“

„Nein. Ich weiß gar nicht, wie mir wurde und was mich da überkam. Es war eine große, gewaltige Rührung. Ich hätte weinen mögen, ob vor Freude, oder vor Schmerz, das weiß ich nicht. Es war mir, als sei es geradezu eine Beleidigung, eine Herabsetzung, wenn ich ihm meine Hand zum Kuß gäbe, und da – da hielt ich ihm lieber den Mund hin.“

„Ich kann mir's denken; das war wie Inspiration. Du konntest nicht anders?“

„Ja, so ist es. Hast du so eine Eingebung auch an dir erfahren?“

„Oft; aber ich habe ihr nicht Folge geleistet.“

„Warum nicht?“