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„Genug.“

„Und etwas gegen den Hunger?“

„Das habe ich vergessen.“

„So werde ich dir etwas mitbringen. Also, halte gute Wacht, aber laß dich ja nicht erblicken!“

Sie trennten sich. Fritz suchte ein möglichst gutes Versteck unter den Sträuchern, und Müller wanderte raschen Schritts dem Schloß zu. Die Dämmerung war angebrochen, und als er die Freitreppe emporstieg, sah er Marion aus der Tür ihres Zimmers treten. Indem sie an ihm vorüberschritt, raunte sie ihm zu:

„Zum Kapitän befohlen!“

„Nur Mut!“

Dann begab er sich hinauf in sein Zimmer, ließ aber die Tür offen, um hören zu können, wenn Marion den Alten wieder verließ.

Als das mutige Mädchen bei dem letzteren eintrat, befand sich, gerade wie früher, die Baronin bei ihm. Er zeigte eine womöglich noch finsterere Miene und sagte in zornigem Ton:

„Weißt du, was nach unserer Unterredung zwischen dir und der Baronin in deinem Zimmer gesprochen worden ist?“

„Ja, sehr genau.“

„Und zwar in Gegenwart deiner Gesellschafterin.“

„Nanon war allerdings bei mir.“

„Du hast gesagt, daß wir beide einander wert seien?“

„So war es.“

„Wie hast du das gemeint?“

„Genau so, wie ich es gesagt habe.“

„Diese Worte sind höchst zweideutig. Wüßte ich, daß du die weniger gute Bedeutung beabsichtigt hättest, so würdest du deiner Strafe nicht entgehen.“

„Ich überlasse es euch beiden, die Bedeutung herauszulesen.“

„Du hast gehört, daß ich dir nur bis zu dem gegenwärtigen Augenblick Zeit zur Entscheidung gegeben habe.“

„Das war überflüssig.“

„Ich werde dir das Gegenteil beweisen. Also, was hast du beschlossen?“

„Ich habe meinen Entschluß nicht geändert.“

„So werde ich ihn zu ändern wissen.“

Sie wendete sich nach der Tür und fragte:

„Hast du noch etwas zu bemerken?“

„Jawohl!“ donnerte er sie an. „Ich habe dir nämlich zu bemerken, daß ich dich heute abend mit dem Oberst Rallion in aller Form und Gültigkeit verloben werde!“

Da zuckte sie ganz stolz und kalt die Achseln und sagte:

„Ich möchte doch wissen, wie du das fertigbringen wolltest.“

„Ich werde es dir beweisen.“

„Pah! Ich will dich nicht in Verlegenheit bringen. Ich würde ‚Nein‘ sagen, und dann wollte ich den Frechen doch sehen, der es wagte, mich als seine Verlobte zu bezeichnen!“

„Ich werde dich sogar zwingen, mich in diese Verlegenheit zu bringen. Du bleibst jetzt hier bei mir, bis ich dich selbst in den Salon führe. Setz dich.“

Da klang ein kurzes, silbernes Lachen von ihren Lippen.

„Mache dich nicht lächerlich“, sagte sie. „Heute mittag war es mir nicht erlaubt, Platz nehmen zu dürfen, und jetzt beliebt es dir, mich zum Sitzen zu befehlen. Wann wirst du nur endlich einmal einsehen, daß ich nicht mehr buchstabieren gehe! Solche Fehler solltest du unterlassen!“

„Das ist stark! Das ist zu stark!“ rief die Baronin, zitternd vor erkünstelter Empörung.

Der Alte stand starr und steif mitten im Zimmer. So etwas war ihm noch nicht passiert, so etwas wagte man ihm in seinem eigenen Zimmer zu sagen. Die Haare seines Schnurrbarts sträubten sich empor, wie die Mähnenborsten einer Hyäne, seine Zähne knirschten aufeinander, und dann stieß er mit vor Grimm heiserer Stimme hervor:

„Das wagst du mir, mir, mir zu sagen, Mädchen! Auf der Stelle kniest du nieder, um mir Abbitte zu tun!“

Er deutete mit der Hand auf den Boden, gerade vor sich hin. Er zitterte am ganzen Körper vor Wut.

„Ich knie vor Gott“, antwortete sie, „nie aber vor einem Menschen, am allerwenigsten vor dir.“

Da stieß er einen geradezu tierischen Laut aus, faßte sie am Arm und schrie:

„Gut, nicht hier, nicht hier! Ganz wie du willst! Aber unten, unten sollst du kniend Abbitte leisten, öffentlich vor den Gästen und vor aller Dienerschaft. Du sollst gezwungen werden, laut zu erzählen von –“

Mit einem kräftigen Ruck zog sie den Arm aus seiner Hand und fiel mit lauter, drohender Stimme ein:

„Gezwungen werden? Ich brauche zum Erzählen nicht gezwungen zu werden. Ich werde freiwillig erzählen, laut und öffentlich, ganz so, wie du es hier verlangt hast, so laut, daß jedermann es hören kann, von dem Fruchthändler Malek Omar –“

Sie machte hier mit Bedacht eine Kunstpause. Die Baronin blickte erstaunt auf. Der Alte aber fuhr erschrocken zurück.

„Von Ben Ali, seinem Gefährten“, fuhr sie fort.

„Was weißt du von Malek Omar!“ rief er.

„Gerade so viel wie von Hadschi Omanah, der mit seinem Sohne ermordet wurde!“

Da fuhr er sich mit beiden Händen nach dem Kopf. Die Haare, so wenig er ihrer hatte, wollten ihm schier in die Höhe stehen. Es wurde ihm blau und rot vor den Augen, es summte und brummte ihm in den Ohren, und er griff nach dem Tisch, um nur einen Halt zu finden.

Aber seine eiserne Konstitution war des Anfalls bald Herr geworden. Er wendete sich zur Baronin:

„Bitte, verlassen Sie uns. Es ist nicht nötig, daß Sie Zeuge der Züchtigung sind, welche ich dieser Person erteilen werde.“

Das war der Baronin genug. Marion gezüchtigt! Vielleicht gar körperlich! Welch eine Genugtuung für die Frau, welche so eifersüchtig auf die Schönheit ihrer Stieftochter war. Sie erhob sich von ihrem Stuhl, warf einen schneidend höhnenden Blick auf das Mädchen und sagte:

„Verdient hat sie die schärfste Strafe. Nachsicht wäre hier Sünde.“

Damit rauschte sie zur Tür hinaus.

Der Alte wartete wortlos, bis ihre Schritte verklungen waren, sodann kreuzte er die Arme über die Brust und fragte in einem Ton, der fast pfeifend aus der Kehle drang:

„Jetzt heraus! Was weißt du von Hadschi Omanah!“

„Daß er ermordet wurde, er und sein Sohn!“

„Ah! Von wem? Von wem?“

„Von Malek Omar und Ben Ali.“

„Das ist Lüge, dreifache, zehnfache Lüge!“

„Das ist Wahrheit, die lautere Wahrheit.“

„Welchen Grund sollten sie gehabt haben, ihn zu ermorden?“

„Der Dokumente wegen, welche sie ihm abnehmen wollten.“

Er holte tief und ängstlich Atem.

„Woher weißt du das?“ fragte er. „Wer hat es dir gesagt?“

„Das ist mein Geheimnis.“

„Oho! Ich muß es wissen!“

„Du? Du weißt mehr, als ich dir zu sagen brauche. Aber sprich noch einmal von meiner Verlobung oder gar von einer Züchtigung, so wird auch der Richter alles erfahren. Du hast niemals Erbarmen gehabt, nun erwarte auch keines von mir!“

Bei diesen Worten drehte sie sich um und verließ das Zimmer. Die Tür der Baronin war geöffnet, sie hatte hören wollen, welcher Art die angedrohte Züchtigung sein werde. Sie fand gar nicht Zeit, zurückzutreten, als Marion vorüberging, von der sie keinen einzigen Blick erhielt. Sie begann zu ahnen, daß der Alte dieses Mal unterlegen sei.

Auch jetzt fand Marion die Freundin ihrer wartend. Nanon hatte jedenfalls mehr Angst ausgestanden als Marion.

„Nun, wie ist es abgelaufen?“ fragte sie.

„Sehr gut. Ganz zur Zufriedenheit“, antwortete Marion.

„Das war ja kaum zu denken, da du beschlossen hattest, dich nicht zu fügen.“

„Ich hab mich nicht gefügt und dennoch gesiegt.“

„Infolge des guten Gedankens, von dem du vorhin sagtest, daß er dir während des Spazierganges gekommen sei?“

„Ja.“

„Weicher Gedanke war das?“

„Doktor Müller.“

„Ah! Du hast ihn getroffen?“

„Im Steinbruch.“

„Und der Gedanke kam von ihm.“

„Ja. Er hat mir einen Rat gegeben, ich befolgte ihn und habe alle Ursache, mit der Wirkung zufrieden zu sein.“

„Wenn er dir einen Rat gegeben hat, so mußt du ihn doch um einen solchen gebeten haben?“