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„Monsieur“, fragte er. „Es muß etwas sehr Notwendiges sein, was Sie zu mir führt. Ist jemand krank?“

„Nein, Herr Doktor“, lächelte der Wachtmeister. „Es ist vielmehr sogar jemand ganz tot, und eine andere Person soll erst krank werden.“

„Ganz tot? Ah! Eine Leichenschau? Und krank werden? Das verstehe ich nicht.“

„So muß ich mich verständlicher machen.“

„Ich bitte Sie darum. Setzen Sie sich, und stecken Sie sich hier eine von diesen Zigarren an.“

„Mit Vergnügen, denn Sie pflegen nichts Schlechtes zu rauchen.“

Fritz wußte ganz genau, wie er es mit dem Arzt hielt. Dieser hatte ihm genug Andeutungen gegeben, daß er sich gegebenenfalls auf ihn verlassen könne. Der Wachtmeister brannte sich ganz ungeniert eine Zigarre an, nahm Platz und sagte:

„Ich bin Ihr Diener, Herr Doktor, Ihr Kräutermann, also Ihr Untergebener und da –“

„Ah pah, lieber Herr“, fiel da der Doktor schnell ein. „Sie beginnen mit vollständig falschen Prämissen. Ich bin nicht Ihr Herr, Ihr Prinzipal, sondern Ihr Freund und stelle mich Ihnen zur Verfügung.“

„Danke bestens! Würden Sie mir einen Urlaub von zwei Tagen geben?“

„Gern. So lange Sie wollen. Sie wissen ja ebensogut wie ich selbst, daß Sie nicht von mir abhängig sind. Sie wollen reisen?“

„Ja. Zu dem Toten, von welchem ich sprach, und den Sie glücklicherweise nicht zu beschauen brauchen. Er wird nicht wieder lebendig. Er ist ein Verwandter von Mademoiselle Nanon, nämlich ihr Pflegevater. Sie will beim Begräbnis gegenwärtig sein, und da hat sie mich gebeten –“

„Sie zu begleiten?“ fiel der Arzt ein.

„Ja, so ist es.“

Bertrand lächelte vielsagend, verbeugte sich und meinte:

„Gratuliere.“

„Zu der Leiche? Ah, das ist nicht gebräuchlich.“

„Nein, sondern zu der Eroberung.“

„Hm. Das ist eine zweifelhafte Geschichte. Nicht ich habe sie, sondern sie hat mich erobert.“

„Es ist ganz das gleiche Glück. Wie ich Mademoiselle Nanon kenne, so würde ich sie selbst heiraten, wenn –“

„Wenn ich es mir gefallen ließe, Herr Doktor. Da ich das aber auf keinen Fall tun werde, so – verstanden?“

„Verstanden“, lachte Bertrand. „Also über das eine sind wir uns klar. Wie nun das andere?“

„Der, welcher krank werden soll? Na! Hm! Ich kenne nämlich einen Menschen, einen schlechten Kerl, um den es gar nicht schade wäre, wenn ihn der Teufel holte.“

„Das ist sehr unchristlich gedacht.“

„Sehr christlich sogar, denn das Christentum lehrt ja von einem Teufel, welcher umhergeht und die Menschen verschlingt. Übrigens war dieses ‚Teufel holen‘ nur ein bildlicher Ausdruck. Ich meinte den Tod anstatt den Teufel und wollte sagen, daß es nicht schade wäre, wenn dieser Mensch zu seinen Ahnen versammelt würde.“

„So, so. Weiter.“

„Dennoch will ich ihn nicht ganz und gar tot machen.“

„Sehr mild und liebenswürdig.“

„Ja; ich finde das auch. Er soll nämlich nur für kurze Zeit krank werden.“

„Das ist ein ganz eigentümlicher Vorsatz, lieber Herr.“

„Ich habe nämlich alle Gründe dazu.“

„Und ich errate, warum Sie zu mir kommen, um es mir zu sagen.“

„Das ist mir lieb. Ich wünsche nichts Unbilliges; ich verlange und beabsichtige nichts, was verbrecherisch wäre. Der Mann, von welchem ich spreche, hat nämlich gewisse Absichten, welche ich nicht zustande kommen lassen darf. Ich kann sie aber nur dann verhindern, wenn es mir möglich ist, ihn für einige Tage an das Zimmer, an das Bett zu fesseln.“

„Hm! Er ist es also, der krank werden soll? Ich will nicht fragen, von wem Sie sprechen. Ich kenne Sie und vertraue Ihnen. Aber eins muß ich fragen: Weiß der Herr Doktor Müller von der Sache und billigt er sie?“

„Ganz und gar.“

„Hat er gesagt, daß Sie sich in dieser Angelegenheit an jemand, an mich wenden sollen?“

„Nein. Ich selbst habe ihm diese Proposition gemacht.“

„Und er hat seine Genehmigung erteilt?“

„Er hat sie mir nicht gerade verweigert; er hat das Gespräch abgebrochen.“

„Ich verstehe das. Er hat gewußt, daß ich Ihnen nicht zu Diensten stehen darf.“

Er machte bei diesen Worten eine so eigentümliche Miene, daß Fritz ein geistig wenig begabter Mensch gewesen wäre, wenn er ihn nicht sofort verstanden hätte. Er sagte darum:

„Das weiß auch ich. Es war auch gar nicht meine Absicht, eine Bitte an Sie zu richten. Aber die Sache begann, mich zu interessieren, und da ich noch Licht bemerkte, glaubte ich, Sie für einen Augenblick stören zu dürfen. Gibt es wirklich Mittel, Krankheiten hervorzurufen?“

„Gewiß!“

„Aber diese Mittel sind gefährlich?“

„In der Hand des Laien, ja. Der Arzt ist öfters in der Lage, sie anzuwenden.“

„Sapperlot! Der Arzt macht also öfters seine Patienten krank?“

„Ja, und zwar, um Schlimmeres abzuwenden. Ich werde Ihnen dies an einem Beispiel erklären. Ich impfe eine Person, das heißt, ich bringe einige vorübergehende unschädliche Pusteln hervor, damit diese Person vor der oft lebensgefährlichen Blatternkrankheit bewahrt bleibe.“

„Das ist leicht einzusehen. Ich bin ebenso. Ich habe im Krieg als Soldat einem Feind mit dem Säbel eins in den Arm versetzt, damit ich ihm nicht den Kopf entzwei zu hauen brauchte. Auch mein Mittel ist, wie Sie zugeben werden, in der Hand des Laien gefährlich. Ihre Mittel sind nur in der Apotheke zu haben?“

„Eigentlich. Doch gibt es auch Ärzte, welche eine Hausapotheke besitzen.“

„Das ist bequem.“

„Und zuweilen auch notwendig. Es gibt mitunter Patienten, denen man den Gang in die Apotheke oder die Geldausgabe ersparen will oder ersparen kann. Kommt zuweilen jemand zu mir, den der Zahn schmerzt, warum soll ich ihn erst in die Apotheke schicken, wenn ich selbst ein Mittel habe, welches fast augenblicklich hilft?“

„Sapperlot! Das ist gut. Das freut mich. Weil ich gerade fürchterliche Zahnschmerzen habe.“

„Seit wann?“

„Seit drei Tagen.“

„Wo sitzen sie denn?“

„Rechts im Schneidezahn und links in den zwei hintersten Backenzähnen.“

„O weh! Wollen Sie einmal zeigen?“

„Ja. Hier!“

Er trat mit der ernsthaftesten Miene vor den Arzt hin und öffnete den Mund so weit er konnte. Bertrand nahm mit ebenso ernster Miene das Licht zur Hand, leuchtete in die Mundhöhle, führte den Finger ein und fragte:

„Ist das der betreffende Schneidezahn und sind dies die beiden Backenzähne?“

„Ja, sie sind es.“

„Nun, dann haben Sie die Güte, einen Augenblick zu warten. Ich werde Sie sofort bedienen. Zahnschmerz ist ein böses Ding. Man kann ihn nicht schnell genug los werden.“

„Das ist wahr. Ich will Vivat rufen, wenn er endlich einmal vorüber ist.“

„Das wird in zwei Minuten der Fall sein.“

Der Arzt hatte, als er in die Mundhöhle leuchtete, zwei glänzende Reihen der prachtvollsten gesündesten Zähne gesehen, dennoch brachte er jetzt einen Kasten herbei, welcher ein sehr verhängnisvolles Äußeres hatte. Er öffnete ihn, und Fritz erblickte eine Sammlung jener allerliebsten Instrumente, Schlüssel und Geißfüße, bei deren bloßem Anblick der Schmerz zu verschwinden pflegt.

„Was ist das?“ fragte er, einigermaßen bestürzt.

„Das sind meine Zahnbrecher.“

„Alle Teufel! Sind denn die bei mir notwendig?“

„Leider sehr.“

„O weh! Das ist eine verdammte Geschichte.“

Es war dem Wachtmeister jetzt zumute, als ob ihn alle zweiunddreißig Zähne schmerzten.

„Es muß aber überstanden werden“, meinte Bertrand. „Der Schneidezahn wird wohl noch zu retten sein; aber die beiden Backenzähne sind unwiderruflich hin und verloren. Die müssen heraus.“