„Halt, ihr beiden da oben!“ rief er. „Bleibt stehen.“
Sie taten, als ob sie den Ruf gar nicht gehört hätten, und schritten weiter.
„Halt! Steht, oder es gibt Feuer!“
Da blickte der eine rückwärts und raunte dem anderen zu:
„Donnerwetter! Sie haben uns im Verdacht. Da sind wir verloren, wenn wir gehorchen. Die Kerls mögen nur zielen. Zwei oder drei schnelle Sprünge, so sind wir um den Wagen herum und den Damm drüben hinab. Vorwärts.“
Im nächsten Augenblick flogen sie am letzten Wagen vorüber.
„Feuer!“ kommandierte der Kapitän.
Fritz hatte, im Coupé noch mit dem Verwundeten beschäftigt, das Verschwinden der beiden sofort bemerkt. Rasch warf er zur offenen Tür hinaus ihnen einen Blick nach.
„Richtig!“ brummte er vergnügt. „Sie wollen auf die andere Seite. Wartet! Dort werde ich euch ‚guten Tag‘ sagen.“
Er öffnete die jenseitige Tür, sprang hinaus, zog den Revolver und eilte bis zur Ecke des letzten Wagens. In demselben Augenblick hörte er das letzte Kommando des Kapitäns. Die Schüsse krachten, aber die Kugeln schlugen durch die beiden Wagenwände, ohne zu treffen, und dann kamen die Flüchtigen um die Ecke gesprungen.
„Willkommen!“ rief Fritz ihnen entgegen. „Habt ihr es so eilig? Halt! Stehenbleiben.“
Die beiden erkannten die Gefahr, in welcher sie schwebten. Der vordere holte aus, um Fritz den Revolver aus der Hand zu schlagen, empfing aber noch eher einen solchen Fausthieb, daß er zu Boden stürzte und für einige Augenblicke seine Beweglichkeit verlor. Der andere riß sein Messer heraus und stürzte sich auf Fritz; aber der tapfere Ulanenwachtmeister empfing ihn mit einem Fußtritt in den Unterleib, so daß auch er niederstürzte und das Messer fallen ließ. Im Nu hatte Fritz seinen Revolver in die Tasche gesteckt und kniete auf den beiden, ihnen mit seinen kraftvollen Fäusten die Kehlen zusammenpressend.
In diesem Augenblick kamen mehrere Soldaten und auch der Kapitän um die Wagenecke gerannt.
„Ah!“ rief dieser letztere ganz außer Atem. „Da sind sie ja.“
„Ja, da liegen sie“, lachte Fritz. „Die Arbeit ist bereits getan. Am besten ist's, Sie lassen sie binden.“
Dieser bestimmte Ton mißfiel dem Offizier.
„Ich denke, daß ich es bin, der zu bestimmen hat, was hier geschehen soll.“
„Ich habe nichts dagegen“, antwortete Fritz, indem er die Hände von den Gefangenen nahm, seinen Hut, der ihm entfallen war, wieder aufsetzte und sich erhob. „Aber bitte, keine Unvorsichtigkeit wieder, Herr Kapitän.“
„Was meinen Sie mit Ihrer Unvorsichtigkeit?“ fragte dieser in zornigem Ton.
„Die beiden Kugeln, welche diese Männer treffen sollten, sind durch den Wagen gegangen. Wie nun, wenn ich getroffen worden wäre?“
„Pah! Sie selbst wären schuld gewesen. Wußten wir, daß sie hinter dem Waggon steckten? Wer hat Ihnen überhaupt geheißen, nach dieser Seite zu gehen?“
„Ich, Herr Kapitän! Hätte ich das nicht getan, so wären die beiden Schurken entkommen. Ehe Ihre Leute erschienen wären, hätten diese Kerls da unten im Gebüsch Deckung gefunden.“
„Das fragt sich sehr, Monsieur.“
„Und überdies liegen in dem Waggon, durch den die Kugeln gegangen sind, Verwundete, welche sehr leicht getroffen werden konnten. Das hätte man sich überlegen sollen.“
„Ah, wer sind Sie, daß Sie es unternehmen, einen solchen Ton anzuschlagen?“
„Das tut hier nichts zur Sache. Die Hauptsache ist vielmehr, daß Sie sich dieser zwei Männer versichern, sonst gehen sie abermals durch.“
Er nickte dem Offizier grüßend zu und kletterte wieder den Damm hinab. Der letztere aber gab sich Mühe, seinen Ärger zu verbeißen und ließ die Gefangenen binden und in ein leeres Coupé bringen, vor welches er eine Wache stellte.
Die beiden Franctireurs meinten, daß sie sich nur durch die größte Dreistigkeit zu retten vermöchten.
„Herr Kapitän“, fragte der eine. „Was haben wir getan, daß Sie auf uns schießen und uns dann ergreifen und fesseln lassen? Wir sind uns keines Unrechts bewußt.“
Aber in diesem Augenblick brachte Fritz den Oberschaffner und den Amerikaner herbei.
„Fragt diese Herren“, antwortete der Offizier.
Als sie den Amerikaner sahen, war es ihnen, als ob sie einen Geist erblickten.
„Ihr habt diesen Herrn bestohlen“, sagte der Oberschaffner, indem er auf Deep-hill deutete.
„Wir wissen nichts davon.“
„Oh!“ meinte Fritz. „Gerade der, welcher dies behauptet, hat die Brieftasche dort an der Brust stecken.“
Er stieg in das Coupé und zog sie ihm heraus.
„Hier ist sie, Monsieur Deep-hill. Sehen Sie nach, ob etwas fehlt. Diese beiden Spitzbuben sprachen von hohen Banknoten.“
Deep-hill öffnete das Portefeuille, zählte nach und antwortete lächelnd:
„Es fehlt nichts. Übrigens hätten die Räuber sich wohl sehr geirrt. Das hier sind keine Banknoten, sondern Anweisungen an meinen Kassierer, die ich erst noch zu unterschreiben hätte, ehe sie honoriert würden. Jetzt sind sie keinen Sou wert.“
„Das vermindert aber nicht die Schuld dieser Menschen“, bemerkte der Oberschaffner. „Sie haben Steine auf die Schienen gelegt, um den Zug entgleisen zu lassen und dann diese Tasche zu stehlen. Sie sind schuld an dem Tod und der Verwundung so vieler Menschen. Sie sind ohne Gnade dem Tod verfallen.“
„Man beweise uns das!“ rief der eine. „Wir können unser Alibi bringen. Wir haben beim Bahnwärter gestanden, als das Unglück geschah.“
„Das wissen wir bereits. Aber euer Kamerad legte die Steine, während ihr um das Alibi besorgt wart. Ihr werdet uns nicht entgehen. Wo ist dieser Kamerad?“
„Wir haben keinen.“
„Schön! Man wird euch schon zum Geständnis bringen! Mein Kapitän, bitte, sorgen Sie dafür, daß diese Menschen nicht abermals einen Fluchtversuch unternehmen können.“
„Das sollen sie wohl bleiben lassen!“
Sie begaben sich alle wieder hinab zu den Wagentrümmern, wo es noch so vieles zu tun gab; vorher aber postierte der Offizier einen Soldaten an das offene Coupéfenster. Dieser Posten mußte sich auf das Trittbrett stellen, um die Verbrecher unausgesetzt im Auge zu haben, und erhielt den strengen Befehl, sofort auf sie Feuer zu geben, wenn sie die geringste verdächtige Bewegung machen sollten. Hören aber konnte er doch nicht, was sie leise, ganz leise einander zuraunten:
„Du, wir sind verloren!“
„Der Teufel hole den Hund, der uns angehalten hat! Wer mag er sein?“
„Ich kenne ihn nicht!“
„Ich auch nicht! Es wäre gelungen! Nun aber ist's aus!“
„Man scheint alles zu wissen!“
„Auch von Lefleur, der im Buchsbaum jetzt auf uns wartet. Wie mag man das erfahren haben?“
„Es gibt nur eine Möglichkeit: Wir sind belauscht worden!“
„Aber von wem?“
„Das werden wir vor dem Gericht erfahren.“
„Hölle und Teufel! Sind wir einmal dort, so gibt es keine Rettung mehr!“
„Hier auch nicht.“
„Oho!“
„Ah! Hast du einen Gedanken?“
„Ja; aber leiser, viel leiser. Wir dürfen die Lippen gar nicht bewegen, sonst merkt dieser vermaledeite Posten, daß wir uns unterhalten!“
„Na, die da unten machen genug Lärm, so daß unser Flüstern unhörbar wird. Also, welchen Gedanken hast du? Streng dich an! Wir gehen einem schauderhaften Tod entgegen.“
„Hm! Bisher scheint uns niemand erkannt zu haben. Wenn wir entkämen, wüchse mit der Zeit Gras über die Geschichte. Wir müßten auf einige Jahre verschwinden.“
„Natürlich! Aber wie hier hinaus und fort?“
„Wir werden nur auf der einen Seite bewacht, da auf der anderen aber nicht – –“
„Was nützt uns das?“
„Wenn wir öffnen könnten!“
„Der Kerl wendet doch kein Auge von uns!“