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Der Offizier hatte dem Alten die Hand entgegengestreckt und nach dem gewöhnlichen Gruß die Frage ausgesprochen:

„Auch Sie haben bereits von dem Unfall gehört?“

„Ja. Leider ist es nicht nur ein Unfall zu nennen. Die Bezeichnung, welche hier die richtige wäre, kann gar nicht gefunden werden.“

Dabei blickte er sich um und tat, als ob er sich eines Schauderns gar nicht erwehren könne.

„Leider!“ antwortete der Offizier. „Diese Leiden und diese Verstümmelungen! Es ist schauderhaft!“

„Wer hat das Unglück verschuldet? Das Zugpersonal?“

„Nicht im geringsten! Man hat Steine auf die Schienen gelegt, eine ganze Anzahl großer Steine.“

„Entsetzlich! Gewiß nur Buben, welche ihre teuflische Freude an solchen Zerstörungen haben. Und da mußte es einen Personenzug treffen.“

„Das war ja beabsichtigt!“

„Beabsichtigt?“ fragte der Alte im Ton des Erstaunens.

„Ja. Der Zug sollte verunglücken, damit man einen geplanten Raub ausführen könne.“

„Ist so etwas möglich?“

„Ja, es gibt solche Teufels! Aber wir haben die Kerle glücklicherweise gefangen.“

Die Augenwinkel des Kapitäns zogen sich für einen kurzen Augenblick zusammen, aber eben nur für einen ganz kurzen Augenblick; dann sagte er:

„Das wäre recht! Aber sind es die richtigen?“

„Ja. Wir haben ihnen den Raub wieder abgenommen.“

„Kennen Sie sie?“

„Sie sind keinem Menschen bekannt.“

„Ah! Darf man sie einmal sehen? Vielleicht könnte es mir gelingen, Ihnen Auskunft zu geben.“

„Sollte mich freuen, ganz außerordentlich freuen.“

„Wo befinden sie sich?“

„Im hintersten Coupé des vorletzten Wagens. Ich stehe sofort zur Disposition, Herr Kapitän! Habe nur da drüben vorher eine Kleinigkeit zu ordnen.“

Er entfernte sich für eine kurze Zeit. Der Alte warf einen scharfen forschenden Blick nach dem bezeichneten Coupé. Er sah die Wache auf dem Trittbrett, und da er, tieferstehend, unter dem Wagen hindurchblicken konnte, bemerkte er, daß drüben auf der anderen Seite sich kein Posten befand. Sofort war sein Plan gemacht. Und ebenso resolut ging er an die Ausführung desselben.

Er griff in die Tasche seines Überrocks. Dort steckte ein kleines Einschlagemesser. Er öffnete es und hielt es so in der rechten Hand, daß es von dem Ärmelaufschlag vollständig verdeckt wurde. Ein Blick nach dem Offiziere zeigte ihm, daß dieser in einiger Entfernung mit einem Sergeanten sprach.

Er stieg langsam die Böschung hinan, als ob ihm die Rückkehr des Kommandanten zu lange dauerte. Aber anstatt dann zu dem Posten zu treten, ging er um den letzten Wagen herum, indem er denselben betrachtete, als ob er sich von der Festigkeit der Transportmittel überzeugen wolle.

Drüben war kein Mensch. Ein rascher Umblick überzeugte ihn, daß er unbeobachtet sei. Er trat an die verschlossene Tür des Coupés, in welchem sich die Gefangenen befanden und öffnete es schnell, aber leise und nur so, daß ein Stoß von innen nötig war, um die Tür aus ihrer Lage zu bringen.

Dann schritt er weiter und kehrte auf die andere Seite zurück, immer mit der Miene eines Mannes, welcher die Festigkeit der Wagen prüfen will.

Kein Mensch hatte sein Tun beobachtet, und das Öffnen des Schlosses war so leise geschehen, daß auch der Posten nicht imstande gewesen war, es zu bemerken. Aber die beiden im Coupé Sitzenden hatten das Geräusch doch hören können.

„Du, was war das?“ flüsterte der eine.

Und da er sich dabei die größte Mühe gab, die halb geöffneten Lippen nicht zu bewegen, so merkte auch das der Soldat nicht.

„Die Tür ist auf“, antwortete der andere.

„Donnerwetter! Wirklich?“

„Ja. Ich sehe die ganz schmale Spalte, die sich gebildet hat.“

„Wer mag das gewesen sein?“

„Wer weiß es.“

„Jedenfalls zu unserer Rettung.“

„Möglich! Passen wir auf! Ich denke, es geschieht bald etwas!“

In diesem Augenblick näherte der Alte sich dem Coupé nun von diesseits. Der Posten bemerkte ihn und machte das Honneur.

„Kennen Sie mich?“ fragte Richemonte.

„Zu Befehl, Herr Kapitän.“

„Lassen Sie einmal die Gefangenen sehen, ob ich sie kenne!“

Der Posten sprang vom Trittbrett herunter, und der Alte trat hinauf. Als ob er sich mit derselben festhalten müsse, langte er mit seiner rechten Hand zum geöffneten Fenster hinein und rückte dann so nahe heran, daß sein Oberkörper die ganze Öffnung erfüllte.

„Also diese Halunken sind es, welche solches Unheil angerichtet haben“, sagte er laut. „Die sollten mit glühenden Zangen gezwickt werden.“

Während dieser Worte hatte er mit einem Ruck seiner Hand, welche von außen gar nicht bemerkt werden konnte, das Messer auf den Schoß des einen der Gefangenen geworfen. Dann sprang er wieder ab. Im nächsten Augenblick nahm der Posten wieder den Platz ein, hielt es aber für eine Pflicht militärischer Aufmerksamkeit, seine Augen auch mit auf den einstigen Offizier der Kaisergarde gerichtet zu halten.

Dies gab den beiden Verbrechern Spielraum zu einem abermaligen Gedankenaustausche.

„Der Alte“, flüsterte der eine.

„Das konnten wir uns denken.“

„Wir sind gerettet.“

„Hast du das Messer?“

„Ja. Wie gut, daß sie uns die Hände nur vorn, aber nicht auf dem Rücken gefesselt haben.“

„So kannst du erst meinen Strick durchschneiden und ich dann den deinigen.“

„Dann aber hinaus! Wenn nur der verteufelte Soldat auf zwei Augenblicke verschwinden wollte.“

„Keine Sorge! Der Alte ist klug. Er wird es machen, daß dies geschieht. Da kennen wir ihn.“

Jetzt kam auch der Offizier die Böschung des Damms heraufgestiegen.

„Nun, Herr Kapitän“, fragte er. „Hatten Sie sich diese Kerls betrachtet?“

„Nur einen kurzen Augenblick lang.“

„Kennen Sie sie?“

„Ich glaube nicht.“

„Aber vielleicht sind Sie von ihnen gekannt. Will sie einmal fragen. Vielleicht fangen sie sich.“

Er schob den Posten auf die Seite und nahm auf dem Trittbrett Platz.

„Hört, Kerle“, meinte er, „kennt ihr den Herrn, der jetzt hereingesehen hat?“

Keiner antwortete.

„Wenn ihr nicht reden lernt, werde ich euch die Zunge lösen. Hier gibt es Haselsträucher! Ich frage euch, ob ihr den erwähnten Herrn kennt?“

„Nein“, wurde jetzt geantwortet.

„So seid ihr nicht aus der hiesigen Gegend. Woher denn?“

Ehe er eine Antwort vernehmen konnte, ertönte ein lautes Rollen, und der Alte rief warnend:

„Herr Kapitän, der Zug.“

Der Offizier blickte sich um. Die vorhin wieder abgegangene Lokomotive kehrte mit mehreren Wagen zurück.

„Pah! Ich stehe fest!“ antwortete der Kommandant. Er hatte die Verbrecher zum Sprechen gebracht, und so wollte er diese gute Gelegenheit nicht unbenutzt vorübergehen lassen. Er wendete sich also in das Innere des Wagens zurück.

„Also, woher ihr seid, frage ich.“

„Aus der Gegend von Verdun.“

„Ihr habt Komplizen?“

„Nein.“

„Lügt nicht.“

„Wie können wir Komplizen haben, wenn wir unschuldig sind!“

„Man wird euren Mitschuldigen zu finden wissen! Wo ist er?“

„Wir haben keinen. Wir haben nichts getan!“

In diesem Augenblick schob die Maschine die neuangekommenen Wagen an die bereits dastehenden an. Dies geschah allerdings in der gewöhnlichen vorsichtigen Weis, gab aber doch einen Stoß, dem der Offizier, der das nicht gewöhnt war, nicht widerstehen konnte. Er sprang ab und lief, da die Wagen sich eine kurze Strecke weit bewegten, neben dem Coupé her.

„Jetzt!“ sagte drin der eine zum anderen.