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„Nun, es wird wohl ein Licht für dieses Dunkel geben. Die Verbrecher sind fort; das ist Tatsache. Herr Kapitän, haben Sie die Güte, in der Umgegend, besonders auf der anderen Seite nach Spuren suchen zu lassen. Ich begebe mich zunächst wieder an die Stätte des Grauens hinab.“

Er hatte diese Worte im strengsten Ton gesprochen. Es war ja klar, daß ein Fehler vorgefallen war. Die Herren wendeten sich ab und ließen die beiden Offiziere stehen. Der Kommandant eilte fort, um der erhaltenen Weisung zu gehorchen, und der alte Kapitän stieg zu den Trümmern nieder, um seinen weiteren Zweck zu verfolgen.

Da unten erblickte er Nanon, welche bei einem Verwundeten beschäftigt war. Er trat zu ihr und fragte:

„Nun, ist Ihre Schwester auch tot?“

„Nein. Sie lebt. Dank sei den Heiligen!“

„Pah, die Heiligen! Wissen Sie nicht, ob sich ein Herr aus Amerika in dem Zug befunden hat?“

„Ja, ein Herr Deep-hill.“

„Den meine ich. Ist er noch da?“

„Dort neben der Engländerin steht er eben im Begriff, einen der Verwundeten zu verbinden.“

„Ah, jener schwarzlockige Herr!“

Emma von Königsau hatte den Reiseüberwurf abgelegt. Da sie sich nun im bloßen Kleid bewegte, trat die Schönheit ihrer Formen um so deutlicher hervor. Der Alte erblickte sie. Er war auch ein Bewunderer weiblicher Schönheit gewesen und noch heute ein Kenner derselben.

„Eine Engländerin?“ fragte er, indem er sein Auge musternd auf der Genannten haften ließ.

„Das ist die Dame!“

„War sie mit in dem Zug?“

„Sie hat mit meiner Schwester in einem Coupé gesessen.“

„Ah! Und beide sind gerettet worden! Das Unglück ist galant gewesen, indem es die Schönheit verschont hat.“

Er bewegte sich auf die Gruppe zu. Dort angekommen zog er den Hut und sagte in höflichem Ton:

„Man sagt mir, daß ein Monsieur Deep-hill hier zu finden sei. Darf ich vielleicht fragen, ob man mir recht berichtet hat?“

Der Amerikaner erhob sich, entblößte ebenso höflich seinen Kopf und antwortete:

„Allerdings, Monsieur. Der Name, den Sie nannten, ist der meinige.“

„Sie sind aus New Orleans?“

„Ja.“

„Und an einen Kapitän Richemonte adressiert?“

„So ist es.“

„Nun, so sind Sie am Ziel angelangt. Mein Name ist Richemonte. Ich wußte den Zug, der Sie bringen sollte, ich hörte vor wenigen Minuten, daß er verunglückt sei, und eilte natürlich sofort herbei, um zu erfahren, ob man auch Ihren Tod zu beklagen habe. Zu meiner unendlichen Freude aber höre ich, daß Sie gerettet sind. Lassen Sie sich aus vollstem Herzen gratulieren!“

Er reichte dem Amerikaner die Hand entgegen, derselbe ergriff sie, verbeugte sich und sagte:

„Herr Kapitän, Ihre Besorgnis um mich ist mir eine sehr hoch geschätzte Ehre. Darf ich bitten, Ihnen heute oder morgen einen Besuch machen zu dürfen?“

„Einen Besuch? Ah, nicht nur das, sondern mein Gast werden Sie sein. Ich hoffe, daß Sie meine Einladung auf Schloß Ortry annehmen werden.“

„Wie Sie befehlen! Ich stehe ganz zu Ihrer Disposition.“

„Ich kam, Sie abzuholen und Sie zu geleiten. Wann dürfen wir aufbrechen?“

„Für jetzt werde ich wohl noch um Urlaub bitten müssen!“

Dabei fiel sein Auge unwillkürlich auf Emma. Diese hatte bei dem Namen Richemonte aufgehorcht und einen raschen Blick in das Gesicht des Alten geworfen, sich dann aber wieder ausschließlich mit dem Verwundeten beschäftigt. Der Alte merkte den Blick, welcher auf sie gefallen war. Er deutete ihn nach seiner Weise und sagte:

„Ah, die Schönheit hat doch stets ihre Fesseln!“

Emma errötete, tat aber nicht, als ob sie diese etwas dreisten Worte auf sich bezöge. Der Amerikaner zog die Augenbrauen zusammen und antwortete in einem Ton, welcher beinahe verweisend klang.

„Wollen Sie hier von Schönheit sprechen, hier, unter Toten, Verwundeten und Trümmern? Das Unglück hat stärkere Fesseln als das Glück. Es hält mich hier zurück. Ich kann unmöglich diesen Ort eher verlassen, als bis ich überzeugt bin, gegen diese Unglücklichen meine Pflicht getan zu haben.“

Der Alte zuckte die Achseln und meinte kühclass="underline"

„Es sind genug andere Retter da!“

„Das ist kein Grund, mich zurückzuziehen. Je mehr Hände tätig sind, desto eher werden die Schmerzen gestillt!“

„Sie mögen recht haben, aber ich muß vermuten, daß diese Dame zu Ihnen gehört. Wollen Sie die Güte haben, mich ihr vorzustellen?“

„Wir sahen uns erst im Coupé, Herr Kapitän. Diese Dame ist Miß de Lissa aus London.“

„Ah, eine Engländerin!“

Er zog den Hut und verbeugte sich tief.

Emma hatte sich natürlich erhoben und zu ihm gewendet. Jetzt stand sie Auge in Auge mit dem langjährigen Todfeind ihrer Familie, aber ihrem Gesicht war keine Spur der Gefühle anzumerken, die sie gegen ihn hegte. Sie sah ihm voll, groß und forschend in das Angesicht, als ob sie sich dessen Züge fürs ganze Leben einprägen wolle, verneigte sich unter einem feinen, verbindlichen Lächeln und sagte:

„Es bereitet mir eine wirkliche Genugtuung, den Herrn kennenzulernen, von dem ich sooft sprechen hörte!“

Es war ihr nämlich in diesem Augenblick ein Gedanke gekommen, ein Gedanke gleich einer Eingebung, der sie sofort und unbedingt Folge leisten müsse.

Er aber blickte ihr überrascht in das schöne Angesicht und sagte im Ton des Zweifels:

„Von mir hörten Sie sprechen, Miß? Sollte das nicht eine Verwechslung sein? Der Name Richemonte scheint nicht selten vorzukommen.“

„Ich meine Kapitän Albin Richemonte auf Schloß Ortry.“

„Nun, der bin ich allerdings. Darf ich fragen, bei welcher Gelegenheit und wo mein Name Ihnen genannt wurde?“

„Darüber später einmal, falls wir uns wiedersehen sollten. Ich bin Mitglied des Klubs der Barmherzigen.“

Das Auge des Alten leuchtete auf.

„Ah!“ sagte er. „Reisen Sie vielleicht im Interesse dieses Klubs, Miß de Lissa?“

„Allerdings.“

„Das ist mir freilich interessant, höchst interessant! Darf ich nach dem Ziel Ihrer Reise fragen?“

„Thionville.“

„Sapper – Entschuldigung! Thionville! Sind Sie da vielleicht an eine bestimmte Adresse gebunden?“

„Nein; ich besitze meine völlige Selbstbestimmung, werde aber bei Herrn Doktor Bertrand absteigen.“

„Steht Ihre Familie in Beziehung zu ihm?“

„Nein. Er wurde mir empfohlen.“

„Sind Sie ihm avisiert? Denn er befindet sich hier; augenblicklich steht er da oben auf dem Damm bei den Wagen.“

Er deutete nach der betreffenden Stelle. Sie nickte freundlich und antwortete:

„Ich weiß es, Herr Kapitän. Ich habe bereits mit ihm gesprochen.“

Der Alte konnte seine Augen kaum von ihren schönen Zügen wenden. Es wurde ihm ganz eigentümlich zumute.

„Verzeihung, daß ich so viele Fragen an Sie richtete“, bat er. „Es ist in Ihren Zügen, in Ihrer Gestalt, in Ihrer Sprache, in Ihrem ganzen Wesen ein etwas, was mich zu dem Gedanken zwingt, als hätten wir uns bereits gesehen, oder als müßten wir zueinander in Beziehung treten, und zwar in eine freundliche. Waren Sie bereits in Frankreich?“

„Noch nie.“

„So irre ich mich. Aber vielleicht habe ich das Glück, Ihnen wieder zu begegnen. Verweilen Sie längere Zeit in Thionville?“

„Das ist unbestimmt. Jedenfalls aber reise ich erst dann ab, wenn der Zweck meiner Anwesenheit erreicht ist.“

„Ah, Sie haben einen besonderen Zweck?“

„Allerdings.“

„Vielleicht geschäftlich?“

„So ähnlich könnte man es nennen. Jetzt aber bitte ich um die Erlaubnis, zu meiner Pflicht zurückkehren zu dürfen.“

Sie machte dem Alten eine wahrhaft königliche Verbeugung und wendete sich dann dem Verwundeten wieder zu.