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„Schrecklich dumm!“

„Ja. So etwas bringt nur so ein glorioser Franzose fertig! Und der diese Vorsichtsmaßregel traf, war sogar ein Kapitän!“

„Also Hauptmann!“

„Bei uns daheim hat jeder Gänsejunge mehr Grütze im Kopf. Na, freue dich, Frankreich, auf deine Siege! Ich denke mir immer, deine Heldensöhne werden ganz gewaltige Keile kriegen!“

„Nicht so laut, nicht so laut, Fritz! Du bist nicht daheim im Tiergarten oder in deinem Stalle.“

„Ja, die Galle läuft einem doch einmal über, wenn man nichts als Dummheit sieht.“

„Also bis du der Retter der schönen Madelon?“

„Ja. Und der Amerikaner ist der Retter der Engländerin.“

„Das gönne ich ihm und ihr, es interessiert mich aber weniger.“

Fritz machte ein höchst erstauntes Gesicht und fragte:

„Weniger?“

„Ja. Das ist nicht unmenschlich. Ich kenne beide nicht.“

„Das möchte ich doch bezweifeln!“

„Wieso?“

„Hm! Diese Engländerin reist nämlich inkognito!“

„Unter falschem Namen?“

„Ja.“

„Aber eine Engländerin ist sie trotzdem wohl?“

„Nein, obgleich sie das Englische spricht wie die feinste Lady. Denken Sie sich, sie ist aus –“

„Nun, aus?“

„Aus Berlin!“

„Aus Berlin? Und reist als Engländerin? Da muß sie ganz eigentümliche Gründe haben.“

„Sicher! Wenn man diese Gründe doch nur erfahren könnte.“

„Nun, sollte ich mit ihr bekannt sein?“

„Das ist sehr leicht möglich. In Berlin sehen sich die Leute.“

„Anderwärts auch, lieber Fritz! Aber sie kann mich in der Hauptstadt gesehen haben; jetzt erblickt sie mich – ich kann auf der Stelle verraten sein!“

„Wohl schwerlich. Es gibt gute Gründe dagegen.“

„Welche?“

„Ihr Buckel.“

„Pah, auf den fallen die Augen nicht sogleich.“

„Ihre dunkle Gesichtsfarbe und Ihr schwarzes Haar.“

„Auch darüber kann man im Augenblick des Erkennens hinwegsehen. Die Züge sind die Hauptsache. Also dir kommt sie bekannt vor?“

„Ja.“

„Wie ist sie? Häßlich?“

„Schön, sehr schön!“

„Sapperlot! Schwarz oder hell?“

„Blond, gerade wie Sie, Herr Doktor, wenn Sie diese Perücke –“

„Pst, pst! Man braucht selbst unter vier Augen das nicht zu erwähnen. Ihren Namen – na, den kennst du natürlich nicht.“

„Ihren Vornamen habe ich erfahren.“

„Wie lautet er?“

„Emma.“

„Wie meine Schwester.“

„Sie ist von Adel. Und ihr eigentlicher Familienname klingt ganz wie Herzogswiese.“

„Herzogswiese. Eine adelige Familie dieses Namens gibt es ja gar nicht!“

„So verwechsele ich die Ausdrücke. Vielleicht soll es nicht Herzogs-, sondern Fürstenwiese heißen.“

„Auch diesen Namen kenne ich nicht.“

„Dann wohl Königswiese.“

„Hm. Auch unbekannt.“

„Sapperment! Ich dachte, Sie sollten den Namen kennen! Vielleicht ist das mit der Wiese auch eine Verwechselung. Wie sagt doch gleich der Dichter anstatt Wiese?“

„Gefilde?“

„Dann hieß es Königsgefilde? Nein!“

„Welches Wort sollte es sonst sein?“

„Ich muß nachdenken. Wie war doch nur der schöne Reim, in dem die Wiese und die Frau vorkam! Ah, da fällt er mir ein. Er heißt:

‚Ich flieg' mit meiner ersten Frau

Und dreizehn Kindern durch die Au.‘

Ja, das ist der Reim, und das ist auch das Wort. Nicht Wiese oder Gefilde darf es heißen, sondern Au.“

Müller machte ein etwas betroffenes Gesicht.

„Verstehe ich recht, was du meinst?“ fragte er. „Nicht Königswiese soll es heißen, sondern Königsau?“

„Ja, ja, so war es“, meinte Fritz.

„Mensch, was fällt dir ein! Aus Berlin ist sie? Und Emma heißt sie? Und mit dieser Madelon saß sie in einem Coupé?“

„Ja ja ja!“

Das Gesicht Fritzens wurde bei jedem Augenblick sonniger und heller.

„Das wäre ja meine Schwester!“

„Donnerwetter!“ fluchte Fritz. „Jetzt hab' ich's also heraus! Darum also kam sie mir so bekannt vor!“

„Mensch, Fritz, Kräutermann! Bist du verrückt?“

„Fällt mir gar nicht ein.“

„So sei ernst und laß den Witz! Sag' aufrichtig: Wer ist die Dame, von der du sprichst?“

„Nun, es bleibt doch dabei, wie ich gesagt habe: Es ist das liebe, gnädige Fräulein Schwester.“

„Emma, meine Emma?“

Bei dieser Frage machte Müller ein Gesicht, welches keineswegs außerordentlich intelligent genannt werden konnte.

Fritz weidete sich an der Verlegenheit Müllers und antwortete ruhig:

„Ja. Fräulein Emma von Königsau.“

„Herrgott! Was will den die hier?“

„Ich weiß es nicht.“

„Hast du auch keine Ahnung?“

„Nein, nicht die mindeste.“

„Ich könnte mir keine andere Erklärung machen, als daß sie ihre Freundin zum Begräbnis begleitet. Aber Großvater –!“

„Der gnädige Großpapa würde dem gnädigen Fräulein wegen eines Trauerfalls bei einer Gouvernante, obgleich dieselbe Freundin wäre, keine so weite Reise gestatten.“

„Das ist sehr richtig. Es muß also einen anderen Grund geben.“

„Ich denke, daß wir ihn erfahren werden.“

„Das ist sicher. Aber wenn ich ihr jetzt begegne, wird sie sich durch ihre Überraschung verraten.“

„Ganz gewiß nicht. Sie wird vielmehr befürchten, daß der Herr Doktor Müller sich aus Überraschung verraten könne.“

„Dem hast du vorgebeugt. Aber, welchen Schaden könnten wir haben, wenn wir uns ganz unvorbereitet in Gegenwart anderer träfen. Ich muß hinüber zu ihr. Ich muß erfahren, was sie zu dieser Reise bewogen hat.“

Er wollte gehen. Fritz hielt ihn zurück.

„Vorher erst noch eins, Herr Doktor.“

„Wir haben dann auch noch Zeit.“

„Für das, was ich meine, vielleicht Zeit, aber keine Gelegenheit. Man muß es unter vier Augen besprechen.“

„Nun, so laß es mich wissen.“

„Ich hatte heute nacht schreckliche Zahnschmerzen –“

„Bei deinem kerngesunden Gebiß?“

„Tut nichts. Kurz und gut, ich hatte fürchterliches Zahnreißen. Darum ging ich zu Doktor Bertrand, der noch auf war und bei den Büchern saß. Erst wollte er mir drei Zähne ziehen –“

„Unsinn. Dir Zähne ziehen.“

„Das dachte ich auch. Darum bat ich ihn um eine Tinktur oder Mixtur, welche gegen das Zahnweh hilft. Er gab mir dieses Fläschchen. Hier ist es.“

Er gab Müller die Phiole. Dieser betrachtete sie und sagte:

„Aber das Fläschchen ist doch voll, Fritz?“

„Allerdings.“

„So hast du die Tropfen gar nicht gebraucht?“

„Werde mich hüten! Sie sind zu gefährlich.“

„Wieso?“

„Fünf Tropfen helfen gegen das Zahnweh; nimmt man aber aus Versehen mehr, so ungefähr vierzig, da –“

„Oho! Wer fünf Tropfen nehmen soll, wird sich doch nicht so sehr verzählen, daß er vierzig nimmt.“

„Hören Sie nur, Herr Doktor. Man könnte ja die schönste Veranlassung bekommen, sich zu verzählen. Also, wer vierzig nimmt, der wird krank.“

„Krank? Wie meinst du das?“

„Nun, der wird so krank, daß er für mehrere Tage das Bett gar nicht verlassen kann.“

Jetzt erst fiel Müller der Gegenstand seiner gestrigen Unterhaltung mit Fritz ein. Über sein Gesicht ging ein Lächeln befriedigenden Einverständnisses.

„Schlauberger“, sagte er.

„Schön. Den Namen lasse ich gelten.“

„Von Doktor Bertrand hast du es?“

„Ja.“

„Kennt er den Zweck?“