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„Oh, gerade deshalb bin ich eben hier!“

„Sapperlot! Soso, so steht die Sache! Guckt der Vogel da heraus? Spionin, die du bist! Aber hast du dir auch überlegt, welche Störung du mir bereiten kannst?“

„Gewiß! Übrigens kannst du ohne Sorge sein! Ich werde mich sehr in acht nehmen und überhaupt gar nicht lange hierbleiben.“

„Ah, du gedenkst in Thionville abzusteigen?“

„Ja. Wo sonst?“

„Ich dachte, der Zweck deiner Reise sei, Madelon zu begleiten.“

„Das hätte Großpapa nicht zugegeben.“

„Aber wo wirst du wohnen?“

„Bei Doktor Bertrand.“

„Ah, warum bei ihm! Ich bin ihm bereits zu sehr verpflichtet.“

„Es ist nicht mehr rückgängig zu machen. Er hat mich eingeladen, und ich habe angenommen. Aber, lieber Richard, wenn wir uns nicht an einem solchen schrecklichen Ort befänden, ich würde endlos über dich lachen müssen.“

„Wieso?“

„Dieser Buckel.“

„Oh, der kleidet mich gut!“

„Und dieses Zigeunergesicht!“

„Das macht mich männlich.“

„Dieses falsche Haar!“

„Die Damen mögen sich an ihrem eigenen Haar zupfen.“

„Du bist nicht gut zu sprechen!“

„Meine körperlichen Vorzüge lasse ich nicht mit Ironie behandeln; das ist eine schwache Seite von mir. Ich werde versuchen, dich bei Doktor Bertrand sprechen zu können.“

„Oh, nicht nötig!“ meinte sie mit großer Entschiedenheit. „Wir werden uns auf Ortry sprechen.“

„Nein; das nicht! Das ist zu gefährlich! Wenn dich der Alte erblickt und die Familienähnlichkeit erkennt!“

„Keine Gefahr! Er hat bereits mit mir gesprochen.“

„Wirklich? Welches Wagnis!“

„Er hält mich für ein Mitglied des Frauenklubs der Barmherzigen in London.“

„Ah, vielleicht denkt er, daß du eine Abgesandte desselben bist, um dir Klarheit über die Kriegsabsichten zu holen!“

„So etwas scheint er anzunehmen.“

„Wie verhielt er sich?“

„Ich habe Eindruck auf ihn gemacht. Er sprach die Hoffnung aus, mich wiederzusehen. Und nun, das ich mit Marion bekannt bin, werde ich ganz sicher nach Ortry eingeladen.“

„Dann habe aber die Güte, die allergrößte Vorsicht zu beachten!“

„Das versteht sich ganz von selbst!“

„Sei nicht so siegesgewiß! In Ortry gibt es Gefahren, welche du noch nicht kennst, die ich dir erst erklären muß. Doch da kommt Marion. Wir werden nicht mehr lange bleiben können. Soeben gibt die Maschine das Zeichen zum Einsteigen.“

Er hatte richtig gesagt. Die Coupés waren gefüllt; der Interimszug ging in kurzer Zeit ab, um nochmals zurückzukehren und die Übriggebliebenen nachzuholen – Lebende, Verwundete und Tote.

Man arbeitete an den Trümmern, um die Gepäckstücke zu sortieren, und während dieser Zeit wurden die zerstörten Dammteile wenigstens so weit wiederhergestellt, daß ein Geleise zu befahren war.

Als Emma mit Nanon und Madelon einstieg, ahnte Marion de Sainte-Marie nicht, daß jene beiden Freundinnen seien. Sie nahm von Emma herzlichen Abschied und stellte ihr einen sehr baldigen Besuch bei Doktor Bertrand in Aussicht. Dann ritt sie mit Müller nach Ortry zurück.

Als sie dort ankam, trat ihr der Kapitän entgegen.

„Hast du den Amerikaner und die Engländerin gesehen?“ fragte er.

„Ist eine feine Dame von hoher Bildung.“

„Ah, sie gefällt dir? Schön! Gut!“

„Sie wohnt bei Doktor Bertrand. Ich werde sie vielleicht morgen schon besuchen.“

„Das rate ich dir.“

„Und wenn du es erlaubst, so bitte ich sie um einen Gegenbesuch bei mir.“

„Natürlich. Ich habe auch ganz und gar nichts dagegen, wenn du sie einlädst, unser Gast zu sein. Weshalb soll sie beim Doktor wohnen? Wir haben Zimmer genug.“ –

Als Herr Hieronymus Aurelius Schneffke auf dem Bahnhof zu Trier mit seinen beiden deutschen Beefsteaks hinstürzte, blieb er ruhig liegen, bis der Zug vorüber war. Um ihn herum lagen die Scherben des Porzellanzeugs. Da ertönte hinter ihm eine Stimme:

„So stehen Sie doch endlich auf!“

Er blickte sich um und erkannte den Kellner, der ihm so nachgelaufen war. Dieser Mensch war eigentlich schuld an dem verhängnisvollen Sturz.

„Aufstehen sollen Sie, Sie Esel!“ wiederholte der Mann.

Da aber flog Hieronymus zehnmal schneller empor, als man es seiner kurzen, dicken Gestalt zugetraut hätte.

„Was war das?“ frage er. „Esel?“

„Ja“, bestätigte der erboste Kellner.

„Da, dummer Junge!“

In demselben Augenblick explodierte auf der Wange des Kellners eine solche Ohrfeige, daß jetzt dieser auf das Pflaster fiel.

„So!“ meinte Herr Hieronymus Aurelius Schneffke. „Nun lies die Scherben zusammen! Dazu bist du da!“

Er ging nach der Restauration, um das zerbrochene Geschirr zu bezahlen; dann begab er sich in die Stadt, um sich einen neuen Klemmer zu kaufen und ein Glas Bier zu trinken, welches dazu dienen sollte, den Ärger über das verlorene Coupé hinabzuspülen. Als er nach dem Bahnhof zurückkehrte, war es bereits über drei Uhr.

Da erst fiel ihm ein, daß er ja seine Mappe im Coupé zurückgelassen habe. Er begab sich in das Telegrafenbüro und fragte um Auskunft. Er erhielt den Bescheid und telegrafierte nun nach Thionville:

„Mittagszug Wagen Nummer 125 eine Malermappe zurückgelassen. Werde sie 4 Uhr 31 abholen.

Hieronymus Aurelius Schneffke,

Kunstmaler aus Berlin.“

Als der nächste Zug angekündigt wurde, traf zugleich von Süden her die telegrafische Nachricht ein, daß der vorige verunglückt sei und daß man die meisten Passagiere tot oder verwundet unter den Trümmern hervorgezogen habe.

Das versetzte den guten Hieronymus in die größte Aufregung. Er schritt auf dem Perron hin und her, gestikulierte wie ein Wütender und sagte immer:

„Die Gouvernante! Die Gouvernante! Wie haben sie die herausgezogen? Tot, halbtot, verwundet, ohnmächtig, lebendig oder gesund? Dieser verdammte Zug will immer noch nicht kommen. Wenn die Gouvernante tot ist, sprenge ich sämtliche französische Bahnen in die Luft!“

Endlich kam der Zug. Er rannte gegen das geöffnete Coupé, daß er beinahe einen Purzelbaum hinein schlug, und freute sich dann, daß er es allein behalten durfte. Seine Angst ließ ihm keine Ruhe. Er schritt in dem engen Raum hin und her wie ein Menagerietier im Käfige.

„Verdammter Bummelzug!“ fluchte er ein über das andere Mal. „Ich laufe zehnmal schneller!“

Karthaus, Wellen, Wincheringen, Nennig, Sierck wurden mit der Zeit passiert, und endlich auch Königsmachern. Da öffnete er das Fenster und blickte hinaus.

Der Zug begann noch langsamer zu fahren als bisher. Er hatte das kaum wiederhergestellte eine Geleis erreicht. Unten am Damm standen die Menschen Kopf an Kopf, oben auf dem Damm waren noch immer Bahnarbeiter beschäftigt.

„Heda!“ rief der Maler bereits von weitem diesen letzteren zu.

„Was denn?“ brüllte einer.

„Eine Gouvernante zerquetscht?“

„Ja, sogar gleich fünfe!“

„Gouvernanten?“

„Ja, drei alte und zwei junge!“

„Heiliges Pech!“ rief er, den Kopf wieder hereinziehend, da der Zug während dieser Zurufe vorübergerollt war. „Fünf Gouvernanten! Da ist sie ganz sicher dabei. Und ich darf nicht in Thionville bleiben, sondern ich muß noch heute nach Metz. Aber ich werde die Geschichte so kurz wie möglich machen und dann eilig zurückdampfen. Sehen muß ich sie noch, ehe sie begraben wird.“

Und jetzt setzte er sich wieder, stemmte den Kopf in die Hände und summte vor sich hin:

„Wenn sich zwei Herzen scheiden,
Die sich dereinst geliebt,
Das ist ein großes Leiden,