Выбрать главу
Wie's größer keines gibt!“

Da hörte er eine Perronglocke zweimal läuten; die Maschine pfiff, die Räder kreischten – der Zug hielt in Thionville.

„Thionville! Eine Minute Aufenthalt! Schnell einsteigen!“ wurde kommandiert.

Der Maler hörte nur das erste Wort, das andere ging ihn nichts an. Er mußte auch nach seiner Mappe fragen. Er sprang heraus, als geöffnet wurde.

„Herr, es ist nur eine einzige Min –“, rief der Schaffner.

Schneffke beachtete es gar nicht. Er eilte in den Flur des Bahngebäudes. Dort stand ein Mann mit weißen Tressen an der Mütze.

„Sind Sie der Portier?“

„Ja, mein Herr.“

„Meine Mappe!“

„Welche Mappe?“

„Ich habe sie im vorigen Zug liegen lassen.“

„Ach so! Sie hatten sich verspätet und haben dann nach hier telegrafiert?“

„Ja.“

„Dort ist das Büro.“

Er trat ein und grüßte.

„Ist meine Mappe da?“

Der anwesende Herr blickte ihn forschend an, griff nach einem Papiere, blickte darauf und fragte dann:

„Sind Sie Herr Hieronymus Aurelius Schneffke –“

„Kunstmaler aus Berlin, von Trier aus telegrafiert“, fiel der Gefragte ein.

„Schön. Die Mappe ist gerettet worden. Hier ist sie!“

Er griff in einen Kasten und zog etwas hervor, was ungefähr aussah wie Schnitzel von Papier und Pappe, die mit einem alten Strick umwunden sind. Schneffke griff zu, starrte das Ding mit weitgeöffneten Augen an, öffnete den Mund noch weiter und fragte dann:

„Wa – wa – was ist das?“

„Ihre Mappe, Herr Schneffke!“

„Mei – mei – meine Ma – ma – ma – ppe? Aber das ist ja gar keine Mappe!“

„O doch. Sie ist freilich ein ganz klein wenig beschädigt, weil sie mit verunglückt ist, aber Sie müssen froh sein, daß wir sie noch gerettet haben.“

„Na, das ist eine schöne Bescherung. Hören Sie einmal, Herr, Herr – Herr –“

„Halt, mein bester Herr Schneffke, nur keine Aufregung. Bleiben Sie in Thionville, oder wollen Sie weiter?“

„Weiter!“

„Wann?“

„Nun jetzt, mit diesem Zug.“

„O weh! Der Zugführer hat ja bereits das Signal gegeben. Eilen Sie gleich zu dieser Tür hinaus!“

Schneffke ließ vor Eile den Hut liegen und sprang hinaus. Kein Coupé war mehr offen und alle Räder in Bewegung.

„Halt! Halt!“ brüllte er. „Ich gehöre noch mit dazu.“

„Zurück!“ rief ihm der Stationschef zu. „Es ist zu spät!“

„Herr Schneffke!“ hörte er da eine laute weibliche Stimme rufen.

Er blickte hin und erkannte Madelon, welche am Fenster stand und ihm ein Taschentuch herauswarf. Er tat einige fürchterliche Sätze, um in ihre Nähe zu kommen, und fragte:

„Ist sie mit unter den fünf Zerquetschten?“

„Wer?“

„Die Gouvernante.“

Da antwortete sie lachend:

„Sie ist nicht zerquetscht. Sie lebt; sie wohnt in Thionville bei Herrn –“

Das übrige wurde von dem Rollen der Räder verschlungen, da der Zug sich gerade jetzt in schnellere Bewegung setzte.

Schneffke blieb stehen und holte Atem.

„Gott sei Dank, sie lebt!“ sagte er. „Sie ist mir nicht verloren. Eine Schickung Gottes vielleicht, daß ich diesen Zug auch noch versäumt habe.“

Er sah sein Taschentuch liegen, ging hin und hob es auf. Es war ihm von dem Springen heiß geworden. Er wollte sich die Stirn abwischen; darum griff er nach dem Kopf, um den Hut abzunehmen. Er hatte keinen.

„Sapperment, wo ist mein Kalabreser?“

Er blickte sich um. Keine Spur von einem Hut.

„Ah! Der ist beim Telegrafisten liegengeblieben.“

Er trat bei dem letzteren abermals ein.

„Was wollen Sie?“ fragte der Mann.

„Verzeihung. Ich vergaß, meinen Hut mitzunehmen.“

„Dort liegt er. Sie haben also doch den Zug versäumt? Seien Sie froh, denn wenn Sie mit fortgekommen wären, hätten Sie wegen des Hutes abermals telegrafieren müssen.“

„Das ist allerdings wahr. Wann geht der nächste Zug nach Metz ab?“

„Neun Uhr dreizehn Minuten, also in beinahe fünf Stunden. Sie können sich die Stadt mit Bequemlichkeit betrachten.“

„Das werde ich tun. Würden Sie die Güte haben, eine kleine Gratifikation dafür anzunehmen, daß ich Sie gleich zweimal belästige?“

Das Gesicht des Beamten erheiterte sich zusehends.

„Eigentlich tue ich das nicht“, sagte er; „aber um nicht unhöflich zu erscheinen, will ich mich bewegen lassen.“

„Sehr verbunden. Ich erlaube mir also, ihnen die Überreste meiner selig heimgegangenen Mappe in aller Ehrfurcht zu verehren. Wenn Sie die Fetzen richtig zusammenkleben und von einem guten Maler sich dann etwas draufmalen lassen, erwarten Sie Kunstgenüsse, von denen Sie jetzt gar keine Ahnung haben. Leben Sie wohl!“

Er hatte dem Telegrafisten das unglückselige Paket unter den Arm geschoben und beeilte sich, zur Tür hinauszukommen. Der Beamte stand ganz steif und blickte nach der Stelle, hinter welcher der Wohltäter verschwunden war. Dann schleuderte er die einstige Mappe in den entferntesten Winkel und fluchte:

„Verdammter Kerl! Komme mir nicht etwa wieder herein! Sonst sollst du sehen, daß ich dich mit dem Stock bearbeite, und zwar mit keinem selig heimgegangenen.“

Schneffke beschloß nun, die fünf Stunden zur Nachforschungen nach seiner ‚Gouvernante‘ zu benützen. Er durchlief Straße auf Straße, er kehrte in allen Kneipen ein, er ging hinaus nach der Unglücksstelle, wo es noch Menschen in Masse gab – es gelang ihm nicht, von der Gesuchten ein einziges Wörtchen zu erfahren.

So nahte die Zeit des Zuges. Es war bereits neun Uhr, und er hatte nur noch dreizehn Minuten. Er lenkte nach dem Bahnhof ein und gelangte dabei in die Straße, in welcher Fritz Schneeberg wohnte. Zwei Damen kamen ihm entgegen. Er blieb stehen. Wahrhaftig! Die eine war seine Gouvernante.

Er eilte auf sie zu, zog den Hut und sagte:

„Tausendelement, Fräulein, Sie leben noch? Ich hörte, Sie wären zerquetscht, und da bin ich vor Schmerz –“

Er hielt inne. Sie hatte einen kleinen Blick auf ihn geworfen, mit der Achsel gezuckt und war dann mit ihrer Begleiterin in das nächste Haus getreten.

Dieses Haus hatte zwei Türen: den eigentlichen Eingang und dann noch eine Glastür, über welcher das Wort ‚Apotheke‘ stand. Diese Glastür war offen, und unter ihr lehnte ein halbwüchsiger Bursche, welcher den Vorgang mit beobachtet hatte. Schneffke trat zu ihm, grüßte herablassend und sagte:

„Haben Sie die beiden Damen gekannt, mein Lieber?“

„Ja“, antwortete der Gefragte, indem er den Dicken neugierig musterte.

„Wer waren sie?“

„Hm!“ brummte der Mensch, indem er sich den Rücken an der Türpfoste rieb.

„Nun, ich denke, Sie haben sie gekannt?“

„Allerdings. Aber – wollen Sie vielleicht etwas kaufen?“

„Ich brauche nichts.“

„Dann gute Nacht!“

Er trat zur Tür hinein und wollte dieselbe zumachen. Schneffke aber griff schnell zu. Er sah ein, daß es besser sei, eine Kleinigkeit zu kaufen, als ohne Auskunft fort zu müssen.

„Halt!“ sagte er. „Da fällt mir ein, daß ich doch ein Bedürfnis habe.“

Dabei trat er in den Laden.

„Womit kann ich dienen?“

„Mit rotrussischem Seifenpflaster und nebenbei mit der erbetenen Auskunft.“

„Für wieviel?“

„Fünf Sous.“

„Schön.“

Während nun der Provisor das Pflaster einpackte, fragte der Maler:

„Wer wohnt hier?“

„Herr Doktor Bertrand.“

„Wer noch?“

„Ich und der Pflanzensammler Schneeberg.“

„Also, Sie kennen jene beiden Damen wirklich?“

„Ja. Hier haben Sie. Ist auf Papier zu streichen, auf die kranke Stelle zu legen und nicht wegzunehmen. Wenn Besserung eintritt, fällt es von selbst herab.“