„Das konntet ihr beide bleiben lassen, nämlich du das Telegrafieren und du das Reisen.“
Da antwortete Nanon herzhaft:
„Deinetwegen ist es auch nicht geschehen. Wir selbst wollten uns gern einmal wiedersehen.“
„Schau, welches Mundwerk du dir angeschafft hast. Na, geht hinunter; ich habe notwendiges zu tun, und unten gibt es Arbeit für euch. Mutter wird euch anstellen.“
Sie wendeten sich bereits zum Gehen; da aber rief er noch:
„Halt! Ihr seit mit Fuhrwerk gekommen?“
„Ja“, antwortete Nanon.
„Wem gehört es?“
„Einem Kutscher aus Etain.“
„Er fährt doch sogleich wieder fort?“
„Nein. Er wartet bis heute abend in der Schenke.“
„Sapperlot! Wollt ihr heute abend wieder fort? Daraus wird nichts. Ich bleibt länger da.“
„Das geht nicht. Unser Urlaub ist so kurz, daß wir schon heute wieder fort müssen.“
„So. Der Kutscher bleibt also wirklich in der Schenke, und wer bezahlt ihn?“
„Wir.“
„Gut. Ihr könnt gehen.“
Sie gehorchten diesem Gebot, und er schrieb und rechnete weiter. Nach längerer Zeit kam seine Mutter, um nach etwas zu fragen. Er gab ihr Auskunft und sagte ihr dann, daß sie Nanon zu ihm schicken solle.
„Du willst sie jetzt um ihre Einwilligung fragen? Sie wird sich weigern.“
„Das werde ich abwarten.“
„Sie scheint ein ganz anderes Mädchen geworden zu sein, viel fester, sicherer und verständiger.“
„So bin auch ich ein anderer Kerl geworden. Wollen doch sehen, wer da Herr bleiben wird.“
Sie ging, und gleich darauf trat Nanon ein. Sie wußte natürlich, um was es sich handelte, doch zeigte sie nicht die geringste Spur von Verlegenheit oder gar von Furcht.
Er hatte auf dem Sofa Platz genommen; er zeigte neben sich hin und sagte:
„Da bist du ja. Schau, so gefällt es mir. Den Weisungen des Hausoberhauptes muß augenblicklich gefolgt werden. Komm, setze dich her zu mir.“
„Danke!“ antwortete sie. „Ich mache leichte, schnell zu erledigende Angelegenheiten gern im Stehen ab.“
„Du denkst, es handelt sich um eine so leichte Sache? Da irrst du dich. Es ist vielmehr eine sehr ernste und wichtige Angelegenheit, welche ich mit dir zu besprechen habe. Setz dich also nieder.“
„Gut, so nehme ich Platz.“
Sie setzte sich auf einen Stuhl, welcher fern von ihm stand.
Er zog die Stirn in Falten und musterte ihre Gestalt vom Kopf bis zu den Füßen herab.
„Daß muß man sagen“, begann er dann, „ein sauberes Mädchen bist du geworden. Meinst du nicht auch?“
In ihren Augen leuchtete es auf. Was sie sonst nie getan hätte, heut und ihm gegenüber tat sie es: Sie antwortete:
„Ja, das meine ich allerdings.“
Er war ganz frappiert von dieser unerwarteten Antwort.
„Donnerwetter!“ stieß er hervor. „Wirklich? Du weißt, daß du schön bist? Da bist du wohl von deinem Wert ganz außerordentlich überzeugt?“
„Ganz ebenso wie du von dem deinigen.“
„Gut, so passen wir zusammen. Zwei sehr wertvolle Personen. Wollen wir uns zusammentun?“
„Danke!“ antwortete sie schnippisch.
„Nicht? Warum nicht?“
„Du meinst mit dem nicht sehr ästhetischen Ausdrucke ‚Zusammentun‘ doch das, was man gewöhnlich verehelichen, verheiraten, vermählen nennt?“
„Ja, natürlich.“
„So ist es zu verwundern, daß du anstatt eines edlen Ausdrucks gerade den dümmsten und gemeinsten wählst! Nicht daß sich jeder Teil selbst für wertvoll hält, gibt eine glückliche Ehe, sondern daß jeder Teil von dem Wert des anderen überzeugt ist. Übrigens habe ich noch gar nicht an meine Vermählung gedacht; von einem Zusammentun aber kann überhaupt keine Rede sein; das versteht sich ja wohl ganz von selbst.“
„Du sprichst wie ein Buch! Also gegenseitige Wertschätzung. Wie hoch schätzest du da wohl meinen Wert?“
„Ich habe an dir noch keinen Wert bemerkt, konnte also auch keine Schätzung vornehmen.“
„Nun, du wirst ihn schon noch erkennen. Die höchsten Werte sind die verborgenen. Zutage liegt nur das taube Gestein; nach Diamanten aber muß man graben. Ich werde dir Gelegenheit geben, bei mir nachzugraben, und du sollst dich wundern über die Schätze, welche du finden wirst.“
„Zum Graben habe ich keine Lust. Es werden einem Steine genug angetragen, die bereits geschliffen sind.“
„So meinst du, daß ich ungeschliffen bin?“
„Nein, denn ich weiß ja überhaupt nicht, ob bei dir ein Stein gefunden werden könnte, der sich des Schleifens lohnte.“
„Hölle und Teufel! Du bist wahrhaftig eine Katze, welche es versteht, ihre Krällchen zu gebrauchen!“
„Sie sind ja dazu da.“
„Schön! Machen wir also nicht unnütze Worte; sie führen doch zu nichts! Behandeln wir die Sache vollständig objektiv und geschäftsmäßig! Ich habe nämlich Lust, dich zu heiraten!“
„Ich glaube es. Zu verdenken ist es dir nicht. Ich aber habe keine Lust.“
„Das ist sehr offen. Ich hoffe, daß du auch ferner so aufrichtig bleibst. Dann kommen wir schneller zur Klarheit. Hast du etwa bereits ein Bräutigam?“
„Nein. Zwar bin ich dir keineswegs eine Antwort schuldig, aber ich will sie dennoch geben, damit wir früher zu Ende kommen.“
„Warum also magst du mich nicht?“
„Weil du nicht nach meinem Geschmack bist!“
„Ah. Du heiratest nach Geschmack?“
„Ich halte dich überhaupt nicht für den Mann, bei dem ich glücklich sein kann.“
„Pah! Man täuscht sich! Weißt du, was mein Vater an euch beiden getan hat?“
„Es ist uns so oft vorgerechnet worden, daß diese Frage sehr überflüssig ist. Ich weiß alles auswendig.“
„Du solltest dankbar sein.“
„Ich sehe keinen Grund dazu. Mutter hat ihre Juwelen und alles verkauft, um euch zu bezahlen. Ich hege sogar die Vermutung, daß sie irgendeine Summe bei euch deponiert hat, die aber unterschlagen worden ist.“
„Donnerwetter! Das nenne ich ebenso kühn wie aufrichtig!“
„Ich habe keinen Grund zur Furcht; dich aber brauche ich am allerwenigsten zu scheuen.“
„Lassen wir das! Also, du heiratest mich weder aus Liebe, noch aus Dankbarkeit. Wie steht es denn mit der Klugheit? So eine recht schlau angelegte Verbindung muß doch eine sehr glückliche sein!“
„Danke.“
„Ihr kennt euren Namen nicht –“
„Kennst du ihn?“ fragt sie schnell.
„Hm.“
„Gib eine bestimmte, deutliche Antwort.“
„Gut. Wenn du meine Frau wirst, gebe ich euch euren Namen, eure Legitimationen und somit die Ansprüche auf die Erbschaft, die ihr zu erheben habt.“
„Ah, du willst durch mich erben?“
„Natürlich. Das leugne ich gar nicht.“
„Beweise mir erst, daß du im Besitz unserer Dokumente bist.“
„Ah. Du glaubst mir nicht?“
„Nein. Ich kenne dich als Lügner.“
„Dich werde ich nie betrügen.“
„Spare diese Versicherungen. Zeige die Dokumente her!“
„Fällt mir nicht ein.“
„Nun, so sind wir fertig!“
Sie erhob sich, um zu gehen. Er sprang auf und sagte:
„Also du magst mich nicht?“
„Nein.“
„Selbst wenn ich die Dokumente besitze?“
„Beweise, daß du sie hast, und dann will ich mit dir verhandeln, eher aber nicht!“
„Zeigen kann ich sie nicht.“
„Brechen wir also ab.“
Da flammte eine wilde, begehrliche Glut in seinen Augen auf. Er trat herzu, faßte sie beim Arm und sagte:
„Ich will dich aber haben, und werde dich haben, so oder so. Verstehst du mich?“
„Wenn du noch eine einzige derartige Drohung ausstößt, verlasse ich augenblicklich das Haus.“
„Nun, so will ich mir wenigstens den Kuß nehmen, den die Schwester dem Bruder zu geben hat!“