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Er versuchte sie zu umschlingen; aber noch bevor ihm dies gelang, erhielt er einen Schlag ins Gesicht, daß er mit einem Schrei zurücktaumelte. Auf dem Tisch, Nanon gleich zur Hand, hatte ein Teller gestanden. Sie hatte ihn blitzschnell ergriffen und dem Zudringlichen in das Gesicht geschlagen, daß die Scherben zu Boden fielen. Im nächsten Augenblick hatte sie das Zimmer verlassen.

Er ballte die Fäuste drohend und knirschte:

„Das sollst du mir entgelten! Ich liebe sie rasend! Mein muß sie werden, aus Berechnung, aus Liebe und auch zur Strafe!“

FÜNFTES KAPITEL 

Schneffka, der Pole

Die übrige Zeit verging wie an jedem Trauertag, Verwandte und Bekannte kamen, um an dem Leichenbegräbnis teilzunehmen, und als der Sarg in die Grube gesenkt worden war, kehrte man in das Trauerhaus zurück, um sich zur Tafel zu setzen.

Als Pflegekinder des Verstorbenen hatten Nanon und Madelon die Verpflichtung, die Gäste zu bedienen.

Kurz nach der Rückkehr vom Kirchhof hatte Charles Berteu den Kutscher aufgesucht, welcher seine Stube in einem nur zum Gebrauch des Verwalters errichteten Stallgebäude hatte. Dieser Kutscher war ganz gleichen Schlages mit seinem Herrn; sie hatten schon manchen Streich miteinander ausgeführt.

„Hast du den fremden Kutscher gesehen, welcher die beiden Schwestern gebracht hat?“ fragte Berteu.

„Nein.“

„Auch Geschirr und Pferde nicht?“

„Ebensowenig.“

„So gehe zur Schenke, wo er ausgespannt hat, und siehe dir alles an – die Pferde, das Geschirr, den Kerl, seine Kleidung, kurz alles!“

„Wozu? Gibt es einen lustigen Streich?“

„Ja, einen Streich und zwanzig Franken für dich!“

„Alle Wetter! Da bin ich sehr gern dabei!“

„Es liegt mir nämlich daran, zu erfahren, ob du abends in der Dunkelheit für diesen Kutscher gelten könntest, unser Wagen für den seinigen und so weiter.“

„Also eine Komödie der Verwechslungen? Das wird drollig! Ich gehe; ich gehe. Aber, Monsieur, einige Franken pränumerando! Ich muß in der Schenke einkehren. Sie werden Einsicht haben!“

Der Kutscher steckte das Draufgeld schmunzelnd ein und entfernte sich, um nach der Schenke zu gehen.

Dort saß unter den wenigen anwesenden Gästen – Fritz. Er war zu Fuß hergekommen, hatte das Schloß umschlichen und wollte nun, nachdem er einen Labetrunk zu sich genommen hatte, die Pulvermühle aufsuchen, von welcher Nanon gesprochen hatte.

Er bemerkte, daß der Eingetretene den Kutscher Nanons ganz auffällig musterte, dann längere Zeit im Stall verweilte und endlich auch den vor der Tür stehenden Wagen betrachtete.

Das fiel ihm natürlich auf. Als der Mann wieder Platz genommen hatte, trank er ihm zu und zog ihn in ein Gespräch, währenddessen er hörte, daß er der Kutscher von Charles Berteu sei.

Nun schöpfte er Verdacht. Hier war höchst wahrscheinlich etwas in Vorbereitung, ein Streich, welcher das Kutschgeschirr betraf. Er glaubte, der Spion würde bald nach dem Schloß zurückkehren; dies war aber nicht der Fall, vielmehr setzte er sich zu den anderen Gästen, um ein Kartenspiel mit ihnen zu machen.

Die Sache war langweilig, und so brach Fritz auf, um sich noch ein wenig in der Gegend umzusehen. Es war sicher, daß, wenn etwas gegen die Schwestern geschehen sollte, dies erst abends vorgenommen werden würde.

Er entdeckte die Pulvermühle mitten im Wald. Es war eine Walzmühle, die ein ziemlich breiter Fahrweg mit dem Schloß verband. Das Werk stand heute still. Am Tag der Beerdigung des Verwalters wurde nicht gearbeitet.

Nun begann es dunkel zu werden, und er kehrte nach der Schenke zurück. Dort saß der Kutscher zwar noch immer, aber er blieb nicht mehr lange. Fritz folgte ihm bis nach dem Schloß. Er hatte sich mit einigen Instrumenten versehen, für den Fall, daß er sie bei seinem Lauscher- und Wächterwerk brauchen solle.

Der Kutscher verschwand, und Fritz begab sich auf Rekognition. Es war jetzt so finster, daß man schon etwas wagen konnte. Er kletterte an den Stangen der Veranda, welche sich um das ganze Gebäude zog, empor und befand sich nun auf einer mit Zinkblech gedeckten Plattform, von welcher aus man in jedes Fenster des Stockwerks zu blicken vermochte.

Er schlich sich von einem Fenster zum andern, rund herum.

Er sah und zählte die Trauergäste und auch die beiden Mädchen, von denen dieselben bedient wurden; er betrachtete sich alle erleuchteten Zimmer genau, und er erkannte auch sofort, welches von den letzteren dasjenige von Charles Berteu sei.

Dieser saß bei seinen Gästen. Solange er sich dort befand, stand nichts zu befürchten; darum hielt Fritz ihn von draußen aus scharf im Auge.

Erst nach langer Zeit erhob sich Berteu und ging zur Tür hinaus. Fritz bückte sich nieder und kroch auf der Veranda leise nach der Gegend hin, in welcher sich das Zimmer befand, welches er für dasjenige Berteus gehalten hatte. Er hatte diesen Punkt noch nicht erreicht, als aus dem geöffneten Fenster ein Ruf erschallte:

„Mathieu!“

„Ja, Herr!“

Diese Antwort kam von der Kutscherwohnung herauf.

„Schnell zu mir!“

Fritz blieb vorsichtig liegen. Unten hörte er die Schritte des Gerufenen. Nachdem diese im Innern des Hauses verklungen waren, kroch er weiter und gelangte an das Fenster, welches der warmen Abendluft wegen geöffnet war. Er bemerkte, daß Berteu, eine Zigarre rauchend, an dem offenen Fenster saß. Der Kutscher trat ein. Fritz konnte von dem nun folgenden Gespräch jedes Wort verstehen.

„Nun, hast du die Augen aufgetan?“ fragte Berteu.

„Und wie! Je besser man bezahlt wird, desto schärfer kann man sehen!“

„War das Geschirr fein?“

„Na, Mittelsorte, so ungefähr wie das unsrige.“

„Die Pferde?“

„Zwei Braune, grad wie wir auch haben.“

„Der Kutscher?“

„Von meiner Statur, lang und stark.“

„So glaubst du also, daß es im Dunkel der Nacht möglich ist, unser Gespann mit dem fremden zu verwechseln?“

„Ganz sicher. Nur müßte man sich vor Beleuchtung hüten.“

„Das versteht sich ganz von selbst! Kannst du dir vielleicht denken, um wen es sich handelt?“

Der Kutscher zog eine Grimasse und antwortete:

„Natürlich um diejenigen, welche mit dem fremden Geschirr gekommen sind. Wenn es anders wäre, müßte ich mich außerordentlich irren.“

„Du hast allerdings ganz richtig geraten, alter Schlaukopf. Es handelt sich um einen Streich, den ich meinen Pflegeschwestern spielen will, von dem aber niemand etwas ahnen und erfahren darf. Wir wollen ihn beraten. Deine Rechnung wirst du schon dabei finden.“

Der Kutscher knurrte etwas, was der Lauscher nicht verstehen konnte. Jedenfalls aber sollte es etwas wie eine Zustimmung bedeuten. Charles Berteu fuhr fort:

„Ich muß dir nämlich sagen, daß ich etwas von den beiden Mädchen erfahren will, was sie mir nicht freiwillig mitteilen wollen. Ich muß sie also dazu zwingen. Dies kann aber nur dadurch geschehen, daß ich sie in Furcht jage, natürlich ohne ihnen wirklich ein Leid widerfahren zu lassen. Solche Mädchen öffnet die Furcht den Mund am leichtesten. Dabei nun sollst du mir behilflich sein.“

„Gern, wenn ich nämlich keinen Schaden davon habe“, antwortete der Mann.

„Schaden ganz und gar nicht. Du sollst ja nicht einmal wissen, welchen Scherz ich mit ihnen vornehmen will.“

„Das ist mir lieb, denn Ihre Scherze pflegen zuweilen nicht sehr spaßhaft zu sein.“

„Soll das ein Vorwurf sein oder vielleicht selbst ein Scherz?“

„Keins von beiden. Was ich sage, sollte nichts sein, als eine einfache Bemerkung, welche mir von der Erfahrung diktiert wurde.“

„Ich will nicht untersuchen, wie weit du als mein Diener zu einer solchen Einschaltung berechtigt bist. Heute handelt es sich um einen wirklichen Scherz, nämlich um so eine Art von Entführung.“