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„Nein, nicht öffnen!“ sagte sie.

„Aber, warum nicht?“

„Davon später!“

Fritz nickte ihr beistimmend zu.

„Sie beide befinden sich wohl weniger in Gefahr“, sagte er. „Aber wenn man sich meiner bemächtigt, so erwartet mich nichts Gutes. Ich habe den Kutscher gefesselt und diese beiden Messieurs niedergeschlagen.“

„Das ist schlimm, sehr schlimm!“ sagte Madelon. „Was ist da zu tun? Man klopft und ruft immer stärker.“

„Kommen Sie!“ meinte Fritz. „Man muß sehen, was sie wollen.“

Er ließ Hut und Mantel des Kutschers liegen. Die Revolver hatte er zu sich gesteckt. Er nahm die beiden Damen bei den Händen und führte sie im Dunkeln fort bis vor, wo die Pferde mit dem Wagen standen. Es waren draußen viele Menschen beschäftigt, das Tor aufzusprengen.

„Hätten Sie doch Ihr Gepäck nicht mit im Wagen!“ flüsterte er.

„Lassen wir es im Stich!“ antwortete Nanon.

„Nein. Man wird doch sehen, ob diese Messieurs es fertig bringen werden, uns festzuhalten. Ein Glück, daß dieser Raum hier groß genug ist, um den Wagen umlenken zu können. Bitte steigen sie ein!“

„Herrgott!“ sagte Nanon. „Es wird wohl gefährlich?“

„Für Sie nicht!“

„Aber für Sie?“

„Auch das befürchte ich nicht. So! Jetzt sitzen Sie fest. Jetzt wollen wir ein Wort mit diesen Leuten reden.“

„Wer ist draußen?“ frage er laut.

„Ich, ich, ich, wir, wir!“ antworteten viele Stimmen.

„Was wollt ihr denn eigentlich!“

„Wo ist Monsieur Berteu?“

„Im Schreibzimmer.“

„Und Monsieur Ribeau?“

„Auch dort.“

„Und der Fremde, der mich gewürgt und gebunden hat?“

„Das war der Kutscher. – Der bin ich.“

„Also, macht uns auf!“

„Sogleich! Im Augenblick!“

Er hatte den Wagen umgelenkt und die Zügel fest in der Hand. Das Tor ging nach auswärts auf; daher gelang es den Leuten nicht, es mit Gewalt zu öffnen. Während sie erfolglos pochten und hämmerten, konnten sie nicht hören, daß er den Holzriegel zurückschob. Im nächsten Augenblick saß er auf dem Bock, die Peitsche in der Rechten, die Zügel und den einen Revolver in der Linken. Ein Hieb mit der Peitsche, und die Pferde zogen an; das Tor prallte auf und riß mehrere der draußen Stehenden über den Haufen.

„Zurück! Platz gemacht!“ kommandierte er.

Sechs Revolverschüsse krachten; die erschrockenen Pferde bäumten sich; aber er hatte sie fest im Zügel. Noch einige Peitschenhiebe, und die Kutsche flog zum Tor hinaus und im Galopp auf dem Waldweg dahin.

Hinter ihr ertönten Flüche.

„Nach, nur immer nach!“ hörte man rufen.

Fritz lachte laut und fröhlich auf. Seine Pferde konnte kein Fußgänger einholen. Er lenkte im Galopp aus dem Waldweg heraus und in die Straße ein, welche nach dem Dorf führte. In kaum fünf Minuten war das letztere erreicht.

Vor der Schenke hielt der Kutscher.

„Schnell umsteigen, und dann fort!“ befahl Fritz.

In kaum einer Minute saß er mit den beiden Schwestern im anderen Wagen, der sich in rascheste Bewegung setzte. Berteus Kutsche aber blieb stehen, nachdem Fritz vorher seinen Hut wieder an sich genommen hatte.

Es war nicht geraten, heute nacht in Etain zu bleiben. Darum beschlossen sie, als sie dort ankamen, sofort wieder abzureisen. Der Kutscher aus Metz, mit dem sie gekommen waren, mußte sofort anspannen.

Das ging nicht ohne einiges Geräusch ab. Eben wurde das Gepäck aufgeladen; Fritz stand mit den Damen beim Wagen, beleuchtet von der Hauslaterne. Da wurde über ihnen ein Fenster geöffnet, und ein Kopf erschien, um herunterzublicken. Madelon war im Begriff, einzusteigen.

„Halt! Heda! Halt!“ rief es von oben.

Fritz blickte empor, um zu sehen, ob der Zuruf ihnen gelte.

„Halt! Heda! Warten!“ wiederholte es.

Dann verschwand der Kopf.

„Es scheint doch, daß wir gemeint waren“, sagte Nanon.

„Wahrscheinlich. Warten wir also!“

Der Hausflur war sehr hell erleuchtet, und die Treppe ebenso. Die Stufen der letzteren kam eine kurze, dicke Gestalt herabgeeilt, in eine rote Tischdecke gewickelt und einen riesigen Kalabreserhut auf dem Kopf. In der Eile verwickelte sich der Mann mit den Füßen in die Decke; er verlor die Balance und fiel die letzten Treppenstufen herab.

Bei dieser Gelegenheit flog die Tischdecke auseinander, und man sah, daß der Mann nur Unterhose und Hemd trug. Sogar barfuß war er. Er raffte sich schnell wieder empor, stülpte den Hut wieder auf den Kopf, schlang die rote Decke wieder um seine umfangreiche Gestalt und rief:

„Halt! Warten! Nur einen Augenblick!“

Nun kam er herbei.

„Meinen Sie uns Monsieur?“ fragte Fritz.

„Natürlich!“

„Wer sind Sie?“

„Ich bin Hieronymus Aurelius Schneffke, Kunstmaler. Ich –“

„Ah, kenne Sie bereits sehr gut!“ lachte Fritz.

„Wie? Sie kennen mich?“

„Ja, par Renommée und par Distance.“

„Freut mich, freut mich! Gehören Sie zu diesen Damen, und erlauben Sie mir vielleicht, mit der einen ein Wort zu sprechen?“

„Gern, sobald es der Dame selbst genehm ist.“

Hieronymus trat an den Wagenschlag zu Madelon.

„Bitte, Fräulein, ich möchte mir gern eine Erkundigung gestatten!“

„Ich stehe zu Diensten!“

„Ist sie wirklich eine Engländerin?“

„Wen meinen sie denn eigentlich?“

„Nun, die Gouvernante!“

„Ach so!“ lachte sie. „Ja, sie ist eine Engländerin.“

Sie sah sich durch die Verhältnisse zu einer Unwahrheit gezwungen.

„O weh! Das ist so dumm wie Pudding! Und sie heißt auch wirklich Miß de Lissa?“

„Allerdings.“

„Dann hole der Teufel sämtliche Gouvernanten!“

Er wandte sich zornig ab, um in sein Zimmer zurückzukehren, kam aber doch noch einmal zurück und fragte:

„Darf ich fragen, wo Sie jetzt gewesen sind?“

Das war allerdings eine etwas zudringliche Frage; aber sie hatte den eigentümlichen Menschen beinahe liebgewonnen. Darum antwortete sie bereitwillig:

„In Schloß Malineau.“

„Alle Wetter! Wer hätte das gedacht!“

„Kennen Sie diesen Ort?“

„Ich will ja hin!“

„Ah! Haben Sie die lange Reise nur um dieses Zieles willen unternommen?“

Er besann sich, ob er die Wahrheit sagen dürfe. Er hatte seinem Auftraggeber versprochen, sehr vorsichtig zu sein; darum antwortete er:

„Nein. Ich will das Schloß abzeichnen, da ich einmal in dieser Gegend bin. Wohnt nicht dort ein Monsieur Berteu?“

„Was soll er sein?“

„Schloßverwalter!“

„Der ist gestorben und heute begraben worden.“

„Hm, hm! Waren Sie mit bei diesem Begräbnis?“

„Ja. Ich habe die Reise nur deshalb unternommen.“

Es war ein eigentümlicher, verständnisinniger Blick, den er auf sie warf. Dann sagte er:

„Sie waren wohl mit Monsieur Berteu verwandt?“

„Er war unser Pflegevater. Hier ist meine Schwester.“

„Und wohin reisen Sie jetzt?“

„Wieder zurück. Vorher aber gehe ich mit meiner Schwester nach Schloß Ortry bei Thionville.“

„Ortry, hm! Mademoiselle, nehmen Sie einmal hier meine Hand! Ich mag Ihnen unbequem geworden sein; ich bitte Sie um Verzeihung. Es ist mir, als ob wir uns wiedersehen müßten, und zwar unter Verhältnissen, welche für Sie erfreuliche sein werden. Gute Nacht, und gute Reise!“

Er kehrte in sein Zimmer zurück und sah durch das geöffnete Fenster den Wagen abfahren. Dann entfernte er die Spuren der Zerstörung, welche er angerichtet hatte! Er war nämlich trotz seiner Müdigkeit vom Bett aufgestanden, um zu sehen, was es mit dem da unten stehenden Wagen für eine Bewandtnis habe, und dabei hatte er Madelon erkannt. Sie wollte abreisen, das hatte er gesehen; sprechen wollte er vorher mit ihr, und da er keine Zeit fand, sich anzukleiden, so hatte er schnell den Kalabreser aufgestülpt und die Decke vom Tisch gerissen, um sie als Nachtmantel um sich zu schlagen. Dabei aber hatte er alles, was auf dem Tisch stand, heruntergerissen. Als er dann am folgenden Morgen sein Portemonnaie suchte, fand er es in Gesellschaft mit dem goldenen Klemmer in demjenigen Geschirr, aus welchem man weder zu essen noch zu trinken pflegt. Er hatte beides mit vom Tisch herabgerissen.