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„Drüben im Parterre des rechten Flügels.“

„Und wie heißt er?“

„Melac.“

„Pfui Teufel!“

Sie blickte ihn erstaunt an.

„Was war Ihnen da?“ frage sie.

„Ich kann diesen Namen nicht leiden.“

„Und ich die Personen nicht.“

„Die Person des Beschließers?“

„Ja, die seinige und auch die andern.“

„So hat er Familie?“

„Ja; aber bitte, wir hier sprechen niemals von diesen Leuten!“

„Aber ich müßte doch zu ihnen gehen, wenn ich die Bilder einmal ansehen wollte.“

„Allerdings; aber ich rate Ihnen, es lieber zu unterlassen; Sie würden die Erlaubnis dazu doch nicht bekommen. Wir wohnen hier auf dieser Seite, und die Leute bleiben stets drüben auf der anderen. Wir haben nichts, gar nichts miteinander zu tun.“

Damit ging sie fort. Sie hatte zuletzt in einem beinahe rücksichtslosen, ja groben Ton gesprochen; doch kümmerte ihn das nicht. Was gingen ihn solche Familienzwistigkeiten an!

Nach Tisch steckte er sein Skizzenbuch zu sich und ging in dem Park, welcher zu dem Schloß gehörte, spazieren. Er war, wie jeder echte Künstler, ein Freund und Kenner der Natur. Er konnte bei einem Baum, einem Strauch stehen bleiben, um seine Eigenart, seine Individualität zu studieren. Daher kam es, daß er gar nicht auf die Richtung achtete, welcher er zuletzt folgte, bis er plötzlich, aus einem Buschwerk tretend, überrascht stehen blieb.

Ihm gegenüber, am anderen Saume der kleinen Lichtung stand eine Bank, und auf derselben saß ein Greis, wie so schön der Maler noch keinen gesehen hatte. Diese hohe Stirn, dieser ideale Schnitt des Gesichtes, dieser prachtvolle, schneeweiße Bart, welcher ihm weit über die Brust herabfloß!

Im Nu saß Schneffke hinter einem verbergenden Strauchwerk, im Nu war das Skizzenbuch geöffnet, und der Stift arbeitete an dem Porträt dieses edlen Greisenangesichts.

Und als dann des Tages Arbeit vollbracht war, saß er am Abend noch wach, die angefangene Skizze zu vollenden. Er sagte sich selbst, daß sie zum besten gehöre, was er je gezeichnet hatte.

Am frühen Morgen des anderen Tages zog es ihn wieder hinaus in den Park, und ganz unwillkürlich suchte er den Ort, an welchem er gestern den Greis bemerkt hatte. Die Bank war leer, und er setzte sich darauf.

Nicht lange aber war das geschehen, so hörte er eine volle, frische Mädchenstimme singen:

„Der Mensch soll nicht stolz sein

Auf Gut und auf Geld;

Es lenkt halt verschieden

Das Schicksal die Welt.

Dem einen sind die Gaben,

Die gold'nen, beschert;

Der and're muß sie graben

Tief unter der Erd'!“

Ein Lied in deutscher Sprache, hier in Frankreich, mitten unter einer französischen Bevölkerung. Das war seltsam. Er mußte die Sängerin sehen. Er stand also von der Bank auf und schritt der Gegend zu, aus welcher das Lied erklungen war.

Dort gab es auch eine Bank, und auf derselben saß die Sängerin, ein Mädchen im Alter von etwas über zwanzig Jahren vielleicht. Sie war sehr einfach gekleidet – weißer Rock und weißes Jäckchen. Sie war nicht hoch und schlank, sondern von kleiner Statur, aber ihre Formen waren voll und versprachen, mit der Zeit noch an Fülle zuzunehmen. Sie hatte blondes Haar und ein allerliebstes, rundes, herziges Gesichtchen, blaue Augen, ein kleines Näschen und einen Mund, der wie zum Küssen gemacht war. Ihr Schoß lag voller Blumen, aus welchem sie bemüht war, ein Bukett zu formen. Dazu sang sie jetzt:

„Auf d' Alma geh i aufi;

Es brummelt scho die Kuh.

Und wann der Bu zum Dirndl geht,

Da singt er au dazu.

Auf d' Alma is ka Polizei,

Das ist die schönste Ruh.

Nur wann der Bu zum Dirndl geht,

Da singt er au dazu!“

Und nun trällerte sie einen Jodler hinaus, hell und goldrein, daß sie von einer Tirolerin hätte beneidet werden können.

„Bravo! Bravissimo!“

So mußte Schneffke rufen; er konnte seinen Enthusiasmus nicht zurückhalten und schritt auf das Mädchen zu.

Es errötete, zeigte aber keine Verlegenheit, sondern sah mit hellen Augen seinem Kommen entgegen.

„Verzeihung, Mademoiselle, daß ich Sie störe!“ bat er. „Aber wenn ich so fröhlich singen höre, so geht mir das Herz auf, und ich möchte auch gern mit fröhlich sein.“

Er hatte, jetzt an das Französische gewöhnt, ganz unwillkürlich auch diese Worte in derselben Sprache gesprochen. Sie antwortete:

„Und Sie kommen herbei, weil Sie meinen, daß man zu zweien fröhlicher sein kann als allein?“

„Ja, so scheint es mir. Sie wenigstens, Mademoiselle, haben ganz das Aussehen, als ob man in Ihrer Nähe niemals traurig sein könne.“

Sei strich mit den kleinen, quatschigen Händen die Blumen, welche sich zerstreuen wollten, zusammen, lachte, daß ihre perlenweißen Zähne erglänzten, und antwortete:

„Sie mögen recht haben; es ist das eine Gottesgabe. Der eine ist glücklich, und er weint, und der andere, wenn er lacht. Gehören Sie zu den ersteren oder zu den letzteren?“

„Zu den letzteren, also zu Ihnen, Mademoiselle!“

„Wirklich? So setzen Sie sich her. Hier, ich mache Platz!“

Sie rückte, daß auch für ihn noch Platz wurde. Das geschah so ungesucht, so einfach, so selbstverständlich, so ohne Absicht und Koketterie, daß ihr der gute Hieronymus am liebsten gleich einen Kuß gegeben hätte.

„Danke!“ sagte er. „Nun sollte ich Ihnen helfen können; aber ich habe wohl gar kein Geschick dazu.“

„Das braucht's gar nicht, denn ich werde sogleich fertig sein. Es ist das eigentlich kein Geburtstagsstrauß; aber Großvater liebt die Feld- und Waldblumen mehr als alle anderen.“

„Heute ist der Geburtstag Ihres Großvaters?“

„Ja, heut!“ nickte sie.

„Sie wohnen wohl nicht weit von hier?“

„Nein, gar nicht weit.“

„Vielleicht sehen wir uns da noch einmal wieder, ehe ich fortgehe.“

„Fortgehen? Sie sind nicht von hier? Und doch sprechen Sie so gut den Dialekt dieser Gegend!“

„Und Sie sind Französin und singen deutsche Lieder.“

„Großvater hat die Deutschen gern.“

„So ist er wohl ein Deutscher?“

„Nein. Das sagt bereits unser Name.“

„Ah, wenn ich den doch hören dürfte!“

„Warum nicht? Wir heißen Melac.“

„Pfui Teufel!“ entfuhr es ihm, geradeso wie gestern.

Und wunderbar, sie nahm ihm das nicht übel; sie zuckte mit keiner Wimper, sondern sie sah ihm offen in das Angesicht und fragte:

„Nicht wahr, Sie denken an den Pfalzverwüster?“

„Ja. Nach ihm nennt man sogar die bissigsten Bluthunde Melac.“

„Wir stammen von ihm ab; er ist unser Ahne und gerade darum hält Großvater soviel auf die Deutschen. Er denkt, er soll wenigstens mit dem Herzen die Sünden des Ahnen gutmachen, da er sie anders doch nicht sühnen kann.“

„Dann ist Ihr Großpapa ein sehr braver Mann.“

„Ja, das ist er. Ich habe ihn sehr lieb und bin ganz stolz auf ihn. Der gnädige Herr General ist ihm auch gewogen.“

„So ist Ihr Großpapa Beschließer des Schlosses? Und Ihr Vater?“

„Ich habe nicht Vater und Mutter, darum bin ich bei den Großeltern.“

„Ich wohne bei dem Verwalter Berteu.“

„Der ist tot.“

„Sind Sie mit der Familie befreundet?“

„Sie fliehen uns, und doch haben wir Ihnen nichts getan. Ich habe Großvater nach der Ursache gefragt, doch der wußte es mir auch nicht zu sagen.“

Das war ein gutes Zeugnis für die Familie Melac und ein schlechtes für die Familie Berteu. Die Melacs waren nicht gewöhnt, ihren Nebenmenschen etwas Böses nachzusagen.