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„Von wem haben Sie Ihre deutschen Lieder gelernt?“ fragte Schneffke.

„Von den Großeltern. Beide sprechen deutsch. Wie lange werden Sie hier wohnen bleiben?“

„Nur einige Tage.“

„Wie schade! Wenn ich mit Ihnen spreche, so ist es als rede ich mit mir selbst.“

„Wahrhaftig, so ist es!“ stimmte der Maler ein. „Wenn ich hier wohnen bliebe, würde ich um die Erlaubnis bitten, Ihre Großeltern kennenzulernen.“

„Das können Sie ohnedies. Großvater spricht gern mit Leuten, welche über andere gerecht und billig denken. Haben Sie ihn noch nicht gesehen?“

„Ich bin heute erst zum zweiten Mal hier.“

„Nun, wenn Sie einen alten Herrn sehen mit langem, weißem Bart, der ist es. Sie können getrost eine Unterhaltung mit ihm beginnen; er liebt es sehr, seine Gedanken gegen andere auszutauschen, leider fehlt ihm hier die Gelegenheit dazu. Er schläft des Morgens länger als Großmama und ich. Nun aber wird er bald erwachen, und da muß ich mit den Blumen bei ihm sein.“

Sie erhob sich, um zu gehen. Man bemerkte, daß sie nicht recht wußte, in welcher Weise sie sich verabschieden sollte. Er war auch aufgestanden und sagte:

„Ich hätte Ihnen gern einige Blüten gepflückt für den guten Großpapa; dazu bin ich jedoch zu spät gekommen. Eins aber könnte ich zu diesem Strauß fügen, wenn ich wüßte, daß es ihm Freude bereitete.“

Sie blickte ihn erwartungsvoll an. Eine direkte Bitte oder Frage wollte sie nicht aussprechen.

„Ich bin nämlich gestern ein Dieb gewesen. Ich sah gestern einen alten, ehrwürdigen Herrn, welcher nach Ihrer Beschreibung Ihr Großpapa war. Ihm habe ich etwas geraubt. Hier ist es. Geben Sie es ihm heute zu seinem Geburtstag zurück, und bitten Sie ihn, es mir zu verzeihen!“

Er öffnete das Skizzenbuch und übergab ihr die gestern begonnene und auch vollendete Zeichnung. Als ihr Auge auf dieselbe fiel, stieß sie einen Ruf des Erstaunens aus.

„Sein Bild! Sein Bild! Wie ähnlich! Welch eine Überraschung! Sind Sie denn Künstler, Maler, Monsieur?“

„Ich male, ja.“

„Das ist ein Meisterstück, ein großes Meisterstück! Ich bitte Sie dringend, Großpapa zu besuchen, damit auch er dieses Porträt einmal zu sehen bekomme!“

„Ich habe Sie bereits gebeten, es ihm zu überreichen.“

„Es ihm zu zeigen, wollen Sie sagen!“

„Nein, es soll sein Eigentum sein, ein Geburtstagsgeschenk von seiner guten, liebenswürdigen Enkeltochter.“

Er sah es ihr an, daß es ihr schwer wurde, an die Wahrheit einer so großen Gabe zu glauben.

„Wirklich, Monsieur?“ fragte Sie. „Sie sprechen im Ernst?“

„Gewiß. Das Bild gehört Ihnen.“

Da ging ein Strahl unendlichen, kindlichen Glücks über ihr vor Freude und Entzücken gerötetes Angesicht.

„Monsieur, Monsieur, so etwas hätte ich nicht für möglich gehalten. Die Freude, welches Ihr Geschenk bereitet, wird eine unbeschreibliche sein! Wie soll ich Ihnen danken!“

„Wenn ich dürfte, wollte ich Ihnen sagen, wie Sie mir am besten danken können.“

„O bitte, sagen Sie es! Sagen Sie es!“

Sie hatte eine einfache Federnelke an ihre Brust befestigt. Er deutete auf dieselbe und sagte:

„Gewähren Sie mir diese Blume, Mademoiselle! Ich werde sie als Erinnerungszeichen dieser Stunde, solange ich lebe, treu bewahren.“

Sie erglühte, nahm aber die Nelke und reichte sie ihm hin.

„Es ist so wenig, so sehr wenig“, sagte sie. „Ich wollte, ich könnte Ihnen noch besser dankbar sein! Aber bitte, erlauben Sie auch Großpapa, Ihnen Dank zu sagen! Darf er hoffen, Sie heut bei sich zu sehen?“

„Falls mir der Zutritt gestattet ist, ja.“

„Sie werden sehr willkommen sein! Adieu, Monsieur!“

Sie ging, und er blickte ihr nach, solange er sie sehen konnte.

„Welch ein Mädchen!“ sagte er zu sich selbst. „Das ist so eine Sorte – unverdorben, gesund, gemütvoll und eher ein bißchen zu dick als zu dürr. Ich glaube, die wird einmal ganz meine Figur bekommen. Alle Wetter, was für ein respektables Paar würde das geben! Ich mag wirklich von keiner Gouvernante etwas wissen. Sie halten nicht Stich; sie verändern sich zu oft; sie werden zu schnell englisch und bekommen andere Namen. Dann läuft man ihnen nach und versäumt da Eisenbahnzüge. So ein Naturkind aber wie dieses Mädchen hier, ist etwas ganz anderes. Das hat Kern und Leben; da drin steckt Saft und Kraft! Diese Parkblume vom Schloß Malineau muß meine Frau werden, sonst bleibe ich ledig!“

Nachmittags, zur üblichen Visitenzeit, begab er sich in das Parterre des rechten Schloßflügels. Er sah den Namen Melac an einer der Türen stehen und klopfte. Es wurde ihm von der ‚Parkblume‘ geöffnet, welche ihn bat, einzutreten. Sie verriet eine große Freude über seinen Besuch und führte ihn in das Nebenzimmer. Dort saß der alte, ehrwürdige Herr, dessen Porträt er aufgenommen hatte, neben ihm eine Dame wohl desselben Alters und von einer mehr als glücklichen Wohlbeleibtheit. Sie besaß eine große Ähnlichkeit mit ihrer Enkelin, und es stand zu erwarten, daß diese letztere einst ganz denselben Körperumfang wie ihre Großmutter erreichen werde.

„Das ist der Herr, den ich heute früh im Park traf“, sagte das Mädchen, „und welcher die Güte hatte, mir dein Porträt zu schenken, lieber Großvater.“

Die beiden ehrwürdigen Leute erhoben sich und begrüßten den Maler freundlich und herzlich wie einen alten Bekannten. Sie machten den besten Eindruck auf ihn. Er nannte seinen Namen, nämlich Schneffka, wie er sich ja auch Berteu gegenüber genannt hatte, und fühlte sich sehr bald in ein recht animiertes Gespräch gezogen.

Auf dem Tisch stand Wein und eine bereits angeschnittene Torte, jedenfalls dem Geburtstage zu Ehren. Er erhielt ein Stück des Kuchens und ein Glas Wein, und die drei Leute schienen sich darüber zu freuen, daß er sich dies ohne alle Komplimente gefallen ließ.

An der Wand hing ein ziemlich großes Bild, ein Porträt in Pastell. Es stellte einen jungen Mann vor, dessen Gesichtszüge den Südländer verrieten, hatte aber, obgleich es durch ein Glas geschützt war, von seiner ursprünglichen Frische sehr viel verloren. Die Pastellgemälde sind die vergänglichsten, weil bei ihnen die Farben nur wie zarter Staub auf der Fläche kleben. Sie müssen besonders von der Einwirkung der Luft und der Feuchtigkeit sowie auch vor Staub und Erschütterung bewahrt werden.

Das Auge des Malers kehrte während der Unterhaltung immer wieder nach dem Porträt zurück. Er erkannte, daß es von einem Meister gefertigt sein müsse. Wie kam ein derartiges Kunstwerk, ein so teures Stück in die Wohnung eines einfachen Beschließers? fragte er sich im stillen.

Melac bemerkte die Anziehungskraft, welche das Bild auf seinen Besucher ausübte, und fragte daher.

„Sie interessieren sich für dieses Porträt, Monsieur?“

„Allerdings. Es scheint ein Meisterwerk zu sein.“

„Wirklich? Ich verstehe nichts davon.“

„Wer hat es gemalt?“

„Das weiß ich leider nicht.“

„Ist nicht der Name des Künstlers, ein Faksimile, oder irgendein Zeichen zu sehen?“

„Nein, auch das nicht.“

„Aber Sie wissen wenigstens, wer der Herr ist, welchen das Porträt vorstellt?“

„Auch das ist uns unbekannt. Das Bild ist nämlich ein Geschenk, oder vielleicht darf ich auch das nicht sagen, da ich noch unsicher bin, ob ich mich den Besitzer desselben nennen darf.“

„Das klingt ja recht geheimnisvoll!“

„Ist es wohl auch.“

„Ah, das liebe ich. Dem Maler ist nichts so interessant wie ein Bild, mit welchem irgendein Geheimnis verknüpft ist.“

„Leider bin ich nicht imstande, dieses zu durchdringen. Ich erhielt das Bild von einer Sterbenden, oder doch wenigstens von einer Kranken, welche am nächsten Tag starb.“