„Und Sie wissen nicht, auf welche Weise sie in den Besitz desselben gekommen war?“
„Nein. Die Dame wohnte hier. Sie hieß Charbonnier und hatte zwei Töchter – – –“
„Charbonnier?“ unterbrach ihn der Maler.
Er mußte sofort an Madelon Köhler denken. Charbonnier heißt ja Köhler im Deutschen.
„Ja, Charbonnier“, antwortete der Gefragte. „Sie wohnte beim Verwalter und schien bessere Tage gesehen zu haben. Sie sprach niemals von ihrer Vergangenheit, obgleich sie täglich hier bei uns war. Sie schloß sich nämlich mehr an uns, als an die Familie des Verwalters. Als sie krank wurde, ließ sie sich von einer Frau pflegen. Wir dachten keineswegs, daß die Krankheit zum Tod führen würde. Sie schickte mir damals das Bild und ließ mir sagen, daß sie mit mir darüber zu sprechen habe. Am anderen Tag aber war sie tot.“
„Ohne Ihnen eine Aufklärung gegeben zu haben?“
„Leider. Sie hat in ihren letzten Augenblicken davon sprechen wollen, aber nur noch stammeln können. Meine Frau ist nicht imstande gewesen ein Wort zu verstehen.“
„Hm! Sie wissen also ganz und gar nichts über die Vergangenheit der Dame?“
„Nein. Sie ist eines schönen Tages nach Schloß Malineau gekommen und hat sich beim Verwalter ein Stübchen gemietet. Dann, als sie starb, hat dieser sich der Kinder angenommen. Die beiden Mädchen sind Erzieherinnen geworden.“
Schneffke durfte nicht verraten, wie ganz außerordentlich er sich für diese Angelegenheit interessierte. Er sagte:
„Ein eigentümlicher Fall. Ich habe eine gewisse Leidenschaft für dergleichen geheimnisvolle Geschichten. Vielleicht könnte der Verwalter Auskunft geben. Mit ihm ist die Dame jedenfalls offen gewesen.“
„Möglich, obgleich ist es nicht glaube. Übrigens wird er keine Auskunft erteilen können, denn er ist tot.“
„Vielleicht hat er seinen Sohn eingeweiht.“
„Das ist sehr unwahrscheinlich. Ich glaube, daß der junge Berteu nicht das mindeste weiß.“
Das war es ja, was Schneffke erfahren und erkundschaften sollte!
„Sie haben den toten Verwalter mit zu Grabe geleitet?“ fragte er, damit das Gespräch nicht ins Stocken gerate.
„Nein. Ich hätte das nicht wagen dürfen, da wir mit den Berteus entzweit sind. Sie wohnen bei ihnen; haben Sie nichts davon bemerkt?“
„Ich habe es ahnen können.“
„Wir sind nicht schuld daran. Der junge Berteu ist ein roher, rücksichtsloser Patron. Er stellte unserer Enkelin nach, und zwar in einer Weise, daß Marie um meinen Schutz bitten mußte. Ich wies den Menschen zurecht, und seit jener Zeit leben wir in Feindschaft. Der Haß wird von unserer Seite keineswegs gepflegt, obgleich uns sehr oft Gelegenheit geboten wird, ärgerlich zu werden. Die Berteus haben sogar gewagt, dieses Bild von uns zu fordern, natürlich ohne allen Erfolg.“
„Aber Berteu hat doch kein Recht dazu!“
„Nicht das mindeste. Der verstorbene Verwalter ist ja zugegen gewesen, als Frau Charbonnier meine Frau gebeten hat, das Bild mitzunehmen; er hat aber stets behauptet, daß es uns nicht ausdrücklich geschenkt worden sei.“
„So hat er es wohl für die beiden Mädchen reklamiert?“
„Ja, scheinbar, in Wirklichkeit aber jedenfalls für sich.“
„Vielleicht hat er geahnt, daß es irgendeine Bewandtnis mit dem Bild hat.“
„Es wird wohl so sein.“
„Würden Sie mir erlauben, es einmal zu betrachten?“
„Sehr gern! Marie, nimm es einmal herab!“
Das Mädchen stellte sich einen Stuhl an die Wand, konnte aber das Gemälde noch nicht gut erreichen; darum nahm Schneffke einen zweiten Stuhl, um ihr zu helfen. So standen sie nebeneinander auf den Stühlen, und gerade als es ihnen gelungen war, das Bild vom Nagel zu nehmen, wackelte Maries Stuhl. Schneffke glaubte, sie würde fallen und bog sich zu ihr hinüber, um sie zu halten. Dadurch verlor er das Gleichgewicht und – stürzte selbst herab. Er hielt selbst im Fallen das Bild noch fest. Marie ließ auch nicht los, da sie das Glas nicht zerbrechen lassen wollte, und so kam es, daß auch sie die Balance verlor und im nächsten Augenblick auf den dicken Maler fiel.
„Mein Gott!“ rief der Beschließer. „Welch ein Unglück!“
Er kam herbeigeeilt.
„Es ist doch nichts zerbrochen?“ fragte die Beschließerin voller Angst.
„Nein“, antwortete Schneffke, am Boden liegend. „Das Glas ist noch ganz, es ist nicht zerbrochen.“
„Das meine ich nicht; aber Sie, Monsieur; sind Sie noch ganz?“
„Ich werde nachsehen.“
Marie hatte sich schnell aufgerafft. Ihr hübsches Gesichtchen glühte vor Verlegenheit. Schneffke stand langsam auf, betastete sich, streckte die Arme aus, hob ein Bein nach dem andern in die Höhe und sagte dann lachend:
„Unbeschädigt! Ich bin auch nicht entzwei.“
„Welch ein Glück!“ meinte die Frau. „Das sah wirklich ganz gefährlich aus!“
Der Maler schüttelte den Kopf, strich sich mit beiden Händen denjenigen Teil seines Körpers, auf welchem er damals in Tharandts ‚Heiligen Hallen‘ die Schlittenpartie gemacht hatte, und antwortete gutmütig:
„Es war nicht so schlimm, wie Sie gedacht hatten, Madame. Ich falle sehr weich.“
„Das scheint wahr zu sein“, lachte der Beschließer. „Ich glaube, Marie ist schuld gewesen.“
„Nein“, meinte Schneffke. „Die Schuld liegt an mir. Nur gut, daß wir nicht das Bild zerbrochen haben. Lassen Sie es mich betrachten.“
Er trug es in die Nähe des Fensters und untersuchte das Gemälde.
„Sehen Sie“, sagte er nach einiger Zeit. „Hier unten in der Ecke steht ein M mit einem Strich hindurch. Es ist allerdings kaum noch zu erkennen. Das ist das Faksimile des berühmten Porzellanmalers Merlin in Marseille, der allerdings seit längerer Zeit tot ist. Das Porträt ist ein Meisterstück, hat aber sehr gelitten, da es weit transportiert worden ist. Die Farbe ist ausgestaubt.“
„Geht das nicht auszubessern?“
„O doch! Soll ich es machen?“
„Ah, wären Sie bereit dazu?“
„Gewiß! Sie brauchen mich das Gemälde nur mitnehmen zu lassen. In zwei Tagen bin ich fertig.“
„Mit hinüber zu Berteu? Das möchte ich unter den Umständen nicht wagen.“
„Warum nicht?“
„Wer weiß, ob ich es wieder bekäme.“
„Sapperlot! Mißtrauen Sie mir?“
„O nein. Aber Berteu ist gewalttätig. Er würde Sie vielleicht hindern, mir das Bild zurückzugeben.“
„Hm! Was ist da zu machen?“
„Vielleicht könnten Sie sich entschließen, die Reparatur bei uns vorzunehmen.“
Das war dem guten Schneffke sehr willkommen. Auf diese Weise fand er ja Veranlassung, in der Nähe der hübschen Marie zu verweilen.
„Ich bin gern bereit dazu“, sagte er, „fürchte aber, Ihnen lästig zu fallen.“
„Keineswegs! Sie sind uns herzlich willkommen. Aber einen Punkt müssen wir vorher besprechen –!“
„Ah! Sie meinen das Honorar? Sorgen Sie sich nicht. Ich unternehme diese Arbeit zu meinem Vergnügen. Ich lerne dabei; ich übe mich. Meinen Sie, daß ich mich dafür auch noch bezahlen lassen soll?“
„Sie sind sehr nachsichtig, Monsieur. Wann dürfen wir Sie da erwarten?“
„Kann ich morgen Vormittag beginnen?“
„Zu jeder Zeit, und ganz nach Ihrem Belieben! Aber, Monsieur, weiß Berteu von Ihrem gegenwärtigen Besuch?“
„Bis jetzt wohl schwerlich.“
„Er wird erfahren, daß Sie zu uns gehen?“
„Jedenfalls.“
„Sie werden dadurch in Ungelegenheiten kommen.“
„Das schadet nichts. Ich bin nämlich ein großer Freund von Ungelegenheiten, zumal von solchen. Jetzt aber erlauben Sie mir, mich Ihnen zu empfehlen.“
Er reichte Marie die Hand. Sie befand sich noch immer in Verlegenheit. Er lachte fröhlich auf und sagte: