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Er wanderte langsam seiner Wohnung, dem Verwalterhaus, zu. Die Tür war bereits verschlossen, und er sah sich also gezwungen, zu klopfen. Charles Berteu öffnete ihm. Er machte ein sehr erstauntes Gesicht, als er ihn erblickte.

„Sie?“ sagte er.

„Ja, ich“, antwortete der Maler.

„So spät.“

„Ich finde es nicht sehr spät.“

„Nicht? Nun, dann haben wir wohl auch noch Zeit, ein Glas Wein zu trinken?“

Schneffke sah ein, daß der Wein nur als Vorwand diente. Die eigentliche Absicht des Franzosen war natürlich, ihn bereits jetzt in das Verhör zu nehmen.

„Ein Glas Wein?“ sagte er gleichmütig. „Den verschmähe ich zu keiner Zeit. Da können Sie mich sogar mitten in der Nacht vom Schlaf aufwecken.“

„So kommen Sie.“

„Aber gut muß er sein. Fusel trinkt kein Künstler so kurz vor dem Schlafengehen.“

„Haben Sie bei mir bereits etwas Schlechtes getrunken?“

„Das kann ich nicht sagen.“

„Also. Folgen Sie mir.“

Er führte ihn in sein Zimmer und ging dann Wein zu holen. Er kam nach kurzer Zeit zurück und schenkte ein.

„So, nehmen Sie, Monsieur“, sagte er. „Auf das Wohl unseres schönen Frankreich!“

Dabei bohrte er seinen Blick in das Gesicht des Deutschen.

„Frankreich soll leben!“ antwortete derselbe, indem er mit ihm anstieß.

„Und auf das Wohl und den Ruhm unseres großen Kaisers!“

„Hoch, Napoleon!“

„Trinken Sie doch aus.“

„Hab' schon. Sehen Sie her. Wenn es sich um den Ruhm Frankreichs und seines Kaisers handelt, da lasse ich keinen Tropfen im Glas.“

Der Franzose goß die Gläser wieder voll und sagte:

„Wie ich sehe, sympathisieren Sie mit Frankreich?“

„Oh, sehr!“

„Warum?“

„Na, weil mir das Land gefällt, das Land, das Volk und auch der Kaiser!“

„Aber Sie müssen doch Gründe dieses Wohlgefallens haben.“

„Pah! Warum gefällt Ihnen ein Hund?“

„Welcher Vergleich, Monsieur!“

„Oder eine Blume? Oder ein Mädchen?“

„Das ist Geschmackssache.“

„Nun gut, Ihr Kaiser ist auch nach meinem Geschmack.“

„Warum?“

„Donnerwetter! Warum ist das Mädchen nach Ihrem Geschmack?“

„Wir drehen uns im Kreis herum.“

„Und das ist eine Dummheit. Bleiben Sie also ruhig sitzen. Übrigens wissen Sie wohl, daß Polen stets mit Frankreich sympathisiert. Wäre es nach dem Willen des großen Napoleon gegangen, so wäre Polen frei.“

„Allerdings. Also, Sie sind ein Pole?“

„Natürlich!“

„Wohl ein Deutschpole?“

„Welche Frage. Gibt es wohl französische Kirgisen, oder gibt es Deutschkalmücken? Pole ist Pole. Verstanden?“

„Sie sprechen sehr kräftig!“

„Ja, wenn man mir Polen anrührt, so kann ich sehr leicht in Affekt geraten.“

„Und doch sehen Sie gar nicht aus wie ein Pole!“

„Warum?“

„Ihr Bäuchlein, Monsieur – – –!“

„Mein Gott! Welch eine Vorstellung haben Sie denn eigentlich von uns. Glauben Sie, wir Polen seien Hungerleider?“

„Das gerade nicht.“

„Zaunlatten oder Hopfenstangen?“

„Auch das nicht. Aber ich stelle mir jeden Polen schlank und wohlproportioniert vor.“

„Da sollte doch der Teufel dreinschlagen, Monsieur!“ sagte Schneffke zornig. „Bin ich etwa nicht wohlproportioniert?“

„Nun, eigentlich doch nicht so ganz.“

„Also schlechtproportioniert?“

„Das nun freilich nicht gerade.“

„Aber, was meinen Sie denn eigentlich mit Ihrem ‚proportioniert‘.“

„Die Verhältnisse des Körpers.“

Da stand Schneffke vom Stuhl auf, stellte sich breitspurig vor den Franzosen hin und sagte:

„Die Körperverhältnisse. Also gut. Sehen Sie mich doch gefälligst einmal an. Na, sehen Sie mich überhaupt?“

„Zu übersehen sind Sie nicht!“

„Gut! Einen Körper habe ich also, da Sie mich sehen. Nun kommt es darauf an, welche Verhältnisse dieser Körper hat!“

„Verhältnisse hat er auf alle Fälle.“

„Ob aber gute oder schlechte. Fangen wir beim Bauch an, da der am meisten in die Augen springt. Können etwa Sie so etwas Ausgebildetes, ich möchte beinahe sagen, Vollendetes, aufzeigen?“

„Nein!“ lachte der Franzose. „Sie sind mehr als wohlbeleibt; Sie sind dick.“

„Schön! Die Beine. Sind diese etwa dünn?“

„Nein.“

„Die Arme?“

„Auch dick.“

„Der Hals?“

„Dick.“

„Die Wangen?“

„Dick.“

„Und nun gar die Taille?“

„Außerordentlich dick.“

„Also wie ist alles an mir, Monsieur?“

„Dick, dick und abermals dick.“

„Und das nennen Sie nicht wohlproportioniert?“

„Ah! Meinen Sie es so?“

„Natürlich! Habe ich etwa einen aufgequollenen Leib und dazu fadenschwache Beine?“

„Nein.“

„Oder einen krummen Rücken und gerade Lenden?“

„Nein.“

„Oder kleine Augen und eine große Nase?“

„Auch nicht.“

„Nun wohl! Sie sehen also, daß kein Mensch besser proportioniert sein kann als ich. Ich will mich zwar nicht geradezu einen Adonis nennen, denn unter die Götter gehöre ich nicht, aber das Menschenmögliche in Beziehung auf Schönheit und Wohlgestalt, das leiste ich. Verstanden? Glauben Sie nun endlich, daß ich ein Pole bin?“

„Ja. Aber Ihre Sprache –!“

„Sprache? Was denn? Natürlich habe ich mit Ihnen französisch gesprochen. Wollte ich polnisch anfangen, so glaube ich, würde es Ihnen hinter der Stirn mehr oder weniger polnisch werden.“

„Das ist's nicht, was ich meine. Ich wollte nur sagen, daß Sie kein polnisches Französisch sprechen.“

„Davor soll mich auch der liebe Gott behüten.“

„Polen pflegen eine andere Aussprache zu haben.“

„So? Haben Sie bereits einmal Polen französisch sprechen hören? Wo denn?“

„In Paris!“

„Das ist auch eine schöne Sorte von Polen gewesen, Monsieur. Sie sind ja gar nicht imstande, einen Polen zu verstehen, wenn er französisch spricht. Das weiß ich besser als Sie!“

Diese drastische Zurechtweisung verfehlte ihre Wirkung nicht. Die Wahrheit war, daß Berteu noch gar keinen Polen gesehen, viel weniger aber gesprochen hatte. Er antwortete:

„Sie mögen recht haben. Aber Monsieur, da fällt mir ein, Sie sind Maler?“

„Welche Frage. Natürlich bin ich Maler.“

„Bloß Maler?“

„Freilich.“

„Weiter nichts?“

„Ist das etwa nicht genug? Wollen Sie mich beleidigen?“

„So meinte ich es nicht. Ich wollte nur fragen, ob Sie nicht noch einen anderen Beruf haben.“

„Natürlich habe ich den.“

„Ah! Jetzt kommt es. Welchen Beruf haben Sie noch?“

„Nicht einen, sondern vier.“

„Gar vier! Welche?“

„Ich bin erstens Mensch, zweitens Christ, drittens Bürger und viertens steht zu erwarten, daß ich auch einmal noch Familienvater sein werde.“

Der Franzose fühlte sich sehr enttäuscht. Er hatte erwartet, das zu hören, was er hören wollte. Er bemerkte gar nicht, daß der Maler mit ihm spielte.

„Mille tonnerres!“ fluchte er. „Das nenne ich doch keine eigentlichen Berufsarten!“

„Und doch sind sie es.“

„Nun, sagen wir also Erwerbsarten.“

„Das ist etwas anderes!“