„Wer sind sie?“ fragte dieser.
„Künstler. Ich suche Monsieur Melac.“
„Der ist nicht zu sprechen. Befindet sich bei Exzellenz.“
„Madame Melac?“
„Beim gnädigen Fräulein.“
„Mademoiselle Melac?“
„Auch beim gnädigen Fräulein.“
„Donnerwetter! Ich habe keine Zeit! Ich muß Abschied nehmen. Der Kutscher wartet nicht.“
Der Diener musterte ihn und sagte dann lächelnd:
„Monsieur, ist es wirklich so eilig?“
„Sehr.“
„Herr Melac kann nicht, Frau Melac wohl auch nicht. Genügt es Ihnen vielleicht, wenn ich Ihnen Fräulein Melac sende?“
„Ja, ja; das genügt vollständig!“ beeilte sich Hieronymus zu antworten.
„Wohin soll ich sie Ihnen senden?“
„Hinunter in die Wohnung.“
„Schön! Verlassen Sie sich darauf, daß es gleich besorgt wird!“
Der Maler begab sich hinunter nach der Wohnung des Beschließers, und der Diener ging in das Vorzimmer des Fräuleins. Dort war eine Zofe beschäftigt, Servietten zu legen.
„Wer ist bei der gnädigen Komtesse?“ fragte er.
„Madame und Mademoiselle Melac.“
„Kann ich Madame einmal haben?“
Die Zofe ging hinein und brachte Frau Melac heraus.
„Madame, es war ein Herr hier, welcher Sie sehr notwendig zu sprechen hat“, meldete der Diener.
„Mich?“
„Ja. Wenigstens glaube ich richtig verstanden zu haben.“
„Wer war es?“
„Er nannte sich einen Künstler.“
„Ah, ein kleiner, wohlbeleibter Herr?“
„Ja, ja, das war er.“
„Wo ist er?“
„In Ihrer Wohnung.“
Sie ging hinab, und der Diener entfernte sich, ein lustiges Lächeln auf seinen Lippen.
Herr Hieronymus Aurelius Schneffke stand unten vor dem Spiegel und betrachtete sein dickes Konterfei, welches von der Glasscheibe in sprechender Ähnlichkeit zurückgeworfen wurde.
„Ein übler Kerl bin ich nicht“, meinte er. „Wer mich umarmt, der oder die hat etwas in den Händen! Donnerwetter, ich passe doch ganz prächtig zu dieser famosen Marie. Die Länge, die Breite, die Tiefe, das Gewicht, der Umfang, der Kubikinhalt, alles, alles klappt aufs Beste. Darum ist ein Kuß von ihren Lippen so hübsch bequem. Man braucht nicht in die Höhe zu springen, so daß man sich die Waden dehnt, und man braucht auch nicht sich zu bücken, so daß man sich das Kreuz verstaucht. Jetzt kommt der Abschied! Der soll – ah, ich höre sie! Das sind Frauenschritte. Sie kommt. Ich werde sie sofort umfangen.“
Er stellte sich neben den Eingang. Die Tür ging auf.
„Marie, meine liebe, süße – – himmelheiliges Schock – Sackerment – welch' ein Heidenpech!“
Er sprang zurück. Er hatte die Mutter der Erwarteten an sein sehnsüchtiges Herz gedrückt.
Frau Melac war erstaunt, sogar mehr als erstaunt.
„Monsieur!“ rief sie.
„Madame“, antwortete er, da ihm in diesem Augenblick nichts anderes einfiel.
„Sie umarmen mich?“
„Ja, leider!“ stieß er hervor.
„Leider! Das soll also heißen, daß ich nicht eigentlich zum Umarmen geeignet bin?“
Er schwitzte bereits vor Angst.
„Jetzt wohl nicht mehr!“ antwortete er.
Erst als diese Worte heraus waren, bemerkte er, was für eine Unhöflichkeit er begangen hatte. Sie sah seine Verlegenheit, sie hielt ihn für einen guten Menschen. Ein Lächeln trat auf ihre Lippen.
„Jetzt also nicht mehr!“ meinte sie. „Bin ich denn gar so abschreckend häßlich?“
„Nein. Daß Sie so ein Monstrum sind, das habe ich doch nicht gemeint!“
„Gut! Ihre Umarmung hat jedenfalls einer anderen gegolten?“
„Ja.“
„Diese andere heißt Marie? Wenigstens glaube ich, diesen Namen gehört zu haben.“
„Ich kann es nicht leugnen!“
„Meinen Sie meine Tochter?“
„Ja“, nickte er zustimmend.
„So, so! Also diese wollten Sie umarmen?“
„Das war allerdings mein Wunsch.“
„Warum schicken Sie aber da zu mir?“
„Zu Ihnen?“ fragte er.
„Ja. Der Diener ließ mich doch rufen.“
„Ah! Hätte ich den Kerl hier!“
„Er wird Sie falsch verstanden haben.“
„Unmöglich! Ich bin nicht stumm und er ist hoffentlich nicht taub. Ich glaube, der Kerl hat sich einen Spaß machen wollen!“
„Wenn das der Fall ist, so ist ihm derselbe allerdings auch ganz prächtig gelungen.“
„Aber mir nicht! Ich verbitte mir solche Bedientenscherze!“
„Ich mir eigentlich auch. Da aber die Sache nun einmal nicht zu ändern ist, so wollen wir darüber hinweg zur Tagesordnung übergehen.“
„Hm!“ brummte er, indem er sie prüfend anblickte. „Was verstehen Sie unter Tagesordnung?“
„Das, was nun jetzt an der Ordnung ist. Oder sollten Sie sich das nicht selbst sagen können?“
Er hatte bereits nach seinem Hut gegriffen, um sich schleunigst zurückzuziehen, falls die Sache für ihn ein schlimmes Aussehen annehmen werde. Da aber Frau Melac sich ruhig niederließ und ein keineswegs unfreundliches Gesicht zeigte, so legte er den Kalabreser wieder fort und sagte:
„Es ist wahr, Madame; ich habe Sie zunächst herzlichst um Verzeihung zu bitten.“
„Ich verzeihe Ihnen“, antwortete sie lächelnd. „Es gibt nicht leicht eine ältere Dame, welche eine Umarmung unverzeihlich findet. Und übrigens haben Sie mir ja die freundliche Versicherung gegeben, daß ich wenigstens nicht geradezu ein Monstrum von Häßlichkeit bin.“
„Nein, das sind Sie nicht, denn sonst hätten Sie auch nicht die mindeste Ähnlichkeit mit Mademoiselle Marie.“
„Das ist's, worauf wir kommen müssen! Also Marie war es, welche Sie umarmen wollten?“
„Ja.“
„Aber wissen Sie, welche Person man umarmt?“
„Jedenfalls nur diejenigen, welche man liebhat.“
„Damit wollen Sie sagen –?“
„Daß ich Marie liebhabe? Ja.“
„Aber, Monsieur, Sie kennen Marie erst seit gestern. Das ist aber doch ganz ungewöhnlich schnell gegangen.“
„Ja, ich kam, ich sah, und ich siegte!“
Frau Melac lachte belustigt auf und antwortete:
„Oder vielmehr, Sie kamen, Sie sahen, und Marie siegte. Ist's nicht so?“
„Auch so, ja. Wir haben einander gesehen und besiegt. Wir haben voreinander die Segel und die Flaggen gestrichen, wir werden uns Bord an Bord legen, um als einträchtige Doppelfregatte über das Meer des irdischen Lebens zu stampfen und zu dampfen.“
„Sie verstehen es, sich außerordentlich poetisch auszudrücken, mein Lieber!“
„Ja, man hat das seinige gelernt“, lachte er.
Sie stimmte in seine Lustigkeit ein, was ihm all seinen Mut wiedergab, und sagte dann:
„Wie es scheint, haben Sie bereits mit Marie gesprochen?“
„Vorhin, vor der Ankunft des Grafen, der mir höchst ungelegen kam. Er konnte zehn Minuten später eintreffen.“
„Hat Marie Ihnen ihr Wort gegeben?“
„Nein, aber einen Kuß.“
„Einen Kuß? Ah!“
„Ja, so ungefähr.“
Er umarmte sie, ehe sie ihn abwehren konnte, und gab ihr einen herzhaften Kuß auf den Mund.
„Sachte, sachte!“ mahnte sie, ihn von sich schiebend. „Sie sind ja ein echter Alexander der Große im Erobern.“
„Das ist angeborene Gottesgabe“, antwortete er lachend.
„Und dennoch kann ich diese Schnelligkeit nicht begreifen, mit welcher Sie mit Marie einig geworden sind.“
„Ja, es kam auch für mich ein wenig rasch. Aber während der eine fünfzehn Jahre braucht, um nur zu erfahren, daß man lebt, um zu heiraten, hat der andere bereits die sechste Frau zu Tode geärgert. Die Liebe kommt bei dem einen wie eine Schnecke und bei dem anderen wie ein geölter Blitz. Das geht Puff auf Puff und Knall auf Knall. Es leuchtet, ein Donnerschlag, und man ist getroffen und erschlagen für die ganze Lebenszeit.“