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„Ich heiße de Lissa.“

„Welche Überraschung! Jene Dame ist Ihre Verwandte?“

„Ja, meine Schwester. Jetzt bin ich aufrichtig mit Ihnen gewesen. Werden Sie sich mir nun anvertrauen?“

Da streckte ihm der Amerikaner die Hand entgegen und sagte:

„Hier meine Hand! Ich bin der Ihrige ganz und gar, so weit Sie nur über mich verfügen wollen.“

„Gut. Sagen muß ich Ihnen, daß der Kapitän Sie heimlich beobachten wird. Er vermag Ihr ganzes Zimmer zu überblicken.“

„Wieso?“

„Das kann ich Ihnen nicht beschreiben, werde es Ihnen aber baldigst zeigen. Was Sie nur immer in Ihrem Zimmer tun, das tun Sie ganz in der Voraussetzung, daß der Alte Sie beobachtet. Sie werden also genießen, was man Ihnen bietet?“

„Ja, da Sie es wollen.“

„Sie beschäftigen sich vor dem Schlafengehen mit Ihren Wertpapieren, damit der heimliche Beobachter sieht, wo Sie dieselben hinlegen!“

„Sie sind schlau!“

„Dann stellen Sie sich tief schlafend und bewegen sich auch nicht, so lange er sich in Ihrem Zimmer befindet. Das Licht verlöschen Sie natürlich, sobald Sie sich zur Ruhe legen.“

„Aber wenn er mir an das Leben will?“

„Das tut er nicht; bevor Sie die Papiere nicht mit Ihrer Unterschrift versehen haben, wird er Sie schonen. Übrigens können Sie, wenn sie das Licht verlöscht haben, wieder aufstehen, um sich eine Waffe, ein Messer mit in das Bett zu nehmen. Später komme ich, um mich zu überzeugen, ob meine Vermutungen in Erfüllung gegangen sind.“

„So soll ich meine Zimmertür nicht verschließen?“

„Verschließen Sie dieselbe fest; ich komme trotzdem zu Ihnen, ebenso wie der Alte.“

„So gibt es einen geheimen Eingang in mein Zimmer?“

„Ja.“

„Nun, Monsieur, ich danke für so ein gastfreundliches Haus, in welchem man seines Lebens keinen Augenblick sicher sein kann.“

„Ich wache über Sie. Jetzt sind wir fertig und können uns trennen. Adieu, Monsieur.“

Er erhob sich von der Bank. Der Amerikaner tat dasselbe, faßte ihn aber bei der Hand und hielt ihn zurück.

„Halt, Mylord“, sagte er, „ich will –“

„Pst!“ fiel Müller ein. „Nicht dieses englische Wort, selbst nicht, wenn Sie denken, mit mir unter vier Augen zu sein. In diesem Haus hat alles Ohren.“

„Gut, Monsieur Müller. Noch eines, ehe wir uns trennen. Ich bin reich –“

Müller nickte nur. Er ahnte, was nun kommen werde.

„Und unabhängig, eigentlich auch von altem, gutem, makellosem Adel. Ich habe Ihre Schwester gesehen. Wollen Sie als Ehrenmann mir eine Frage beantworten?“

„Gern.“

„Ist das Herz dieser Dame noch frei?“

„Ich glaube es. Ich bin überzeugt, daß sie mir, falls das Gegenteil stattfände, sofort ihr Vertrauen geschenkt hätte.“

„Haben Sie oder hat Ihre Familie vielleicht irgendwelche Berechnungen auf die Hand dieser Dame gegründet?“

„Nein; sie hat das Recht, ihr Herz wählen zu lassen.“

„Würden Sie mir erlauben, mich ihr zu nähern?“

„Ja, wenn Sie wirklich der Ehrenmann sind, für den ich Sie halte.“

„Zweifeln Sie ja nicht daran. Sie haben recht geraten. Ich bin Franzose; ich stamme aus dem schönen Süden Frankreichs. Traurige Verhältnisse, an denen ich nicht schuld war und welche nicht den geringsten Makel auf meine Ehre werfen, trieben mich in die Ferne. Ich kann in jedem Augenblick meinen wahren Namen wieder tragen. Sollte es mir gelingen, das Herz dieser Dame zu erringen, so dürfen Sie versichert sein, in mir einen ehrenwerten Freund und Verwandten zu finden.“

Müller zeigte sich keineswegs begeistert; er antwortete kalt, aber freundlich:

„Versuchen Sie Ihr Heil! Vielleicht sind Sie glücklicher als andere. Meine Schwester ist ein ernster Charakter. Sie ist nicht leicht zu erringen.“

„Desto größeren Wert hat dann der Sieg. Und, Monsieur, ich darf doch erwarten, daß sie kein Wort von unserer Unterhaltung ahnen wird?“

„Gewiß. Unser gegenseitiges Ehrenwort legt uns ja das tiefste Schweigen auf. Adieu! Auf Wiedersehen heute in der Nacht!“

Er ging. Der Amerikaner blickte ihm nach und murmelte:

„Wer hätte das gedacht! Dieser Mann ist ein ganzer Mann, ein Diplomat wie selten einer. Ich bin überzeugt, daß ich ihn auch jetzt noch nicht zum kleinsten Teil durchschaue. Eine wahre Hünengestalt! Wie schade um diese häßliche Verkrümmung! Eigentümlich, daß gerade Buckelige meist so einen scharfen Geist besitzen! Ich werde ihm vertrauen, seinetwegen und seiner Schwester wegen.“ – – –

Der heutige Eisenbahnunfall hatte die Bevölkerung der ganzen Umgegend in Aufruhr gebracht und auch die Tagesordnung auf Schloß Ortry gestört. Es gab keinen Unterricht. Alexander hatte sich mit einem Reitknecht nach der Unglücksstelle begeben; so war Müller also frei.

Er tat, als ob er nach dem Park spaziere, bog aber bald seitwärts ein, um auf schmalen Feldwegen die Stadt zu erreichen. Dort angekommen, begab er sich zu Doktor Bertrand, welcher ihm entgegenkam.

„Ah, Herr Doktor Müller!“ sagte er. „Beabsichtigen Sie vielleicht eine Audienz bei Miß de Lissa nachzusuchen?“

„Ja. Ist sie zu sprechen?“

„Sie ist ganz allein in ihrem Zimmer. Soll ich Sie anmelden, oder –“

„Bitte, anmelden!“

Der Arzt öffnete die Tür und sagte hinein:

„Herr Doktor Müller aus Ortry. Ist es erlaubt?“

„Ja. Herein!“

Als Müller eintrat, hatte Emma sich von ihrem Sitz erhoben. Sie wartete, bis er die Tür zugemacht hatte, dann eilte sie auf ihn zu und fiel ihm um den Hals.

„Richard, lieber Richard!“ sagte sie, ihn herzlich küssend. „Endlich! Da draußen an der Bahn durfte ich ja gar nicht merken lassen, daß ich dich kenne!“

„Meine liebe Emma! Wer hätte gedacht, daß ich dich hier sehen würde!“

„Kannst du mir verzeihen?“

„Nun, einen ziemlichen Strich durch die Rechnung macht mir dein Kommen schon.“

„Schadet es sehr?“

„Vielleicht nicht; aber wenn man dich erkennt!“

„Wer sollte mich erkennen?“

„Der alte Kapitän!“

„Oh, der soll mich gar nicht sehr zu sehen bekommen!“

„Und dann unsere große Ähnlichkeit!“

„Ähnlichkeit? O weh! Bin ich dir auch jetzt noch ähnlich? Ich danke! Dieses Haar!“

„Falsche Perücke!“

„Der prachtvolle Bart fort!“

„Er mußte weichen!“

„Dieser Zigeunerteint!“

„Abgekochte Walnußschale! Sogar hier an den Händen!“

„Und dann dieser – dieser – schauderhaftes Wort! – dieser fürchterliche Buckel!“

„Wurde für notwendig gehalten!“

„Aber ich schäme mich in deine Seele hinein!“

„Pah! Die Metamorphose wird nicht auf sich warten lassen!“

„Hoffentlich! Also setze dich und beichte! Wie steht es mir dem Krieg?“

„Er ist vor der Tür.“

„Und mit dem Sieg?“

„Den erhalten wir!“

„Gott sei Dank! Nun will ich herzlich beten, daß du nicht verwundert wirst! Der Maler ist bei Großpapa.“

„Ah, doch!“

„Großpapa wird ihn an der Nase führen. Schreibe nur gleich mehrere Berichte, die wir ihm in die Hände spielen.“

„Das soll heute nacht geschehen. Aber nun ausführlich! Wie kommst du auf den Gedanken, mich zu überraschen?“

„Aufrichtig gestanden, zunächst aus weiblicher Neugierde.“

„Wegen Marion?“

„Ja.“

„Nun, wie gefällt sie dir?“

Da wurde Emma ganz begeistert.

„Ein wunderbar schönes, ganz und gar eigenartig schönes Mädchen!“ sagte sie.

„Orientalisch, nicht?“

„Ja, aber keineswegs jüdisch. Und dieser Geist, dieses Gemüt! Richard, ich bin in sie verliebt, ganz und gar verliebt, mehr als du selbst!“