Sie lockerte ihren Griff wenigstens weit genug, damit Red wieder atmen konnte. »Ich habe dich gefragt, wo sie ist«, zischte sie. »Antworte!«
Red brachte auch jetzt wieder nur ein halb ersticktes Krächzen über die Lippen, aber hinter ihr sagte eine fast amüsiert klingende Stimme: »Bring den armen Kerl doch nicht gleich um. Ich brauche ihn noch, weißt du?«
Bast ließ Red los - er rutschte von der Theke und stürzte auf der anderen Seite polternd zu Boden - und fuhr herum. Hinter ihr stand eine dunkelhaarige Schönheit mit schwarzen Augen und einem sinnlichen Mund. Sie hatte helle, fast weiße Haut und pralle Brüste, die sie nur unzureichend bedeckt hatte, und trug ein Kleid, das man wohl nur in einem Lokal wie diesem tragen konnte, ohne auf der Stelle eingebuchtet zu werden. Trotzdem erkannte Bast sie sofort.
»Isis!«
»Nicht doch«, antwortete die Dunkelhaarige. »Patsy. Du wirst doch deine alte Freundin Patsy Kline wiedererkennen - wo dir doch offensichtlich so viel daran gelegen ist, mich zu finden.«
»Wo ist er?«, zischte Bast.
»Wer?«
»Du weißt genau, von wem ich spreche! Horus! Wo ist er? Du wirst mir sagen, wo er sich versteckt!«
»Ach?«, fragte Isis amüsiert. »Werde ich das?«
Bast musste sich beherrschen, um sie nicht einfach zu packen und so lange zu schütteln, bis sie antwortete. Und vielleicht hätte sie es sogar getan, aber die Situation hatte sich ... verändert. Neben ihr krümmte sich ein schwarzhaariger Bursche auf dem Boden und spuckte blutigen Schaum, und der andere kroch immer noch auf Händen und Knien über die schmierigen Bretter und suchte seine Schneidezähne, aber mittlerweile scharten sich mehr und mehr Männer hinter ihr zusammen. Mindestens ein Dutzend, wenn nicht mehr, und mehr als einer hielt ein Messer oder eine andere Waffe in der Hand. Bast hatte ihr Schwert, und sie war noch immer unbeschreiblich wütend und ganz gewiss nicht feige. Aber sie war keine Selbstmörderin. Sie hätte sich sogar zugetraut, mit diesem Dutzend Raufbolden fertig zu werden - aber da war immer noch Isis.
»Gut, dass du vernünftig bist«, sagte Isis, als sie sah, wie die Entschlossenheit in ihrem Blick ins Wanken geriet. »Ich habe eine Menge Freunde hier, weißt du? Und ich würde es wirklich nicht gerne sehen, wenn ihnen etwas zustieße.«
Sie wartete vergeblich darauf, dass Bast irgendwie auf diesen lahmen Scherz reagierte, und wandte sich schließlich mit erhobener Stimme an die Umstehenden. »Es ist alles in Ordnung. Nur ein Missverständnis. Das ist eine gute alte Freundin von mir.« Sie blinzelte Bast zu. »Ich hoffe doch, du nimmst mir das alles nicht übel.« Bast starrte sie an, aber Isis' Worte erzielten auch Wirkung: Die Männer wandten sich rasch wieder um und gingen zu ihren Tischen zurück, wie sie aufgesprungen waren. Gewalttätigkeiten schienen hier nichts Besonderes zu sein.
»Komm«, sagte Isis. »Setzen wir uns und trinken etwas. Dabei redet es sich besser.«
»Ich will nichts trinken«, sagte Bast eisig. »Ich will wissen, wo er sich verkrochen hat!«
»Dann setz dich eben einfach so zu mir«, sagte Isis. »Wir erregen Aufsehen. Das willst du doch nicht, oder?«
Sie wartete Basts Antwort nicht ab, sondern ging zu einem Tisch ganz in der Nähe, und Bast folgte ihr widerwillig. Die beiden Männer, die bisher offensichtlich zusammen mit ihr daran gesessen hatten, standen auf und zogen sich hastig zurück, als Bast näher kam.
Sie nahm widerstrebend Platz. Isis hob - wahrscheinlich aus keinem anderen Grund, als sie zu ärgern - ihren Krug und machte ein fragendes Gesicht, und Bast musste sich mit aller Gewalt beherrschen, um es bei einem bloßen wütenden Kopfschütteln zu belassen.
»Wie du willst.« Isis prostete ihr zu, nahm einen gewaltigen Schluck und wischte sich mit dem Handrücken den Schaum von der Oberlippe.
»Warum tust du dir das an?«, fragte Bast. »Das ist widerlich, und Alkohol wirkt nicht auf uns.«
»Vielleicht weil es mir schmeckt?«, sagte Isis.
»Kaum.«
»Dann vielleicht, um mich anzupassen. Hier erwartet man von einer Dame, dass sie einen guten Tropfen zu schätzen weiß.« Sie nahm einen weiteren Schluck, bevor sie den Krug mit einem Knall auf den Tisch zurückstellte und Bast nachdenklich ansah.
»Du willst also wissen, wo Horus ist. Warum?«
»Um ihn zu töten«, antwortete Bast.
»Ihn töten?« Isis sah sie ungläubig an, aber ihr Lächeln erstarb zusehends. »Du meinst das ernst, habe ich recht?«
»Ich habe noch nie zuvor irgendetwas so ernst gemeint«, antwortete Bast. »Wirst du mir sagen, wo er ist?«
»Und wenn ich es nicht tue?«, fragte Isis. »Tötest du mich dann auch?«
»Nein«, antwortete Bast. »Aber wie war das gestern: Ich würde nicht zögern, dir sehr wehzutun.«
Isis sah sie durchdringend an.
»Ja«, sagte sie schließlich. »Ich glaube, das würdest du tun ... Du willst ihn wirklich töten? Du willst das älteste Gesetz brechen und einen von uns töten, ganz bewusst?«
»Ja«, sagte Bast.
»Warum?«
Eigentlich wollte Bast nicht darauf antworten. Sie hatte Angst, dass die Worte den Schmerz wecken könnten, auf den sie bisher vergeblich gewartet hatte. Sie verspürte noch immer nichts als diese schreckliche Kälte und Entschlossenheit. Schließlich antwortete sie doch. »Er hat jemanden ermordet.«
»Das habe ich auch schon«, sagte Isis. »Du übrigens auch.«
»Jemand, der mir nahegestanden hat.«
»Dieses Mädchen?« Sie wirkte ehrlich überrascht. »Marie-Jeanette? Aber du hast sie doch kaum gekannt, eigentlich gar nicht.«
»Nicht sie«, antwortete Bast. »Jemand anderen. Es geht dich nichts an, wen. Wo ist er?«
»Ich habe dir gestern schon gesagt, dass ich es nicht weiß«, antwortete Isis.
»Und ich habe dir gestern schon nicht geglaubt.«
Isis seufzte. »Du bist verrückt, wenn du glaubst, dass ich dir helfe, dich selbst umzubringen«, sagte Isis ernst. »Horus wird dich töten, wenn ...«
»Das ist mein Problem. Ich werde schon mit ihm fertig.«
»Nicht allein,« antwortete Isis überzeugt.
»Wer sagt, dass ich allein bin?«
Einen Moment lang wirkte Isis einfach nur verdutzt, aber dann lachte sie und schüttelte nur noch heftiger den Kopf. »Und du bist noch verrückter, wenn du glaubst, dass ich dir ...« Sie brach ab, und ihre Augen weiteten sich. »Nein«, hauchte sie. »Das nicht.«
Bast schwieg.
»Du bist verrückt«, murmelte Isis. »Du gibst alles auf, dein ganzes Leben, all diese Jahre des Kampfes. All deinen Widerstand und alles, was du auf dich genommen hast, nur weil du ... Rache willst? Für den Tod einer Sterblichen?«
»Auch das ist mein Problem, meinst du nicht?«, fragte Bast kalt.
»Nein, das meine ich sogar ganz bestimmt nicht«, antwortete Isis heftig. »Einmal ganz davon abgesehen, dass Horus wahrscheinlich nicht begeistert sein wird, wenn ich sein Versteck verrate ...«
»Du weißt also, wo er ist.«
»... bedeutest du mir etwas, Bastet«, fuhr Isis zornig fort. »Du erwartest allen Ernstes von mir, dass ich zusehe, wie du dich umbringst? Dass ich dir auch noch dabei helfe? Du musst verrückt sein!« Sie beugte sich erregt vor. »Ich verstehe dich ja, Bastet. Du bist wütend. Er hat dir wehgetan, um dich wütend zu machen, und wie es aussieht, hat er sein Ziel erreicht ... aber dein Schmerz wird vergehen. Sehr bald schon. Im Augenblick tut es nur weh, aber verdammt noch mal, das haben wir doch alle schon einmal erlebt. Schon viele Male! Menschen sterben. Es spielt keine Rolle, ob nach zwanzig Jahren oder sechzig. Sie leben ihr lächerlich kurzes Leben und sterben.«
»Du wirst mir sagen, wo er ist!«
»Ganz bestimmt nicht!«, erwiderte Isis heftig. »Ich werde ...« Sie brach ab. Ihre Miene erstarrte und sie wurde blass ... und dann noch blasser, als Bast das Schwert, das sie unter dem Tisch gezogen hatte, tief genug in ihren Oberschenkel stieß, um einen einzelnen Blutstropfen an ihrem Bein herunterrinnen zu lassen.