»Es liegt ganz bei dir«, sagte Bast ruhig. »Ich kann ein bisschen an dir herumschnitzen oder dich auch gleich aufspießen, das ist deine Entscheidung ... keine Sorge. Du wirst es überleben, aber es wird vermutlich sehr wehtun.«
»Das ... wagst du ... nicht«, sagte Isis gepresst. Aber ganz überzeugt klang es nicht.
»Lass es auf einen Versuch ankommen«, sagte Bast. »Und ich verspreche dir noch etwas: Wenn du mich zwingst, Gewalt anzuwenden, dann werde ich noch deinen kleinen Freund töten, bevor ich gehe. Du hast es ja gerade selbst gesagt: Er stirbt sowieso. Es spielt keine Rolle, ob jetzt oder in ein paar Jahren.«
»Verdammt, hör auf!«, keuchte Isis. »Allmählich glaube ich wirklich, dass du Sachmet bist.«
»Ich habe nie etwas anderes behauptet«, sagte Bast. Sie bewegte das Schwert; nur um eine Winzigkeit, aber der Blutstrom nahm noch einmal zu. »Du hast die wahre Tiefe meines Wesens nie erkannt. Bastet und Sachmet, wir beide sind eins.«
»St. Paul's«, ächzte Isis. »Mehr weiß ich nicht.«
»St. Paul's? Was soll das sein?«
»Eine Kirche, mitten in der Stadt!« Isis funkelte sie fast hasserfüllt an.
»Und dort versteckt er sich? Wo genau?«
»Ich habe keine Ahnung!«, antwortete Isis. Schweiß perlte auf ihrer Stirn, und ihre Stimme zitterte ein wenig. Bastet hätte spätestens jetzt den Druck auf die Schwertklinge ein wenig gemindert, um ihr nicht mehr Schmerzen zuzufügen als nötig, aber Sachmet tat das nicht.
»Ich weiß wirklich nicht mehr!«, ächzte Isis. »Ich habe nur einmal gehört, wie sie darüber gesprochen haben. Ich bin nicht einmal sicher, dass er wirklich noch dort ist, aber das ist alles, was ich dir sagen kann!«
Bast ließ die Schwertklinge noch einige weitere Augenblicke dort, wo sie war, dann aber zog sie die Waffe mit einem Ruck zurück und stand auf. »Gut«, sagte sie. »Ich glaube dir. Aber wenn du mich belogen hast oder wenn du versuchst, mich zu hintergehen oder Horus zu warnen, dann komme ich zurück und besuche zuerst dich und dann Red. Grüß ihn von mir.«
»Ganz bestimmt nicht«, fauchte Isis. »Aber weißt du was? Ich hoffe trotzdem, dass du es überlebst. Und sei es nur, damit du Gelegenheit hast, dich bei mir zu entschuldigen.«
»Sicher«, sagte Bast. »Gleich nachdem sich Horus bei mir entschuldigt hat.« Als sie losgehen wollte, scharrten hinter ihr Stühle, und zwei, dann drei kräftige Burschen stellten sich ihr in den Weg. Bast hielt ihr Schwert noch immer in der Hand, aber sie war ziemlich sicher, dass der Grund, aus dem sie sich nach einem kurzen Moment wieder zurückzogen und sie gehen ließen, ein anderer war. Wahrscheinlich hatte Isis ihnen befohlen, sie unbehelligt ziehen zu lassen.
Kurz bevor sie das Ten Bells verließ, drehte sie sich noch einmal um. Isis betrachtete missmutig ihre Hand, die rot von ihrem eigenen Blut war, sah aber dann doch noch einmal in ihre Richtung, und ein angedeutetes Lächeln erschien in ihren Augen. Viel Glück, Schwester!
Bast wandte sich mit einem Ruck um und ging endgültig.
Als sie durch die Tür trat, sagte eine Stimme hinter ihr: »St. Paul's Cathedral ist ziemlich weit entfernt von hier. Möchten Sie zu Fuß gehen, oder darf ich Ihnen vielleicht ein bequemeres Fortbewegungsmittel anbieten?«
Bast fuhr wütend herum und funkelte Abberline an. »Wo, zum Teufel, kommen Sie denn her?«
»Wie gesagt: die Segnungen der modernen Zeiten.« Abberline wies lächelnd auf die zweispännige schwarze Kutsche, mit der sie vorhin schon den Weg zur Pension zurückgelegt hatten. »Ich gebe ja gerne zu, dass ich noch nie einen Menschen gesehen habe, der so schnell laufen kann wie Sie, aber eine Kutsche ist allemal schneller, fürchte ich.«
»Ich hatte Sie gebeten, sich um Mrs Walsh und Jacob zu ...«
»Dafür ist Sorge getragen«, unterbrach sie Abberline. »Ich habe zwei zuverlässige Männer dort gelassen, keine Angst. Sie sind verschwiegen.«
»Sie spionieren mir hinterher?« Basts Hand schloss sich so fest um den Schwertgriff an ihrem Gürtel, dass es wehtat. Sie musste aufpassen, dass sie ihren Zorn nicht an Abberline ausließ.
Wenn er ihren Ärger spürte, dann lieft er ihn an sich abprallen. »Es ist wirklich ein schönes Stück bis St. Paul's Cathedral«, sagte er. »Mit dem Wagen wären Sie schneller dort. Sehr viel schneller.«
Bast war nahe daran, schon aus purem Trotz nein zu sagen - aber das wäre albern gewesen, und jetzt war nicht der Moment für Albernheiten. Noch immer verärgert, fuhr sie auf dem Absatz herum und ging zum Wagen. Abberline folgte ihr und wechselte ein paar halblaute Worte mit dem Fahrer, bevor auch er einstieg. Die zweispännige Droschke setzte sich in Bewegung, noch bevor er richtig Platz genommen hatte, und gewann rasch an Tempo.
»Ich muss gestehen, dass ich in den letzten Augenblicken ein wenig hin- und hergerissen war«, sagte Abberline. »Als Vertreter der Obrigkeit und Polizeibeamter hätte ich eigentlich einschreiten müssen, aber ein Teil von mir hätte sich fast gewünscht, dass Sie den Laden ganz auseinandernehmen.«
»Mir ist nicht nach Konversation, Inspektor«, sagte Bast grob.
»Wie Sie meinen.« Abberline zuckte betont gelassen die Schultern. »Dann lassen Sie uns über Fakten sprechen. Sie kennen St. Paul's Cathedral?«
»Sollte ich?«
»Es wäre vielleicht von Vorteil, wenn Sie Ihren Freund tatsächlich dort vermuten«, antwortete Abberline. »Umso mehr, falls er sich wirklich dort versteckt.«
»Wieso?«
Abberline lachte. »Ich sehe, Sie haben wirklich keine Ahnung. St. Paul's ist nicht einfach eine Kirche. Es ist eine Kathedrale. Die größte Kirche des Landes, und eines der größten Gebäude der Stadt. Ich wünsche Ihnen viel Vergnügen, dort nach einem Mann zu suchen, der nicht gefunden werden will. Wenn Sie mich fragen, sollten wir eine Hundertschaft Männer für die Suche anfordern, oder besser gleich zwei. Und selbst dann ...«
»Das wird nicht nötig sein«, unterbrach ihn Bast. »Ich habe meine eigenen Möglichkeiten.«
»Das glaube ich Ihnen«, antwortete Abberline. »Was mir Sorgen bereitet, ist der Gedanke, dass Horus über dieselben Möglichkeiten verfügt.«
»Zerbrechen Sie sich nicht meinen Kopf, Inspektor«, sagte Bast unfreundlich. »Vielleicht bringen wir uns ja gegenseitig um, und Sie sind aller Sorgen ledig.«
Abberline seufzte. »Ich dachte, Sie hätten inzwischen begriffen, dass ich auf Ihrer Seite stehe, Bastet ... oder bestehen Sie immer noch darauf, Sachmet genannt zu werden?«
Bast schwieg.
»Ich habe mich ein wenig informiert«, sagte Abberline. »Am Anfang gab es nur Bastet, die Göttin der Fruchtbarkeit und Liebe. Später gesellte sich Sachmet dazu, ihre - wie soll ich sagen - dunkle Schwester? Sie stand für alles, was Bastet nicht war. Hass. Gewalt, Unglück. Waren es wirklich zwei?«
»Nein«, antwortete Bast. »Das ist nur eine Legende. Sie sollten nicht alles glauben, was in Büchern steht, Inspektor.«
»Ich glaube schon seit langer Zeit nur noch das, was ich sehe«, antwortete Abberline. Er lächelte weiter, aber sein Blick wurde plötzlich sehr ernst. »Lassen Sie nicht zu, dass Sie ganz zu Sachmet werden, Bast. Das ist es nicht wert.«
»Halten Sie den Mund, Inspektor«, fauchte Bast. Sie machte eine ärgerliche Geste. »Wenn Sie mir ihre sogenannte Hilfe unbedingt aufdrängen müssen, dann erzählen Sie mir etwas über diese Kathedrale.«
»Dazu würde ich länger brauchen, als wir dorthin unterwegs sind«, antwortete Abberline. »Sie ist groß. Sehr groß. Das ist alles, was Sie wissen müssen. Aber ich habe eine Frage.«
»Und welche?«
»Wie kann man ihn töten?«
»Horus?« Bast schüttelte mit einem abfälligen Lachen den Kopf. »Gar nicht. Jedenfalls nicht ...«, sie deutete auf die Stelle, an der Abberline den Revolver unter seinem Rock trug, »... damit.«