Выбрать главу

Und eine Menge Baugerüste. Neben allem anderen war diese Kirche auch die größte Baustelle, die sie seit langer Zeit gesehen hatte.

»Beeindruckend, nicht wahr?«

Bast wirbelte einmal um ihre Achse, das Schwert zum Zuschlagen bereit erhoben.

Aber es gab nichts, wonach sie schlagen konnte. Sie war allein.

»Ja, ja, genau so ist es mir beim ersten Mal auch ergangen«, fuhr Horus' Stimme fort, amüsiert und anscheinend immer noch direkt in ihrer Nähe. »Es ist verwirrend, aber letztendlich doch nur ein billiger Trick, um kleine Geister zu beeindrucken.«

Endlich gelang es ihr, die Richtung zu bestimmen, aus der die Worte kamen. Sie wandte sich dorthin, presste die Augen zusammen und erkannte eine hochgewachsene, nachtschwarze Gestalt, die auf einer reich mit vergoldeten Schnitzereien verzierten Kanzel nahe am anderen Ende des Kirchenschiffes stand. Trotz der Entfernung war seine Stimme so deutlich und klar zu verstehen, als stünde er unmittelbar vor ihr. Horus hatte recht: Es war ein beeindruckender Trick, um dem Wort Gottes gebührenden Respekt zu verleihen. Aber mehr auch nicht. Sie senkte ihr Schwert und ging los.

»Ich nehme an, mein über alles geliebtes Weib hat dir verraten, wo du mich findest«, fuhr Horus fort. »Ich hätte mir eigentlich denken können, dass sie mich bei der ersten Gelegenheit hintergeht.«

Bast schwieg. Sie war nicht hierhergekommen, um zu reden.

Horus anscheinend schon, denn er fuhr in fast fröhlichem Ton fort: »Ich nehme an, du bist hier, um dich für das zu entschuldigen, was du Sobek angetan hast. Und mir. Nicht, dass das bei mir nötig wäre - du weißt doch, dass ich dir nichts wirklich übelnehmen kann.« Er breitete die Hände aus, wie der Priester, dessen Platz auf der Kanzel er einnahm, um seine Gemeinde zu segnen. Bast beschleunigte ihre Schritte. »Bei Sobek sieht es leider ein wenig anders aus. Du weißt ja, wie er ist ... oder genauer gesagt: war. Aber wir haben ja eigentlich immer gewusst, dass es irgendwann ein böses Ende mit ihm nehmen wird.«

»So wie mit dir«, sagte Bast, obwohl sie sich fest vorgenommen hatte, zu schweigen. Im Gegensatz zu Horus musste sie beinahe schreien, um sich verständlich zu machen. Der akustische Trick funktionierte offensichtlich nur in eine Richtung.

Sie begann zu rennen. Horus verschwendete noch eine geschlagene kostbare Sekunde darauf, sie weiter fassungslos anzustarren - hatte er tatsächlich geglaubt, sie wäre hierhergekommen, um mit ihm zu reden, oder sich gar auf seinen grotesken Vorschlag einzulassen? Aber dann reagierte er so schnell und präzise, wie sie es gewohnt war: Ohne auch nur noch einen Sekundenbruchteil zu zögern, flankte er über den goldverzierten Rand der Kanzel, landete nach einem Dreißig-Fuß-Satz nahezu mühelos auf den Füßen und stürmte ihr entgegen, seltsamerweise, ohne seine Waffe zu ziehen. Natürlich konnte er das auch im allerletzten Moment noch tun. Aber wenn er tatsächlich so dumm war, es mit bloßen Händen mit ihr aufnehmen zu wollen, oder gar noch immer nicht verstanden hatte, wie bitterernst sie es meinte ... ihr sollte es recht sein.

Bast beschleunigte ihre Schritte noch einmal. Der Schnittpunkt von Längs- und Querhalle war ein riesiger runder Raum, über dem sich eine noch sehr viel gewaltigere Halbkugel spannte - vermutlich die riesige weiße Kuppel, die sie von außen gesehen hatte -, und sie würden ziemlich genau im Zentrum dieses Kreises zusammentreffen, wenn Horus sein Tempo beibehielt. Vermutlich war nicht einmal das Zufall. Horus hatte sich das perfekte Amphitheater für ihren Kampf ausgesucht.

Oder auch nicht. Gerade, als er in den Bereich unter der Kuppel zu stürmen schien, schwenkte er blitzschnell nach links und war plötzlich zwischen den Marmorsäulen und Bögen verschwunden.

Viel wütender auf sich selbst als auf Horus - hatte sie wirklich geglaubt, er würde sich zu einem fairen Kampf stellen? Sie kannte ihn doch nun wirklich gut genug -, erreichte Bast die Stelle, an der er verschwunden war, und stürmte zwischen den beiden mannsdicken Säulen hindurch. Keine Spur von Horus, weder vor ihr noch rechts oder links. Sie sah nur endlose, geschnitzte Reihen von Gebetsstühlen und Bänken, zwischen denen Horus sich zwar verstecken konnte, aber das war nun wirklich nicht seine Art. Er würde jede Möglichkeit ausnutzen, alle Vorteile auf seiner Seite zu haben, aber ein heimtückischer Hinterhalt? Kaum. Horus war schlichtweg zu arrogant, um ihr anders als offen entgegenzutreten. Aber wo war er dann?

Bast sah sich immer nervöser um, bis ihr Blick an einer schmalen steinernen Treppe hängen blieb, die am Rand des Kirchenschiffes in die Höhe führte. Als ihr Blick ihr folgte, wurde ihr für einen Moment fast schwindelig.

Sie hatte die Kuppel von außen gesehen und gewusst, dass sie riesig war, aber wenn man darunter stand, wirkte sie gigantisch. Die Treppe führte zu einer Galerie hinauf, die sich um den gesamten Raum zog, und darüber erst begann die eigentliche Kuppel.

Bast kannte weder Schwindel noch Höhenangst, aber bei dem Gedanken, dort hinaufzugehen, war ihr alles andere als wohl.

Dennoch stürmte sie ohne das geringste Zögern los und die steinernen Treppenstufen hinauf. Von Horus war nichts mehr zu sehen. Sie hatte viel zu lange gezögert - aber sie spürte, dass er dort oben war und vermutlich auf sie wartete. Ihr war klar, dass sie sich alles andere als klug verhielt, sehenden Auges in eine Falle zu laufen, aber sie musste sorgsame Planung und geschicktes Taktieren eben ausnahmsweise durch Ungestüm und Wut wettmachen. Sie sah immer noch Cindys Augen vor sich, und den blutigen Schnitt an ihrem Hals. Vielleicht würde sie dieses Bild nie wieder loswerden.

Sie beschleunigte ihre Schritte noch einmal und nahm jetzt immer drei Stufen gleichzeitig. Was sich als weiterer Fehler erwies. Vielleicht hatte noch nie jemand so schnell wie sie in diesem Augenblick diese Treppe überwunden - zumindest nicht in dieser Richtung -, aber selbst sie war außer Atem, als sie oben ankam, und das ganze gewaltige Kirchenschiff drehte sich um sie, sodass sie sich gegen die Wand lehnen musste, um nicht zu stürzen. Hätte Horus sie in diesem Moment angegriffen, wäre es um sie geschehen gewesen.

Horus griff sie nicht an.

Horus war nicht einmal da.

Bast fand sich allein auf der gewaltigsten umlaufenden Galerie, die sie jemals gesehen hatte. Der bemalte steinerne Himmel der Kuppel spannte sich immer noch schier unendlich hoch über ihr, aber auch der Mosaikboden der Kirche lag nicht unbedingt zum Greifen nahe: Bast beugte sich behutsam vor und hielt sich instinktiv an der steinernen Balustrade fest. Hundert Fuß, schätzte sie, wenn nicht mehr. Horus hatte sich wahrlich ein luftiges Versteck ausgesucht.

Und ein ziemlich dummes dazu. Soweit sie es erkennen konnte, gab es nur diese eine Treppe, die nach oben führte, und damit auch nach unten. Der einzige Weg, den es gab, führte weiter hinauf. Was wollte er hier?

»Du kannst dich nicht vor mir verstecken!«, schrie sie, so laut sie konnte. »Du sitzt in der Falle!«

»Es ist absolut nicht nötig zu schreien, Geliebte«, sagte Horus unmittelbar hinter ihr.

Bast fuhr herum - und riss erstaunt Mund und Augen auf. Horus stand nicht hinter ihr, sondern auf der anderen Seite der Galerie, mehr als hundert Fuß entfernt, aber seine Stimme war so klar und verständlich, als wäre er nur eine Armeslänge entfernt.

»Das ist wirklich bewunderungswürdig, nicht wahr?«, fuhr er fast im Plauderton fort - und nachdem er sich eine Weile gebührend über ihren erstaunten Gesichtsausdruck amüsiert hatte. »Man mag es kaum glauben, dass ein so unzivilisiertes Volk zu solchen Meisterleistungen fähig sein soll.«

Bast kramte einen Moment in ihrem Gedächtnis und den Informationen, die Abberline ihr über dieses Gebäude gegeben hatte. Das hier war also die berühmte Whispering Gallery, eine architektonische und akustische Meisterleistung, so gebaut, dass die gebogenen Wände den Schall immer weiter reflektierten, sodass selbst ein geflüstertes Wort überall in dem gesamten steinernen Rund zu hören war. Und er hatte ihr auch noch etwas erzählt ...