Von der Freundlichkeit des Rothaarigen war nicht mehr viel übrig, und Bast spürte, wie sich auch die Stimmung in ihrer unmittelbaren Umgebung veränderte. Es wurde stiller, als mehr als einer der Gäste seine Unterhaltung unterbrach und sie unauffällig zu belauschen versuchte oder sie auch ganz offen anstarrte. Wie es aussah, war der Name Patsy Kline hier nicht unbekannt.
»Fragen Sie die da hinten, am letzten Tisch am Fenster.«
Basts Blick folgte der Richtung, in die seine ausgestreckte Hand wies. Unter dem schmalen Fenster am anderen Ende des überfüllten Raumes standen gleich drei Tische, und alle waren voll besetzt. Irgendetwas musste sie wohl falsch gemacht haben, aber sie konnte sich jetzt weniger denn je vorstellen, dass sie tatsächlich über Isis sprachen. Sie sollte gehen und ihre Suche anderswo fortsetzen.
Aber es war bislang ihre einzige Spur. Also leerte sie ihren Krug mit wenigen, großen Schlucken, stellte ihn ein wenig heftiger als notwendig auf die Theke zurück und gab dem Rothaarigen mit einer Kopfbewegung zu verstehen, ihr einen zweiten an den Tisch zu bringen. Er schien widersprechen zu wollen - Bast hatte bisher keine einzige Bedienung hier drinnen gesehen, und anscheinend war es üblich, dass sich die Gäste ihre Getränke selbst holten, was auch das Gedränge an der Theke erklärte -, aber sie gab ihm gar nicht erst die Gelegenheit dazu, sondern wandte sich um und bahnte sich einen Weg durch das Gedränge.
Auch jetzt wurde ihr Platz gemacht, wo es nur ging, und auch jetzt spürte sie die gleichermaßen neugierigen wie misstrauischen Blicke, die ihr folgten, mit beinahe körperlicher Intensität. Und obgleich dies ein Gefühl war, das sie nun wahrlich kennen sollte, fiel es ihr zunehmend schwerer, es zu ignorieren. Bast versuchte vergebens, ihre eigenen Gefühle zu analysieren. Was war los mit ihr? Sie war als Jägerin hierhergekommen, aber sie fühlte sich in zunehmendem Maße verunsichert und ... belauert. Wie Beute.
Sie hatte die drei Tische erreicht, die der Rothaarige ihr gewiesen hatte. Die beiden vorderen waren mit den üblichen Zechern besetzt, ebenso einfachen wie groben Typen mit harten und zum Großteil von einem ausschweifenden Leben gezeichneten Gesichtern, die sie mit einer Mischung aus Erstaunen und anzüglicher Neugier anstarrten. Einer der Burschen machte eine Bemerkung, die zu verstehen Bast sich gar nicht erst die Mühe machte. An dem dritten Tisch, der ganz am Ende des Raumes an der Wand stand, saßen vier Frauen unterschiedlichen Aussehens, zugleich aber auch irgendwie ähnlicher Art. Drei von ihnen waren vielleicht in Basts Alter - zumindest in dem, nach dem sie aussah -, während die vierte deutlich jünger sein musste; vielleicht Anfang zwanzig, wenn nicht weniger. Alle vier waren auf ähnliche Weise gekleidet, und Bast war sicher, dass der einzige Grund, weshalb sie nicht nur in Mieder und Strumpfhaltern dasaßen, in der selbst für die Jahreszeit untypischen Kälte zu suchen war, die draußen herrschte. Auch hier bildete die Jüngere vielleicht die einzige Ausnahme, denn sie trug als Einzige nicht nur das Haar zu einem strengen Knoten gebunden, sondern auch ein hochgeschlossenes, einfaches Kleid, das nichts zeigte, trotzdem aber auf eine raffinierte Art aufreizend wirkte. Man sah ihm an, dass es einmal teuer gewesen sein musste, nun aber nicht nur seine besten Tage bereits hinter sich hatte, sondern ganz offensichtlich auch für eine andere Besitzerin geschneidert und später eher schlecht als recht umgeändert worden war.
»Ja?«, fragte einer der älteren Frauen. Sie versuchte Überraschung zu heucheln, was ihr aber nicht wirklich gelang. Sie und die anderen hatten Basts Annäherung natürlich bemerkt und sie schon auf halbem Wege neugierig in Augenschein genommen.
»Verzeihen Sie, wenn ich Ihre Unterhaltung störe«, antwortete Bast. »Aber die Bedienung an der Theke hat mir gesagt, dass Sie mir möglicherweise helfen könnten.«
Die Frau, die sie angesprochen hatte, sagte gar nichts dazu, sondern runzelte nur die Stirn und sah jetzt ein bisschen misstrauisch aus, während ihre Nachbarin ihr Glas zur Hand nahm und einen gehörigen Schluck daraus trank, bevor sie fragte: »Kommt drauf an, wobei.«
»Ich bin auf der Suche nach einer Freundin«, antwortete Bast. »Man hat mir gesagt, dass Sie sie kennen. Ihr Name ist Patsy. Patsy Kline.«
Jetzt starrten sie alle vier an. Vor allem die Jüngere sah plötzlich beinahe ein bisschen feindselig aus.
»Kommt darauf an, was du von ihr willst, Schätzchen«, sagte diejenige, die sie zuerst angesprochen hatte.
»Na, kannst du dir das nicht denken, Liz?«, mischte sich einer der Burschen vom Nebentisch ein. Er lachte, ein leises, unangenehmes Geräusch. »Schau sie dir an. Patsy ist doch dafür bekannt, dass sie ab und an auch nichts gegen ein hübsches Weibsstück einzuwenden hat.«
»Wenn der Preis stimmt«, fügte sein Tischnachbar hinzu.
Bast wandte langsam den Kopf und brachte ihn und seinen Kumpan mit einem eisigen Blick zum Verstummen. Woran sich nichts änderte, das war die anzügliche Art, auf die nicht nur die beiden sie musterten, sondern auch die zwei anderen Männer, die mit ihnen am Tisch saßen. Keiner von ihnen war deutlich älter als zwanzig, schätzte Bast, und keiner kleiner als sechs Fuß und damit genau in jener Verfassung, in der jugendliches Ungestüm und die Kraft und Statur eines Erwachsenen nur zu oft eine ganz besonders gefährliche Mischung ergaben. Den Rest hatte der Alkohol erledigt, dem sie in offensichtlich großem Maße zugesprochen hatten. Der Tisch vor ihnen war übersät mit leeren Bierkrügen und Gläsern, die weitaus stärkere Getränke enthalten hatten. Sie taxierte die vier nacheinander mit einem raschen, aber sehr aufmerksamen Blick, kam zu dem Schluss, dass sie keine wirkliche Gefahr darstellten, und wandte sich wieder den Frauen zu.
»Mein Name ist Bast«, sagte sie, während sie sich ungefragt einen freien Stuhl vom Nebentisch heranzog und darauf niederließ. »Vielleicht hat sie einmal von mir gesprochen.«
Alle vier sahen sie nur weiter auf eine Art an, die klarmachte, dass die Antwort auf diese Frage ein klares Nein war, und schließlich sagte die Jüngere: »Bast? Das ist ein seltsamer Name.«
»Auch nicht verrückter als Faye«, kicherte eine Stimme hinter ihr. »Oder Marie-Jeanette.«
Bast wusste, dass es der Mühe nicht wert war. Dennoch drehte sie sich abermals betont langsam auf ihrem Stuhl herum und maß den Burschen mit einem zweiten, diesmal völlig anderen Blick, der ihn nicht nur endgültig verstummen, sondern auch spürbar blass werden ließ. Mit einem Male hatte er es sehr eilig, wegzusehen und einen Punkt irgendwo unter der geschwärzten Decke anzustarren.
»Kennen Sie Patsy?«, fragte sie geradeheraus.
»Natürlich kennen wir Patsy, Schätzchen«, antwortete eine der Alteren. »Hier gibt's wohl keinen, der sie nicht kennt. Die Frage ist, ob sie dich kennt.«
Bast schwieg einen winzigen Moment. »Um ehrlich zu sein«, sagte sie schließlich, »ich bin nicht einmal ganz sicher.«
»Du bist nicht sicher, ob Patsy dich kennt?«, wiederholte Liz, mehr verwirrt als misstrauisch. Bast überlegte, ob Liz die Abkürzung ihres Vornamens war oder vielleicht für das englische Lizard stand, was so viel wie »Echse« bedeutete. Irgendwie hätte es gepasst. Diese Frau war ... kalt.
»Ich bin nicht sicher, ob sie wirklich die ist, nach der ich suche«, antwortete Bast. »Ich bin auf der Suche nach einer Freundin, das ist alles. Das Letzte, was ich von ihr weiß, ist eine Adresse hier in der Stadt. Ich habe dort nachgefragt, und man hat mir diesen Namen genannt und mich in dieses Lokal geschickt. Allerdings ...«, sie blickte sich demonstrativ um und gab sich Mühe, dabei möglichst zweifelnd auszusehen, »bin ich mittlerweile nicht mehr ganz sicher, ob man mir nicht einen Streich gespielt hat.«
»Wie ist denn die Adresse, bei der du gefragt hast?«, erkundigte sich Liz.
»Hier in dieser Straße«, antwortete Bast. »Haus Nummer neunzehn.«