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Aber diesmal war es nur eine Möwe, eine von zahllosen, die über dem Hafen kreisten oder scheinbar schwerelos mit reglos ausgebreiteten Flügeln im Wind tanzten und nach Abfällen oder irgendetwas anderem Ausschau hielten, das sie stibitzen konnten.

Ein flüchtiges Lächeln erschien auf Basts Lippen und erlosch sofort wieder. Nur eine Möwe, sonst nichts. Mit ihren Nerven stand es anscheinend nicht mehr zum Besten. Aber das war auch kein Wunder, nach der Woche, die hinter ihr lag. Und so hungrig, wie sie war ...

Sie schüttelte auch diesen Gedanken ab und wollte gerade weitergehen, als hinter ihr Schritte erklangen, und dann eine wohl bekannte Stimme, von der sie eigentlich gehofft hatte, sie niemals wieder hören zu müssen.

»Mylady!«

Bast drehte sich betont langsam herum und zwang ein freundliches Lächeln auf ihre Züge, während sie Kapitän Maistowe entgegensah, der mit energischen, weit ausgreifenden Schritten die Planke herunter eilte. Er hatte sich umgezogen und trug nun seine Kapitänsuniform statt der groben Wollhosen und des einfachen Leinenhemds, die er während der Fahrt getragen hatte und in denen er sich praktisch nicht mehr von irgendeinem der Männer unterschied, die unter seinem Kommando dienten. Am Anfang hatte Bast dieses Zeichen scheinbarer Verbrüderung beeindruckt, aber mittlerweile war sie nicht mehr ganz sicher, ob es echt war. Die Uniform saß so perfekt, dass sie sich nicht einmal die Frage stellen musste, ob sie ihm auf den Leib geschneidert worden war - und das ganz gewiss nicht vom billigsten Schneider, den er hatte finden können - und war piek sauber. Trotzdem wirkte sie an ihm irgendwie ... unpassend.

»Kapitän?«

»Sie wollen uns schon verlassen, Mylady?« Maistowe war leicht außer Atem, als er neben ihr ankam und stehen blieb, ohne den letzten Schritt von der Planke herunter zu tun. Auf diese Weise konnte er ihr in die Augen sehen, ohne zu ihr aufblicken zu müssen; eine Vorstellung, die für einen Mann wie ihn geradezu unerträglich sein musste. Er war nicht nur außer Atem, sondern sah auch nicht besonders gut aus: Sein Gesicht war blass, und unter seinen Augen lagen deutlich sichtbare dunkle Ringe. Sein Blick war ein bisschen unstet. All das mochte daran liegen, dass er in den zurückliegenden vier Nächten nicht besonders ruhig geschlafen hatte, sondern von schlimmen Albträumen geplagt worden war. Wenigstens dafür hatte sie gesorgt.

Bast lächelte unverändert weiter, während sie demonstrativ den Kopf zuerst nach rechts und dann nach links drehte und ihren Blick über die im Grunde wenig einladende Szenerie schweifen ließ. »Wir sind angekommen«, sagte sie. »Das hier ist doch London, oder? Es sei denn, Sie haben versehentlich den falschen Hafen angelaufen, Kapitän.«

»Natürlich nicht.« Maistowe lächelte nervös. »Ich dachte nur, dass ...«

»Dann gibt es auch keinen Grund mehr, noch länger an Bord zu bleiben«, fiel ihm Bast ins Wort. Maistowe sah ein bisschen betroffen aus, fast schon verletzt, und ganz gegen das, was sie eigentlich beabsichtigt hatte, entschärfte sie ihre Worte im Nachhinein, indem sie hinzufügte: »Bitte verzeihen Sie, Kapitän. Das war nicht gegen Sie oder Ihr Schiff gerichtet. Ich bin einfach nicht für die Seefahrt geschaffen, fürchte ich.«

Es war nicht zu erkennen, ob Maistowe die Entschuldigung annahm oder ihr auch nur glaubte, aber so weit ging ihr schlechtes Gewissen nun auch wieder nicht, noch einmal nachzuhaken. Sie sah ihn nur auffordernd an.

»Nun ja ...« Maistowe wirkte für einen Moment noch hilfloser, fing sich aber sofort wieder. »Dann kann ich mich nur noch einmal bei Ihnen bedanken, dass Sie mit uns gefahren sind. Kann ich sonst noch irgendetwas für Sie tun?«

Bast schwieg beharrlich weiter, und Maistowes Lächeln wurde noch einmal um eine ganze Größenordnung nervöser. »Ich ... ähm ... habe einen meiner Männer losgeschickt, um einen Wagen für Sie zu rufen«, sagte er unsicher. »Er kümmert sich auch um Ihr Gepäck.«

»Das ist sehr freundlich von Ihnen, Kapitän.« Was, zum Teufel, wollte der Kerl noch von ihr?

»Wissen Sie schon, wo Sie absteigen werden?«, fragte er.

Und was ging ihn das an? »Nein«, antwortete sie hörbar kühler. »Aber ich nehme doch an, dass sich in einer Stadt wie London ein Hotel finden lässt.«

»Sicher«, sagte Maistowe hastig. »Es ist nur ... also nur für den Fall, dass Sie noch unschlüssig sein sollten, könnte ich Ihnen eine hübsche kleine Pension empfehlen. Es ist nichts Besonderes, aber es ist sauber, und die Preise sind moderat. Die Besitzerin ist eine gute Bekannte von mir, und ihr Etablissement ist sehr ... anständig.«

»Aha«, sagte Bast. Und?

»Verzeihung.« Maistowe räusperte sich unbehaglich. Jetzt tat er ihr beinahe leid. »Ich wollte Ihnen nicht zu nahe treten, Ma'am.«

»Das sind Sie auch nicht, Kapitän«, sagte sie lächelnd und fast selbst ein bisschen erstaunt über ihre eigenen Worte. »Schreiben Sie mir die Adresse einfach auf.«

Maistowes rechte Hand fuhr so schnell in seine Jackentasche, als trüge er ein Stück glühender Kohle darin, das sich allmählich durch den Stoff hindurch in sein Fleisch brannte, und förderte einen mehrfach zusammengefalteten Zettel zutage. Bast nahm ihn entgegen und steckte ihn ein, ohne einen Blick darauf geworfen zu haben.

»Danke.«

»Gern geschehen«, antwortete er nervös. Ganz offensichtlich wartete er darauf, dass sie noch etwas sagte. Doch sie hatte nicht die Absicht, ihm diesen Gefallen zu tun.

Maistowe druckste noch einen Moment herum und gab sich dann einen sichtbaren Ruck. »Wenn ich Ihnen noch einen Rat geben dürfte, Mylady.«

»Und welchen?«

»Ihr ... ähm ... Schmuckstück«, sagte Maistowe. Sein Blick glitt kurz und nervös über den schweren goldenen Skarabäus, den sie an einer ebenfalls massiven Goldkette um den Hals trug. »Es ist mir schon aufgefallen, als Sie an Bord gegangen sind. Ich habe nichts gesagt, weil das an Bord der Lady kein Problem war. Meine Mannschaft ist vertrauenswürdig. Aber es muss sehr wertvoll sein.«

Wertvoller, als du dir auch nur vorstellen kannst. »Das ist wahr«, sagte sie ruhig.

»Das hier ist London, Mylady«, fuhr Maistowe fort, immer noch nervös, aber zugleich auch hörbar ernster. »Vielleicht sollten Sie es nicht ganz so offen tragen, jedenfalls nicht in dieser Gegend.«

»Ist sie etwa gefährlich?«, fragte Bast mit gespieltem Erstaunen.

»Nicht gefährlicher als jede andere Stadt«, versicherte er hastig. »Aber Sie sollten auch nicht zu leichtsinnig sein. Schlechte Menschen gibt es überall, und man muss sie ja schließlich nicht unnötig provozieren.«

Bast legte ganz automatisch die flache Hand über den auffälligen Anhänger und zog sie gleich darauf beinahe schuldbewusst wieder zurück. Sie trug dieses Amulett nun schon seit so vielen Jahren, dass sie sich kaum noch erinnern konnte, wann sie es das letzte Mal abgenommen hatte. Sie würde es ganz gewiss auch jetzt nicht tun.

»Ich kann schon auf mich achtgeben«, sagte sie. »Aber trotzdem danke für die Warnung.«

»Gern geschehen.« Maistowes Verlegenheit war nun beim besten Willen nicht mehr zu übersehen, und die Tatsache, dass ihm noch irgendetwas auf der Seele lag, stand wie mit leuchtenden Buchstaben auf seiner Stirn geschrieben. Bast hätte ohne Mühe nachsehen können, was es war, aber zum einen konnte sie es sich ohnehin denken, und zum anderen interessierte es sie nicht.

»Also dann, noch einmal vielen Dank und ... ähm ... einen angenehmen Aufenthalt in London. Vielleicht sehen wir uns ja irgendwann einmal wieder.«

Bast ergriff seine ausgestreckte Hand und drückte sie gerade fest genug, um ihn ihre wahre Kraft spüren zu lassen, ohne ihm tatsächlich weh zu tun.

Maistowe trat hastig einen halben Schritt zurück. »Dann also ... viel Glück«, stotterte er.