Auch hinter ihr waren Schritte, nahezu ebenso weit entfernt, aber der Nebel und die Erregung der Jagd verzerrten die Geräusche zu sehr, als dass sie sagen konnte, wie weit entfernt sie wirklich noch waren und wie viele.
Bast ging wieder etwas schneller, steuerte den Lichtschein einer der wenigen Gaslaternen an, die noch brannten, und blieb unmittelbar an seinem Rand stehen, sodass ihre Verfolger ihre Gestalt als deutlichen Umriss erkennen konnten, und sah sich mit kleinen, verwirrten Bewegungen um. Nicht weit vor ihr brannte noch Licht in einem Haus, und sie sah einen Moment lang konzentriert hin, als überlege sie, einfach dort zu klopfen und um Hilfe zu bitten, ging dann aber - nach einem nervösen Blick über die Schulter - weiter. An der nächsten Abzweigung angekommen, wandte sie sich nicht nach rechts, wie es richtig gewesen wäre, sondern nach links. Die Straße war hier schmaler, und es brannten nun überhaupt keine Laternen mehr. Auch die Häuser lagen so dunkel und still da, als wäre sämtliches Leben in diesem Teil der Stadt einfach erloschen. Sie ging schneller und war jetzt nur noch eine Winzigkeit davon entfernt, wirklich zu rennen. Dann hörte sie auch vor sich Schritte.
Bast blieb stehen und lauschte einen Moment lang konzentriert. In das Geräusch der Schritte mischte sich jetzt noch ein anderer Laut, ein sonderbares Wusch-Wusch, wie das Geräusch eines Dreschflegels, der durch die Luft fuhr, ohne jemals irgendetwas zu treffen. Bast runzelte verwirrt die Stirn - und stieß einen halblauten Fluch aus. Hastig fuhr sie herum, lief ein paar Schritte in die Richtung zurück, aus der sie gekommen war und glitt in eine schmale Lücke zwischen zwei heruntergekommenen Häusern, wo sie mit klopfendem Herzen wartete, während das Geräusch schwerer, nicht allzu eiliger Schritte langsam näher kam.
Es war eine Gestalt in einem dunklen, knielangen Gehrock, dessen Messingknöpfe in der Dunkelheit glänzten wie nasses Gold. Der schwarze Helm mit dem schimmernden Messingstern ließ sie größer erscheinen, als sie war, und im Gegensatz zu dem Konstabler, den sie vorhin getroffen hatte, war dieser Mann bewaffnet, wenn auch nur mit einem Schlagstock aus poliertem Holz, der mit einer Kordel an seinem rechten Handgelenk befestigt war, um das er ihn mit regelmäßigen Bewegungen kreisen ließ. Das war das seltsame Geräusch, das sie gehört hatte.
Bast spürte, dass er dazu ansetzte, einen Blick in die Lücke zu werfen, in die sie sich zurückgezogen hatte, überzeugte ihn hastig davon, dass es nicht nötig war, und wartete nun tatsächlich mit angehaltenem Atem, bis er vorbeigegangen war. Trotz allem erschien ein dünnes, flüchtiges Lächeln auf ihren Lippen. Anscheinend gab es tatsächlich ein in allen Kulturen und zu allen Zeiten gültiges Gesetz, nach dem sich die Obrigkeit niemals zeigte, wenn man sie wirklich brauchte, aber stets zur Stelle war, wenn man sie nun wirklich nicht gebrauchen konnte.
Sehr viel langsamer als Bast recht gewesen wäre, ging er an ihrem Versteck vorüber und hielt dann doch noch einmal inne. Er hörte damit auf, seinen Schlagstock kreisen zu lassen, und sah für die Dauer von zwei oder drei schweren Herzschlägen unschlüssig aus, als hätte er irgendetwas gehört oder gespürt, das ihn verunsicherte, setzte seinen Weg aber dann doch fort, ohne auch nur einen Blick in ihre Richtung geworfen zu haben, und auch das regelmäßige Wusch-Wusch seines Schlagstocks setzte wieder ein.
Bast atmete erleichtert auf. Sie hätte dafür sorgen können, dass der Mann sie nicht einmal wahrnahm, wenn er ihr direkt ins Gesicht gesehen hätte, aber zu diesem letzten Mittel nahm sie nur Zuflucht, wenn es gar nicht mehr anders ging. Eingriffe wie dieser hinterließen Spuren, und sei es auch nur ein Gefühl des Unbehagens, das den Betroffenen über Tage hinweg verfolgte, wenn er an jenen bestimmten Moment zurückdachte, und sie hatte im Laufe dieses Abends schon genug Fehler gemacht. So geduldete sie sich, bis sich die Schritte allmählich entfernten und der Mann die Abzweigung erreichte und seine Streife in die Richtung fortsetzte, aus der sie gerade gekommen war.
Erst dann wurde ihr klar, dass er auf diese Weise unweigerlich auf die Männer treffen musste, die sie verfolgten.
Ärger wallte in Bast auf; Ärger auf sich selbst, nicht sofort daran gedacht und ihn doch in die entgegengesetzte Richtung weggeschickt zu haben. Sie überlegte einen Moment lang ernsthaft, ihm zu folgen und ihr Versäumnis - falls noch möglich - nachzuholen, sah aber ein, dass es dazu jetzt ohnehin zu spät war. In den letzten Augenblicken, bevor sie sich so hastig hatte verstecken müssen, waren die Schritte ihrer Verfolger spürbar näher gekommen, und was geschehen würde, würde nun einmal geschehen.
Sie lauschte. Die Nacht war nach wie vor voller Geräusche, die das Ohr eines normalen Menschen nicht wahrgenommen hätte, aber das, worauf sie mit einem Gefühl banger Enttäuschung und noch immer bohrenden Ärgers über sich selbst wartete, geschah nicht. Kein überraschter Ausruf, keine Schreie oder rennende Schritte, und auch nicht die Geräusche eines Kampfes oder das Schrillen einer Trillerpfeife.
Bast atmete erleichtert auf. Offensichtlich hatten auch ihre Verfolger die Gefahr rechtzeitig erkannt und entsprechende Maßnahmen getroffen. Sie hoffte nur, dass sie diese unerwartete Begegnung nicht den Mut verlieren und auf den Gedanken kommen ließ, sich für den Rest der Nacht einem anderen Amüsement zuzuwenden.
Nur einen Moment später wurde ihre Frage beantwortet. Die Schritte waren wieder da und kamen jetzt sogar rascher näher, und auch Bast verließ ihr Versteck, wartete, bis die Schritte ihrer Verfolger hinter ihr um die Ecke bogen und sie sicher sein konnte, von ihnen auch gesehen zu werden und begann dann zu rennen; nicht annähernd so schnell, wie sie es gekonnt hätte, aber doch schnell genug, um es nach einer kopflosen Flucht aussehen zu lassen. Nach zwei oder drei Dutzend schneller, weit ausgreifender Schritte stürmte sie mit wehendem Mantel quer über die Straße, wechselte plötzlich die Richtung und tauchte schließlich in eine der zahllosen schmalen Gässchen ein, die diesen Teil der Stadt in ein wahres Labyrinth verwandelten, in dem schon so mancher verschwunden und nie wieder daraus aufgetaucht war.
Sie rannte noch ein knappes Dutzend Schritte weiter - und blieb dann wie angewurzelt stehen, als sie die beiden schattenhaften Gestalten gewahrte, die am anderen Ende der Gasse aufgetaucht waren. Hinter ihr kamen hastige, trappelnde Schritte näher und brachen dann ab.
»So spät noch unterwegs, und das in dieser Gegend?«, erklang eine hämische Stimme hinter ihr. »Das ist aber ziemlich leichtsinnig.«
Bast maß die beiden Schatten vor sich mit einem raschen, aufmerksamen Blick - sie waren noch gute zehn oder zwölf Meter entfernt und rührten sich nicht -, bevor sie sich mit einer ebenso langsamen wie mühsam beherrscht wirkenden Bewegung herumdrehte.
Auch hinter ihr waren zwei Männer aufgetaucht. Einer von ihnen war Roy, der andere der Bursche, der am Tisch unmittelbar neben ihm gesessen hatte.
»Was für eine Überraschung«, grinste Roy. »So sieht man sich wieder.«
Bast schwieg dazu. Es wäre auch vollkommen gleich, was sie gesagt hätte - die Kerle waren nicht gekommen, um zu reden.
Das Ungeheuer in ihr zerrte jetzt mit Macht an seinen Ketten, aber sie hielt es mit derselben Macht zurück. Sie musste sicher sein, auch wirklich den Richtigen gegenüberzustehen.
»Was ... wollt ihr?«, fragte sie, wenn auch jetzt mit jener leisen, aber festen Stimme und jener ganz bestimmten Art von trotzigem Mut, hinter dem Männer wie Roy instinktiv die schiere Todesangst erkannten.