»Ja, so ... muss es wohl gewesen sein«, antwortete Maistowe schleppend. Aber er klang nicht überzeugt, und er war es ganz offensichtlich auch nicht, denn nach einer weiteren Sekunde ergriff er plötzlich Basts Hand und zog sie ein Stück zu sich heran. Seine Fingerspitzen fuhren über ihre schwarze, vollkommen unversehrte Haut.
Die Berührung ließ Bast erschauern, wenn auch auf eine vollkommen andere Art, als er auch nur ahnen konnte. Irgendwie war es ihr gelungen, die Bestie in ihrem Inneren noch einmal zu bändigen, aber sie hatte sich längst nicht wieder vollkommen beruhigt, und das würde sie auch nicht, bevor sie nicht bekommen hatte, was ihr zustand.
Hinter ihr schlug eine Tür, und als Bast sich herumdrehte, sah sie genau in Mrs Walshs Gesicht, die hereingekommen und überrascht stehen geblieben war. Sie sagte nichts, aber zwischen ihren Augen war eine dafür umso vielsagendere senkrechte Falte aufgetaucht, und der Ausdruck in ihren Augen schwankte zwischen Verblüffung und etwas, das vielleicht noch kein Ärger war, es aber sehr leicht werden konnte.
Maistowe ließ ihren Arm hastig los und straffte die Schultern. Auch er sah plötzlich unangenehm berührt aus.
»Ihre Besorgnis ehrt Sie, Kapitän«, sagte Bast, »aber sie ist unnötig. Wie Sie selbst sehen: Mir fehlt nichts.« Sie drehte sich ganz zu Mrs Walsh um und hob die Handfläche in ihre Richtung. »Der gute Kapitän war in Sorge, ich könnte verletzt worden sein, aber er muss sich geirrt haben - was ja auch nur zu verständlich ist bei all der Aufregung.«
In der ersten Sekunde änderte sich weder Mrs Walshs Blick noch der misstrauische Ausdruck auf ihrem Gesicht, während sie zuerst Basts Handfläche und dann einen Punkt hinter ihr ansah.
Bast drehte sich nicht herum, aber sie konnte regelrecht spüren, wie Maistowe errötete.
»Sie hätten beide verletzt werden können oder Schlimmeres«, sagte Mrs Walsh schließlich. Das Misstrauen wich endlich aus ihrem Blick, aber nicht, um dem gewohnten freundlichen Lächeln Platz zu machen. Sie sah jetzt eindeutig verärgert aus, und sie machte keinen Hehl aus ihren Gefühlen. »Ich dachte, ich hatte mich deutlich genug ausgedrückt, was diese Gegend angeht«, sagte sie. »Anscheinend haben Sie mir nicht richtig zugehört. Gibt es dort, wo Sie herkommen, keine schlechten Menschen?«
Mehr, als du dir vorstellen kannst. Und nicht nur Menschen. »Doch«, antwortete sie schuldbewusst. »Und Sie haben recht, Mrs Walsh. Sie haben mich gewarnt, und ich hätte auf Sie hören sollen. Aber ich habe nicht damit gerechnet, dass sie mir zu fünft auflauern würden.«
»Zu fünft?«, ächzte Mrs Walsh.
»Miss Bast hat sie ...«, begann Maistowe.
Bast fiel ihm eine Spur zu hastig ins Wort: »Ich fürchte, es war ganz allein meine Schuld. Ich habe wohl nicht begriffen, wie gefährlich diese Männer waren, und sie leichtfertig provoziert. Wenn Kapitän Maistowe nicht aufgetaucht wäre, dann hätte die Geschichte durchaus übel enden können.«
»Jacob?« Mrs Walsh wirkte ehrlich überrascht. Maistowe ebenso.
»Er war wirklich sehr tapfer«, bestätigte Bast, »wenn auch mit ein wenig ... Hilfe.« Während sie sprach, griff sie unter ihren Mantel und zog Maistowes Revolver heraus. »Nicht einmal dieser hinterhältige Schlag konnte ihn davon abhalten, diese Bande in die Flucht zu treiben.«
»Was wohl Ihr Glück war«, fügte Mrs Walsh hinzu. »Haben Sie eine Vorstellung davon, was diese Kerle Ihnen angetan hätten?«
»Ich fürchte, ja«, antwortete Bast. »Aber gottlob ist Kapitän Maistowe ja gerade noch rechtzeitig aufgetaucht.«
»Danken Sie dem Herrn dafür«, sagte Mrs Walsh ernst. »Das war mehr als leichtsinnig von Ihnen. Sie haben sich in große Gefahr gebracht.«
Und vor allem Jacob Maistowe. Mit einem Male war ihr klar, warum Mrs Walsh so zornig auf sie war. Es ging nicht darum, dass sie sich in Gefahr gebracht hatte, eine Fremde, mit der sie nichts verband außer einem kurzen Gespräch und einer Tasse Tee, die sie zusammen getrunken hatten. Sie hatte Maistowe in Gefahr gebracht, und das nahm sie ihr persönlich übel.
»So schlimm war es nun auch wieder nicht«, wiegelte Maistowe ab. »Sie wissen doch, wie diese Kerle sind. Eine große Klappe, aber in ihrem Herzen sind sie nichts anderes als erbärmliche Feiglinge.« Er wirkte noch immer vollkommen verstört. Er sprach zwar zu Mrs Walsh, sah Bast dabei aber unverwandt an, und Mrs Walsh hätte schon blind sein müssen, um nicht zu begreifen, dass da noch eine ganze Menge war, von dem sie nichts wusste und ganz offensichtlich auch nichts wissen sollte.
Einen kurzen Moment lang überlegte sie, die Erinnerung an die hässliche Szene aus Maistowes Gedächtnis zu tilgen und auch seine Zimmerwirtin zu besänftigen, entschied sich aber dann dagegen. Sie verabscheute es, den freien Willen eines Menschen so zu missachten, und sie war nicht einmal sicher, ob ihre Kräfte noch dazu ausgereicht hätten, erschöpft und hungrig, wie sie im Augenblick war. Möglicherweise wäre es sogar gefährlich, denn da war noch immer dieses Ding in ihrem Inneren, das nur darauf wartete, dass sie in ihrer Konzentration nachließ, es zu bändigen.
»Kann ich Ihnen in der Küche helfen, Mrs Walsh?«, fragte sie.
»Nein. Ich fürchte, ich kann Ihnen ohnehin nicht mehr anbieten als den aufgewärmten Rest meines eigenen Abendessens. Ich bin eigentlich nur gekommen, um zu fragen, ob Sie Tee oder Kaffee wünschen ...« Sie hob die Schultern. »In Ihrer Heimat bevorzugt man doch Kaffee, wenn ich richtig informiert bin, oder?«
»Nicht unbedingt«, antwortete Bast. »Außerdem ist Ihr Tee viel zu köstlich, als dass ich mir auch nur eine einzige Tasse davon entgehen lassen würde.«
Mrs Walshs Lächeln war ungefähr so herzlich wie das von Roy vorhin. Sie war nicht gekommen, um sich nach ihren Wünschen bezüglich Tee oder Kaffee zu erkundigen. Aber sie sagte auch nichts mehr, sondern beließ es bei einem abermaligen stummen Achselzucken und ging in die Küche zurück. Cleopatra, die schwarze Katze, nutzte die Gelegenheit, um durch die offene Tür hereinzuschlüpfen und sich laut schnurrend an Basts Bein zu reiben.
»Das tut mir leid«, sagte Maistowe.
»Was?«
»Gloria.« Maistowe machte ein verlegenes Gesicht. »Ich muss mich für sie entschuldigen.«
»Sie müssen sich ganz und gar nicht entschuldigen. Ganz im Gegenteil. Sie können sich glücklich schätzen, eine solche Freundin zu haben, Kapitän Maistowe.«
»Ja, da haben Sie vermutlich recht.« Maistowe lächelte schmerzlich. »Ach ja ... und ich muss mich bei Ihnen bedanken.«
»Wofür jetzt schon wieder?«
Maistowe machte eine Kopfbewegung auf die Tür, die sich hinter Mrs Walsh geschlossen hatte. »Dass Sie mir die Rolle des tapferen Helden zugedacht haben, der im letzten Moment auf einem strahlend weißen Pferd erscheint und den Drachen erschlägt.«
»Was Sie getan haben, war ziemlich tapfer«, sagte Bast.
»Eher ziemlich dumm«, sagte Maistowe, wartete eine geschlagene Sekunde lang vergebens darauf, dass Bast ihm widersprach, und fuhr dann mit einem leisen Seufzen und einem neuerlichen Kopfschütteln fort: »Ich bin kein tapferer Mann, fürchte ich. Und Gloria weiß das auch. Aber was Sie getan haben, war ganz und gar unglaublich. Ich habe ... so etwas noch nie erlebt. Um ehrlich zu sein, hätte ich es nicht einmal für möglich gehalten. Lernt man so etwas dort, wo Sie herkommen?«
»Ich musste früh lernen, mich meiner Haut zu wehren«, antwortete Bast ausweichend. »Und ich hatte Glück ... und ein wenig Hilfe.« Sie hob abwehrend beide Hände, als Maistowe widersprechen wollte, und Cleopatra protestierte, als sie dazu mit Kraulen innehielt. »Jetzt stellen Sie Ihr Licht nicht unter den Scheffel, Kapitän. Hätten Sie die Kerle nicht abgelenkt, wäre es vielleicht anders ausgegangen.«
Sie hielt Maistowe aufmerksam im Auge, während sie das sagte. Maistowe hielt ihrem Blick überraschend fest stand, und Bast fragte sich immer unbehaglicher, was er eigentlich gesehen hatte. Offenbar mehr, als ihr lieb sein konnte. Sie war bisher davon ausgegangen, dass er die ganze Zeit über bewusstlos gewesen war, aber das war ganz offensichtlich nicht der Fall gewesen. Möglicherweise hatte er zumindest einen Teil von dem gesehen, was geschehen war.