Sie war beinahe froh, als die Tür aufging und Mrs Walsh zurückkam, schwer beladen mit einem Tablett voller Geschirr und einer großen Porzellanschüssel, aus der ein verlockender Duft stieg. Maistowe wollte aufstehen, um ihr zu Hilfe zu eilen, doch Bast drückte ihn mit sanfter Gewalt wieder auf die Couch zurück und erhob sich ihrerseits, wenn auch zu langsam: Mrs Walsh hatte ihr Ziel bereits erreicht und lud ihr Tablett ebenso vorsichtig wie geschickt, aber mit einem hörbaren Klirren auf dem kleinen Schachtisch vor dem Kamin ab, an dem sie am Nachmittag Tee getrunken hatten. Bast musste sie nicht einmal fragen, um zu wissen, dass sie jedes Wort gehört hatte.
Als sie Mrs Walsh half, das Tablett abzuräumen, bemerkte sie, dass sich nur zwei Suppenteller nebst der dazugehörigen Löffel darauf befanden; dazu ein geflochtenes Körbchen mit köstlich duftendem frischem Brot, eine Kanne Tee und drei Tassen aus feinstem chinesischen Porzellan.
»Oh nein«, beantwortete Mrs Walsh eine Frage, die sie noch gar nicht gestellt hatte. »Ich habe bereits gegessen. Und in meinem Alter braucht man ohnehin nicht mehr so viel. Aber ich trinke gern noch eine Tasse Tee mit Ihnen, wenn Sie gestatten.«
»Selbstverständlich«, antwortete Bast. Eigentlich war ihr nicht nach Reden zumute, zumindest nicht über das, was Mrs Walsh vermutlich vorschwebte. Sie hatte Angst, noch mehr Fehler zu begehen, als ihr ohnehin schon unterlaufen waren. Sowohl Maistowe als auch Mrs Walsh wussten schon entschieden zu viel.
Und da war immer noch dieses Ding in ihr, das knurrend an seiner Kette zerrte.
Trotzdem nickte sie nach einem Augenblick.
Maistowe gesellte sich unsicheren Schrittes zu ihnen, ließ es sich aber dennoch nicht nehmen, einen der schweren Stühle zu ergreifen und herbeizutragen; und er setzte sich auch erst, nachdem Bast Platz genommen hatte. Was auch immer er sonst sein mochte, dachte sie spöttisch, er war ein Gentleman alter Schule.
Mrs Walsh schenkte ihnen Suppe ein und runzelte missbilligend die Stirn, als Cleopatra mit steil erhobenem Schwanz herangetigert kam und lautstark maunzend weitere Streicheleinheiten einforderte, enthielt sich zu Basts Erstaunen aber jeden Kommentars und setzte sich schließlich ebenfalls, um sich einen Tee einzugießen.
»Und vor dem Essen lassen Sie uns dem Herrn danken«, sagte sie streng, »der Sie auf so wunderbare Weise errettet hat. Wollen Sie ein Gebet sprechen?«, fragte sie, an Bast gewandt.
Basts Blick ging beinahe erschrocken zu dem Kruzifix im Winkel, aber sie wusste für einen Augenblick wirklich nicht, was sie sagen sollte. Etwa, dass sie noch nie in ihrem Leben ein Gebet gesprochen - oder dass früher einmal Menschen Gebete an sie gerichtet hatten?
Maistowe rettete sie aus der Verlegenheit. »Vielleicht wäre es besser, wenn jeder still für sich betet.«
Mrs Walsh runzelte die Stirn, aber sie sagte nichts. Sie aßen schweigend. Die Suppe war ebenso heiß wie köstlich, und wenn es sich tatsächlich nur um die Reste von Mrs Walshs Abendessen handelte, dann schien es wohl zu ihren Angewohnheiten zu gehören, für mindestens zwei oder drei Tage vorzukochen; denn obwohl Maistowe kräftig zulangte und sich auch Bast einen Nachschlag nahm, war die Terrine noch nicht einmal zur Hälfte geleert, als sie fertig war und Mrs Walshs fragend-auffordernden Blick mit einem stummen Kopfschütteln beantwortete.
Cleopatra wartete artig, bis sie sich in ihrem Sessel zurücklehnte, dann aber sprang sie blitzartig auf ihren Schoß, wo sie sich zu einem behaglich schnurrenden Ball zusammenrollte. Mrs Walshs Stirnrunzeln vertiefte sich noch mehr, aber sie hielt sich immer noch zurück.
»Das war köstlich, meine Liebe«, sagte Maistowe. Er warf Mrs Walsh einen fragenden Blick zu, wartete, bis sie mit einem kaum angedeuteten Kopfnicken darauf reagierte und klaubte dann einen Zigarillo aus seiner Brusttasche, den er sich mit einem brennenden Span aus dem Kamin anzündete. Cleopatra hob den Kopf und fauchte leise.
»Sie mag keinen Tabakqualm«, sagte Mrs Walsh. »Eine scheußliche Angewohnheit.« Und sie sagte es in einem Ton, der deutlich machte, dass dies wohl eher ihre Meinung zu diesem Thema darstellte.
Wovon sich Maistowe allerdings nicht im Geringsten beeindrucken ließ. Er lehnte sich ganz im Gegenteil in seinem Stuhl zurück, nahm einen zweiten, noch tieferen Zug und schloss genießerisch die Augen.
»Bitte verzeihen Sie, Gloria«, seufzte er. »Ich weiß, dass Sie es nicht mögen, wenn ich hier drinnen rauche, aber das musste ich jetzt einfach haben.«
»Das verstehe ich doch, Jacob«, antwortete Mrs Walsh »Schließlich geraten Sie ja nicht jeden Tag in eine solch haarsträubende Situation.«
»Gottlob nicht«, bestätigte Maistowe. Er lachte leise und nahm einen dritten, noch tieferen Zug »Abgesehen von Piraten, mit denen ich mich ständig herumschlagen muss, Seeschlangen und Walen und anderen, noch unerquicklicheren Gefahren, mit denen man sich auf hoher See konfrontiert sieht, versteht sich.«
»Versteht sich«, sagte Mrs Walsh.
Maistowe machte ein gewichtiges Gesicht, dann lachte er plötzlich und schnippte seinen Zigarillo zielsicher in den Kamin. Er wurde allerdings auch sofort wieder ernst.
»Nein«, sagte er. »Um der Wahrheit die Ehre zu geben - ich bin kein Kämpfer.«
»Obwohl Sie eine Waffe haben?«, fragte Bast.
»Eine Waffe zu haben und damit auf einen Menschen zu schießen sind zwei grundverschiedene Dinge«, antwortete er betrübt. »Ich besitze diesen Revolver nun schon seit sehr vielen Jahren, aber ich hätte mir nie träumen lassen, ihn eines Tages benutzen zu müssen. Ich war nicht einmal sicher, ob er noch funktioniert.«
»Und trotzdem hatten Sie ihn bei sich?«
»Jacob hat die Waffe eingesteckt, als ich ihm die Adresse genannt habe, zu der Sie unterwegs waren«, antwortete Mrs Walsh an Maistowes Stelle. Bast unterdrückte ein Lächeln. Cleopatra hörte plötzlich auf zu schnurren und hob abermals den Kopf.
»War Ihre Suche denn wenigstens erfolgreich?«, fragte Maistowe.
»Ich fürchte, nein«, antwortete Bast. »Ich habe einen Namen in Erfahrung gebracht, und eine Beschreibung, die ungefähr zutreffen könnte. Aber ich kann mir eigentlich nicht vorstellen, dass ...«
Sie brach ab und blickte ein wenig beunruhigt auf die schwarze Katze hinab, die plötzlich ein dunkles, tief aus ihrer Brust emporsteigendes Knurren ausstieß. Sie hatte die Ohren gespitzt und starrte sehr aufmerksam in Richtung des geschlossenen Fensters.
»... Ihre Schwester in einer solchen Gegend lebt«, beendete Mrs Walsh den Satz. Sie nickte. »Nun, offen gestanden konnte ich mir das auch nicht vorstellen, nachdem ich Sie kennen gelernt habe. Das East End ist wirklich eine üble Gegend, müssen Sie wissen.«
Cleopatras Knurren wurde lauter, und Bast spürte, wie sie sich auf ihrem Schoß spannte. Auch sie sah zum Fenster und lauschte gleichzeitig angespannt mit allen Sinnen. Irgendetwas ... war dort draußen. Aber sie konnte nicht sagen, was. »Ja, das ... habe ich gemerkt«, antwortete sie schleppend. Es fiel ihr schwer, sich auf Mrs Walshs Worte zu konzentrieren.
»Nicht nur wegen dieser Kerle«, sagte Mrs Walsh. »Erst vor Kurzem hat es dort zwei schreckliche Morde gegeben. Nicht, dass die Opfer es sich nicht selbst zuzuschreiben hätten. Leider Gottes ist es so, dass sich in diesem Viertel der Abschaum der Gesellschaft herumtreibt. Aber diese Morde waren ganz besonders grauenhaft, wie man hört.«
»Vielleicht waren es ja dieselben Burschen, die uns aufgelauert haben«, sagte Maistowe nachdenklich.