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Das waren sie nicht, aber Bast kam nicht dazu, ihn auf seinen Irrtum hinzuweisen, denn in diesem Moment stieß Cleopatra ein wütendes Zischen aus, verwandelte sich in einen schwarzen Blitz aus Fell und Zähnen und stieß sich mit solcher Wucht von ihrem Schoß ab, dass sich die Krallen ihrer Hinterläufe schmerzhaft durch den Stoff in ihre Oberschenkel gruben. So schnell, dass sie sich für einen Moment tatsächlich in einen Schatten zu verwandeln schien, dem nicht einmal mehr Basts Blicke folgen konnten, schoss sie quer durch das Zimmer, stieß sich mit einem zweiten, noch kraftvolleren Sprung ab, landete auf dem kleinen Beistelltisch, auf dem Mrs Walsh vorhin Maistowes Tasse abgestellt hatte und flog von dort aus weiter zum Fenster. Die Tasse polterte zu Boden und zerschellte, und Mrs Walshs erschrockener Aufschrei vermischte sich mit dem Geräusch von zerreißendem Stoff, als sich Cleopatras Krallen in den falschen Samt der Vorhänge gruben.

Nicht nur der Samt der Vorhänge war falsch, auch die fingerdicke Eisenstange, an der sie aufgehängt waren, gaukelte eine Festigkeit vor, die sie ganz und gar nicht besaß. Die komplette Gardinenstange samt der Vorhänge und der daran hängenden schwarzen Katze fiel herunter. Cleopatras Fauchen und Spucken hörte sich mit einem Male viel mehr verdutzt und empört an als wütend, und Mrs Walsh stieß einen zweiten, diesmal eindeutig entsetzten Schrei aus, schlug die Hand vor den Mund und sprang so heftig auf, dass ihr Stuhl um ein Haar umgefallen wäre.

Und vor dem Fenster ... verschwand ein Schatten.

Es ging so schnell, dass auch sie nicht mehr als einen flüchtigen Schemen sah; und vielleicht einen noch flüchtigen Eindruck von schlagendem schwarzem Gefieder und einem schrecklichen, gekrümmten Schnabel hatte.

Und trotzdem war sie diesmal vollkommen sicher, dass es ein Falke gewesen war.

ZWEITES Kapitel

Es war ein unruhiger Rest der Nacht gewesen, und nicht nur für Bast. Nachdem sich die erste Aufregung gelegt hatte - Mrs Walsh hatte sich nach dem ersten, beinahe hysterischen Ausbruch für den Rest des Abends in beleidigtes Schweigen gehüllt und weder die schwarze Katze noch sie auch nur noch eines einzigen Blickes gewürdigt, woran auch Maistowes bescheidene Versuche, die heruntergerissene Gardinenstange wieder an ihrem Platz zu befestigen und den Schaden irgendwie zu begrenzen, nichts geändert hatten -, hatten sie nur noch eine kurze Weile zusammengesessen und versucht, irgendwelche Belanglosigkeiten auszutauschen, um damit die Peinlichkeit des Moments zu überspielen. Natürlich hatte es nicht funktioniert, und so hatte sich Bast nicht einmal die Zeit genommen, ihren Tee auszutrinken, sondern sich schließlich unter einem Vorwand zurückgezogen.

Natürlich war an Schlaf nicht zu denken gewesen, jedenfalls nicht sofort. Stattdessen war sie, ohne Licht zu machen, ans Fenster des kleinen, nach Osten führenden Zimmers getreten, um es zu öffnen und den Nachthimmel aufmerksam mit Blicken abzusuchen. Sicher eine halbe Stunde, wenn nicht länger, hatte sie einfach so dagestanden und die Unterseiten der bauchigen schwarzen Wolken angestarrt, die so tief über der Stadt hingen, dass man meinte, sie mit den ausgestreckten Armen berühren zu können. Von dem Vogel war keine Spur mehr zu sehen. Natürlich nicht.

Aber Bast war trotzdem nicht nur vollkommen sicher, dass es sich tatsächlich um einen Falken und nicht um eine irregeleitete Möwe oder eine besonders vorwitzige Taube gehandelt hatte, sondern darüber hinaus auch, dass es genau dasselbe große Tier gewesen war, das sich schon am Morgen am Hafen so sonderbar verhalten hatte. Und dass es sich nicht um einen gewöhnlichen Falken handelte, war ihr ebenfalls klar.

Schließlich war die Kälte weit genug ins Zimmer gekrochen, dass sie es nicht mehr aushielt, sondern das Fenster schloss und sich unter die Bettdecke verkroch. Es dauerte lange, bis sie einschlief, und es war alles andere als eine ruhige Nacht. Immer wieder schrak sie hoch, mit einem schlechten Geschmack im Mund, klopfendem Herzen und der verschwommenen Erinnerung an Träume, die etwas ungemein Bedrohliches gehabt hatten, ohne dass sie sich an Einzelheiten erinnern konnte. Vage, hektisch wechselnde Bilder und Gefühle ohne irgendeinen Zusammenhang oder etwas wie eine Handlung, und sei sie noch so absurd. Bilder voller Angst und Flucht, voller Schreie und verlockendem Duft von warmem Blut. Träume von der Jagd. Und sie war ganz offensichtlich nicht die Einzige, der der Schlaf in dieser Nacht keine Erholung brachte. Mehr als einmal hörte sie Geräusche, und ein- oder zweimal auch gedämpfte Stimmen, die unten im Haus murmelten.

Als sie schließlich wieder einmal die Augen aufschlug und feststellte, dass die Schwärze vor dem Fenster allmählich einem wattigen, grauen Zwielicht zu weichen begann, gab sie es auf. Statt weiter um einen Schlaf zu ringen, der nicht kommen wollte und wenn doch, so keinerlei Erquickung brachte, stand sie auf, wusch sich flüchtig mit dem nicht mehr ganz sauberen und längst kalt gewordenen Wasser vom vergangenen Nachmittag und schlüpfte in ihr schwarzes Kleid, bevor sie noch einmal an den Spiegel herantrat und einen kurzen, abschätzenden Blick hineinwarf.

Was sie sah, gefiel ihr nicht. Einem anderen wäre es wohl allein durch die nachtschwarze Farbe ihres Gesichts nicht aufgefallen, aber Bast entgingen keineswegs die dunklen Ringe, die unter ihren Augen lagen, oder der ungesunde Glanz ihrer Haut. Ihre Lippen waren spröde geworden und rissig, und als sie noch einmal und genauer hinsah, stellte sie fest, dass ihre Nasenflügel und Fingerspitzen ganz leicht zitterten. Jeder andere - hätte er es überhaupt bemerkt - hätte diese verräterischen Anzeichen auf die Aufregung des vergangenen Abends und mangelnden Schlaf geschoben, doch Bast wusste es besser. Sie war hungrig. Ihre dunkle Schwester begann zu erwachen und verlangte mit Macht nach Nahrung, und da sie sie ihr vorenthielt, begann sie nun damit, sie selbst zu verzehren. Noch war es nicht wirklich gefährlich, doch Bast fühlte schon wieder jenes düstere Wühlen und Gieren tief in sich. Das Ungeheuer zerrte an seinen Ketten. Die Explosion purer Gewalt vom gestrigen Abend hatte es vielleicht ein wenig besänftigt, doch das würde nicht allzu lange vorhalten. Ihr blieb nicht mehr sehr viel Zeit.

Bast verscheuchte die düsteren Bilder aus ihrem Kopf, bevor sie dem Ungeheuer, das in ihr lauerte, ihrerseits als Nahrung dienen konnten, und wollte sich gerade abwenden, als ihr Blick abermals auf ihrem eigenen Spiegelbild hängenblieb. Sie hatte sich gewaschen, aber anscheinend nicht gründlich genug: An ihrer rechten Hand klebte noch immer Blut. Einige wenige Tropfen nur, die auf ihrer Haut beinahe schwarz eingetrocknet und damit so gut wie unsichtbar waren. Aber so gut wie war nicht genug. Maistowe hatte gestern schon viel zu viel gesehen und begann bereits Verdacht zu schöpfen.

Während sie sich ein zweites Mal und jetzt sehr viel gründlicher die Hände wusch und anschließend den roten Schal vom vergangenen Abend gegen einen nunmehr ebenfalls schwarzen austauschte und ihn zu einem kunstvollen Turban wickelte, kam sie zu einem Entschluss. Neben etlichen anderen war ihr gestern ein ganz besonders schwerer Fehler unterlaufen, den sie aber auf der Stelle wiedergutmachen würde und konnte.

Sie verließ das Zimmer und war kein bisschen überrascht, um ein Haar über eine bernsteinäugige schwarze Katze zu stolpern, die direkt vor der Tür saß und erwartungsvoll zu ihr hochblickte. Wie Bast vermutete, schon die ganze Nacht.

Gegen ihren Willen musste sie lächeln. »Guten Morgen, Kleines«, sagte sie. »Bist du gekommen, um dich bei mir zu beschweren, weil ich nicht auf dich gehört habe?«

Cleopatra maunzte leise, wie um ihre Frage zu bejahen, und Bast fuhr immer noch lächelnd und mit einem angedeuteten Kopfschütteln fort: »Du hast vollkommen recht, weißt du? Ich war dumm. Aber so sind wir nun einmal. Wir hören selten auf das, was man uns sagt. Dabei hast du dir doch wirklich alle Mühe gegeben.«