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»Leben Sie wohl, Kapitän«, antwortete Bast. »Und wenn Sie umgekehrt auch einen guten Rat von mir annehmen ... schlafen Sie erst einmal richtig aus. Vielleicht hören die Albträume ja auf, jetzt, wo Sie an Land sind.«

Maistowe sah sie einen Moment lang fassungslos an, dann fuhr er auf dem Absatz herum und lief so schnell die Planke wieder hinauf, dass es schon fast wie eine Flucht aussah.

Bast sah ihm mit einer Mischung aus noch immer anhaltender Verwirrung und leiser Amüsiertheit nach, erteilte sich selbst in Gedanken aber auch zugleich einen sanften Tadel. Solche kleinen Triumphe wie dieser waren nicht nur billig, sondern nur allzu oft schädlich oder gar gefährlich. Aber sie hatte der Verlockung einfach nicht widerstehen können ... und der Ausdruck von Schrecken und Hilflosigkeit auf Maistowes Gesicht gerade entschädigte sie zwar nicht für alles, was sie auf dieser Reise erlitten hatte, aber für vieles.

Sie wartete noch einen Moment, bis Maistowe aus ihrem Sichtfeld verschwunden war, bevor sie sich umdrehte, um nach den Männern mit ihrem Gepäck Ausschau zu halten, von denen der Kapitän gesprochen hatte.

Fast zu ihrer Überraschung entdeckte sie sie sofort. Am anderen Ende des Schiffes war eine zweite, breitere Planke zum Pier heruntergelassen worden, die auf einer Seite so etwas wie ein Geländer aus grobem Tauwerk hatte und auf der sich eine kleine Karawane von gleich vier Matrosen bewegte, die mit ihrem Gepäck beladen waren - ein Koffer pro Mann, was Bast einigermaßen lächerlich vorkam, denn so voluminös oder schwer waren ihre Gepäckstücke nun wirklich nicht. Ein fünfter Mann mit vollkommen leeren Händen, dafür aber umso wichtigerem Gebaren, eilte ihnen voraus und verschwand mit weit ausgreifenden Schritten in der wuselnden Menge, die den Pier bevölkerte.

Bast runzelte die Stirn, konnte aber zugleich ein amüsiertes Lächeln nicht ganz unterdrücken. Vielleicht hatte Maistowe ja - wenn auch ein bisschen zu spät - eingesehen, dass er es ein wenig übertrieben hatte, und meinte nun, irgendetwas wiedergutmachen zu müssen. Ihr sollte es recht sein. Je eher sie von hier wegkam, desto besser.

Sie folgte der kleinen Gruppe, während sie sich ihren Weg durch die Menschenmenge bahnte, die das angelandete Schiff nahezu ebenso aufgeregt und lärmend belagerte wie die Möwen oben in der Luft - und vermutlich aus ganz ähnlichen Beweggründen -, und griff gleichzeitig zum Ausschnitt ihres Kleides, um den Anhänger zu verbergen. Allerdings führte sie die Bewegung nicht zu Ende. Maistowe hatte zweifellos recht, aber es gab da ein paar Dinge über sie, die er ebenso zweifellos nicht wissen konnte. Sollte ihr auffälliger Schmuck tatsächlich jemanden dazu provozieren, ihr aufzulauern und sie zu überfallen ... nun, umso besser.

Sie ließ die Hand wieder sinken und beschleunigte ihre Schritte und hätte die Männer binnen weniger Augenblicke eingeholt, hätte sie in diesem Moment nicht zum dritten Mal jenes schrille, unheimliche Kreischen gehört. Unschlüssig und ebenso davon überzeugt, auch jetzt wieder dem Kreischen einer Möwe aufgesessen zu sein, wie wenig geneigt, sich vor sich selbst zum Narren zu machen, verhielt sie im ersten Moment nicht einmal im Schritt und setzte im Gegenteil sogar dazu an, trotzig schneller zu gehen. Aber irgendetwas ... änderte sich. Sie konnte nicht wirklich sagen, was. Vielleicht ein Wandel im Muster der nur scheinbar willkürlichen Bewegung auf dem Pier ringsum, die in Wahrheit einem wohl geordneten Ablauf folgte, ohne dass sich einer der daran Beteiligten seiner auch nur bewusst war, vielleicht ein erschrockenes Zusammenzucken, das sie aus den Augenwinkeln heraus wahrnahm, das fragende Hochziehen einer Augenbraue, ein überraschter Blick oder auch nur ein vages Gefühl von Erstaunen, das sie auffing.

Was immer es war, es ließ sie herumfahren, in einer so blitzartigen, schnellen Bewegung, wie sie noch keiner der Menschen auf dem Pier ringsum je gesehen hatte, geschweige denn nachvollziehen konnte.

Und dennoch war sie nicht schnell genug.

Es war tatsächlich der Schrei einer Möwe gewesen, der in diesem Moment hoch über ihr am Himmel ein weiteres Mal erklang; vielleicht nichts als ein purer Zufall, vielleicht tatsächlich eine Warnung, von wem auch immer geschickt. Der Falke selbst griff vollkommen lautlos an, eine schwarze Pfeilspitze, die direkt aus der Sonne heraus auf sie zielte.

Bast duckte sich im allerletzten Moment und entging so den schrecklichen Raubvogelkrallen, die nach ihren Augen hackten, nicht aber dem Schlag der schwarzen Schwingen, die wie eine gleichermaßen weiche wie unvorstellbar starke Hand in ihr Gesicht klatschten und sie rückwärtstaumeln ließen. Statt ihr die Augen auszukratzen und ihr Gesicht zu zerfetzen, zerrten ihr die Krallen nur die Kapuze vom Kopf, sodass ihr rotes Haar wie in einer lautlosen Explosion um ihre Schultern und den Rücken hinabfloss. Wenn es noch irgendjemanden auf diesem Pier gegeben hatte, der nicht auf sie aufmerksam geworden war, dann hatte sich das wohl spätestens in diesem Augenblick geändert.

Bast ließ sich von der Wucht des Anpralls ganz bewusst mitreißen und herumwirbeln und schlug aus der Drehung heraus zu - nicht so hart, wie sie es sich gewünscht hätte, und nicht einmal annähernd so zielsicher, aber sie traf. Federn stoben in einer lautlosen schwarzen Explosion in alle Richtungen, und sie konnte spüren, wie die empfindlichen Knochen der Flügel unter der Wucht ihres Hiebes brachen. Jetzt schrie der Vogel, nicht vor Zorn oder Angriffslust, sondern vor Schmerz.

Hinter ihr erscholl ein anderes, viel lauteres Kreischen, und sie sah eine verschwommene Bewegung aus den Augenwinkeln. Ein Kind schrie, und irgendetwas zerbrach polternd, aber Bast achtete auf nichts von alledem, sondern führte die Bewegung nicht nur mit grimmiger Entschlossenheit zu Ende, sondern schlug zugleich ihren Mantel zurück und zog ihr Schwert, während sie dem davon torkelnden Vogel nachsprang. Die fast armlange Klinge blitzte im Sonnenlicht.

Wieder kreischte ein Pferd, und diesmal begann die Bewegung nur in ihren Augenwinkeln und bäumte sich dann riesig und drohend neben und über ihr auf. Tödliche Hufe wirbelten nur wenige Zoll neben ihr durch die Luft, als sich das Pferd in schierer Panik aufbäumte und dann endgültig durchging.

Alles schien sich im Bruchteil eines einzigen Atemzuges abzuspielen, und trotzdem gefror die Zeit im gleichen Moment. Das Pferd bäumte sich mit solch ungeheurer Gewalt auf, dass sein Zaumzeug riss und der jämmerliche Karren wie von einem Hammerschlag getroffen in Stücke sprang. Sie sah den Falken, der verzweifelt mit dem gebrochenen Flügel schlagend an Höhe zu gewinnen versuchte und doch weiter dem Boden entgegen trudelte, und die blitzende Klinge in ihrer Hand, das heilige Schwert ihrer Vorfahren, das sie mit in dieses kalte Land am Ende der Welt gebracht hatte, damit es ihr im vielleicht schwersten Kampf ihres Lebens beistehen konnte.

Und plötzlich begriff sie, dass es vorbei war.

Ihr Widersacher hatte alles riskiert, um es hier und sofort zu Ende zu bringen, im selben Moment, in dem sie den Fuß auf den Boden dieses Landes setzte, und er hatte verloren. Der Vogel war verletzt, nicht tödlich, aber schlimm genug, um ihr die Zeit zu verschaffen, die sie brauchte, um ihn einzuholen und ihr Schwert in sein Blut zu tauchen, und das war es dann. Die große Schlacht würde nicht stattfinden.

Aber sie sah auch das Pferd, das blind vor Panik an ihr vorbeistürmte, und das Kind auf dem Pflaster; ein vielleicht sechs oder sieben Jahre altes Mädchen mit verschmiertem Gesicht, schmutzstarrendem Haar und noch schmutzigeren Kleidern, das wie gelähmt dastand und dem heranrasenden Pferd entgegen starrte. Es hatte keine Chance.

Die Zeit kehrte wieder zu ihrem gewohnten Ablauf zurück, und Bast registrierte zu ihrer eigenen Überraschung, wie sie herumfuhr und das Schwert fallen ließ. Statt sich auf den todgeweihten Vogel zu stürzen, war sie mit zwei, drei gewaltigen Sätzen neben dem durchgehenden Hengst, packte mit der linken Hand das zerrissene Zaumzeug und krallte die Finger der anderen in seine Mähne. Die Zeit reichte nicht, es abzulenken oder gar zum Anhalten zu zwingen; noch ein, zwei rasende Schritte, und die wirbelnden Hufe würden das Kind zermalmen. Also tat sie das Einzige, was sie noch konnte: Sie legte ihre ganze übermenschliche Kraft in einen gewaltigen Ruck, mit dem sie den Kopf des Pferdes zurück- und zur Seite riss.