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»Ähm ... nun ja ... hier«, antwortete er verdattert und machte zugleich eine Handbewegung auf das Gebäude, vor dem sie angehalten hatten: ein hübsches, einigermaßen gepflegtes zweieinhalbgeschossiges Haus hinter einem geschmiedeten Zaun mit goldbronzierten Spitzen. Neben der Tür hing ein kleines, sorgsam poliertes Messingschildchen.

»Pension Westminster?«, las sie stirnrunzelnd vor. Der bedauernswerte Arthur riss die Augen noch weiter auf. Das Schild war kaum so groß wie zwei nebeneinandergelegte Hände und die Schrift entsprechend winzig. Selbst als er noch jung und seine Augen schärfer gewesen waren, hätte er vermutlich Mühe gehabt, zu erkennen, dass dort überhaupt etwas stand, geschweige denn es lesen können.

»Äh ... ja, Miss«, murmelte er verwirrt. »Stimmt was nicht? Ich meine, das ist die Adresse, die mir die Männer genannt haben.«

»Die Matrosen?«, vergewisserte sich Bast.

»Ja. Es ist auch schon alles bezahlt. Soll ich ... ich meine: Ich bringe Ihr Gepäck hinein, wenn das in Ordnung ist.«

Bast ließ ihren Blick ein zweites Mal und aufmerksamer über die Fassade des georgianischen Gebäudes streifen. Einen Moment lang war sie unschlüssig. Sie hatte nicht vorgehabt, im Regency oder Palace Hotel abzusteigen, aber ganz gewiss auch nicht in einem Etablissement, das sich Pension Westminster nannte ... aber auf der anderen Seite machte das Haus einen zwar einfachen, aber gepflegten und sauberen Eindruck, und sie war mit einem Male nahezu sicher, dass ein gewisser Kapitän in nicht allzu ferner Zukunft hier auftauchen und sehr überrascht sein würde, sie ganz zufällig hier anzutreffen. Vielleicht war es an der Zeit, ein klärendes Gespräch mit Kapitän Maistowe zu führen ...

»Das wäre sehr freundlich«, sagte sie. »Ich gehe schon einmal hinein und sehe, ob es jemanden gibt, der Ihnen hilft. Sie sollten mit ihrem Rücken nicht so schwer tragen.«

Arthurs Unterkiefer klappte herunter, während er sie nunmehr vollkommen fassungslos anstarrte, und Bast ging weiter, ignorierte die Türglocke und trat ein, ohne ihr Kommen in irgendeiner Form angekündigt zu haben.

Der Raum, den sie betrat, war unerwartet groß und mit einer Anzahl kleiner runder Tische und dazu passender Stühle eingerichtet. Außerdem gab es einen kleinen Kamin mit einer Couch und zwei wuchtige Ohrensessel vor einem leer geräumten Schachtisch und eine mannshohe Standuhr, aber keine Rezeption; nicht einmal so etwas wie einen Schreibtisch. In einem Winkel welkte ein Blumenstrauß in einer kristallenen Vase unter einem hölzernen Kruzifix - ein Symbol, das Bast immer als etwas befremdlich für eine Religion empfunden hatte, welche die Liebe zum Nächsten predigte. Es war nicht sehr hell, obwohl draußen noch Tag herrschte, denn vor den Fenstern hingen schwere dunkelblaue Vorhänge aus falschem Samt, die bis auf einen schmalen Spalt zugezogen waren. Und es war sehr still. Wenn das hier wirklich eine Pension war, dann hatte sie im Augenblick anscheinend nicht sehr viele Gäste.

»Ja, bitte?«

Bast fuhr leicht erschrocken zusammen. Sie hatte weder gehört, dass sich hinter ihr eine schmale Tür geöffnet hatte, noch die Schritte der kleinwüchsigen, schwarz gekleideten älteren Frau, die nun darunter erschienen war. Natürlich ließ sie sich ihre Überraschung nicht anmerken, mahnte sich selbst aber in Gedanken zur Vorsicht. Anscheinend war sie in noch schlechterer Verfassung, als sie ohnehin angenommen hatte.

»Guten Tag«, sagte sie lächelnd. »Ich hätte gerne ein Zimmer - falls Sie noch etwas frei haben.«

»Ein Zimmer?« Die Frau schloss sorgfältig die Tür hinter sich, bevor sie mit gemessenen Schritten näher kam und Bast dabei ganz unverblümt musterte. Ebenso wenig Hehl machte sie aus ihrem Erstaunen, als ihr Blick in die Dunkelheit unter ihrer immer noch hochgeschlagenen Kapuze fiel, aber das überraschte Bast weder, noch nahm sie es ihrem Gegenüber irgendwie übel. Sie war solcherlei Reaktion gewöhnt und hatte sie erwartet, ganz besonders in diesem Teil der Welt.

»Das kommt ganz darauf an«, fuhr die Zimmerwirtin fort. »Wie lange möchten Sie bleiben, und welche Art von Zimmer schwebt Ihnen vor? Einen großen Service kann ich Ihnen nicht bieten, falls Sie das erwarten.« Sie lächelte beinahe entschuldigend. »Das hier ist eine Frühstückspension. Es gibt Bed and Breakfast, und sonst allenfalls eine Tasse Tee am Abend.«

»Das ist vollkommen in Ordnung«, antwortete Bast. »Ich bin nicht anspruchsvoll. Ein sauberes Zimmer und ein wenig Diskretion sind alles, was ich erwarte.«

»Diskretion?« Auf dem Gesicht der Pensionswirtin erschien ein Ausdruck von unübersehbarem Misstrauen, als hätte sie etwas Ungehöriges gesagt. Ihre Augen blickten plötzlich härter, und rings um ihren Mund erschien ein Netz winziger verkniffener Fältchen, die zuvor noch nicht da gewesen waren. Wie es aussah, dachte Bast, hatte sie genau den falschen Ton gewählt. Aber das war ein Fehler, der sich leicht korrigieren ließ.

Noch während sie in die Tasche griff, um den zusammengefalteten Zettel hervorzuziehen, den Maistowe ihr gegeben hatte, wurde die Tür aufgestoßen, und der Kutscher kam herein, unter der Last von gleich drei ihrer Koffer wankend. Die Zimmerwirtin runzelte die Stirn und setzte zu einer nun sichtlich verärgerten Bemerkung an, und Bast reichte ihr rasch den Zettel. »Ich bin auf Empfehlung hier«, sagte sie. »Kapitän Maistowe von der Lady of the Mist war der Meinung, dass ich hier eine angenehme Unterkunft finden würde.«

Die Besitzerin des Westminster wirkte keineswegs beruhigt, aber immerhin nahm sie den Zettel entgegen, faltete ihn auseinander und knibbelte heftig mit den Augen, während sie die winzige Schrift in der schwachen Beleuchtung zu entziffern versuchte. Dann hellten sich ihre Züge auf. »Tatsächlich, das ist Jacobs Handschrift«, sagte sie. »Auch wenn ich sie nur entziffern kann, weil ich ohnehin weiß, was er geschrieben hat.«

Sie gab ihr den Zettel zurück und wandte sich aus der gleichen Bewegung heraus an den Kutscher. »Bringen Sie das Gepäck der Lady auf Zimmer eins«, sagte sie. »Gleich oben das erste neben der Treppe.«

Arthur setzte sich schnaubend und unter dem Gewicht seiner Last mit deutlicher Schlagseite in Bewegung, und sie wandte sich wieder an Bast und streckte ihr die Hand entgegen. »Bitte verzeihen Sie, meine Liebe«, sagte sie, mit einem Male lächelnd und herzlich; scheinbar eine ganz andere Person. »Ich bin Gloria Walsh, die Besitzerin der Pension Westminster.«

»Bast«, sagte Bast, während sie Mrs Walshs Hand schüttelte.

»Einfach nur Bast?«

»Einfach nur Bast«, bestätigte Bast. »In meiner Heimat haben die meisten Menschen nur einen Namen - oder entsetzlich viele. Gottlob bin ich nicht so einmalig, dass man mir ein ganzes Dutzend Namen gegeben hat. Höchstens zwei, und der andere tut nichts zur Sache.«

Gloria sah sie einen Moment einfach nur verwirrt an, dann blinzelte sie erneut. »Bitte verzeihen Sie, Miss Bast«, sagte sie dann. »Hätte ich gleich gewusst, dass Kapitän Maistowe Sie schickt, dann wäre ich vielleicht nicht ganz so abweisend gewesen. Aber man muss vorsichtig sein, vor allem, wenn man als Frau ganz allein eine Pension leitet.«

»Das verstehe ich«, antwortete Bast. »Da, wo ich herkomme, ist es nicht anders.«

Mrs Walsh warf einen weiteren und noch viel unverhohlen neugierigeren Blick in Basts Gesicht hinauf, aber sie fragte nicht, wo dieses »wo ich herkomme« sein mochte. »Ja, das ist wahrscheinlich auf der ganzen Welt so«, seufzte sie. »Wissen Sie schon, wie lange Sie bleiben werden, meine Liebe?«

»Nur ein paar Tage, fürchte ich«, antwortete Bast. »Vielleicht eine Woche ... auf keinen Fall mehr als zwei.« Sie hatte nicht vor, so lange in diesem Land zu bleiben, aber die Dinge entwickelten sich oft anders, als man es erwartete. Bisher wusste sie nicht einmal, wo Isis wirklich war. Zwar standen ihr gewisse Möglichkeiten zur Verfügung, aber London war eine große Stadt.