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Die meisten der anwesenden Mädchen kannte sie, aber nur oberflächlich. Sie begrüßte sie kurz, obwohl es bei dem Lärm fast unmöglich war, sich verständlich zu machen. Eins der Mädchen, Sue Phillips, das gar nichts sagte, war offenbar hinüber, und ihr Begleiter, ein Junge aus Baton Rouge, schüttete Wasser über sie aus einem Schuh, den er im Bad immer wieder nachfüllte. Sues rosa Organdykleid triefte vor Nässe.

Die Begrüßung durch die Jungen fiel etwas herzlicher aus; sie wandten sich jedoch sofort wieder der improvisierten Bar zu, einem Glasschränkchen, das man auf die Seite gekippt hatte. Jemand - sie war sich nicht sicher, wer - drückte ihr unbeholfen ein volles Glas in die Hand.

Es war auch nicht zu übersehen, daß im Nebenzimmer irgend etwas vorging. Die Tür war zwar geschlossen, aber eine Gruppe von Jungen drängte sich vor dem Schlüsselloch zusammen. Auch Lyle, der Marsha im Stich gelassen hatte, war dort. Sie schnappte einzelne Satzfetzen auf und die immer wiederkehrende Frage: »Wie war's?« Die Antwort ging jedoch in einem wiehernden Gelächter unter.

Als sie schließlich aus einigen weiteren Bemerkungen erriet, was sich hinter der geschlossenen Tür abspielte, hatte sie nur noch den Wunsch, wegzugehen. Alles war besser als das hier, sogar die große Villa, in der sie sich entsetzlich einsam fühlte, denn wenn ihr Vater auf Reisen war, wurde sie nur von ihr und den Dienstboten bewohnt. Ihr Vater war aber schon seit sechs Wochen verreist und würde mindestens noch zwei weitere Wochen wegbleiben.

Beim Gedanken an ihren Vater fiel Marsha wieder ein, daß sie jetzt nicht hier wäre, wenn er sein Versprechen gehalten und rechtzeitig zu ihrem Geburtstag heimgekommen wäre. Dann wäre sie nicht zum Verbindungsball gegangen, sondern hätte zu Haus gefeiert, und Mark Preyscott hätte in seiner unbeschwerten, jovialen Art über eine Schar ausgewählter Freunde seiner Tochter präsidiert, Freunde, die gern auf den Alpha-Kappa-Epsilon-Ball verzichtet hätten, wenn er mit Marshas Einladung zusammenfiel. Aber er war nicht heimgekommen. Statt dessen hatte er sie reumütig wie immer angerufen, diesmal aus Rom.

»Marsha, Liebling, ich hab's versucht, wirklich, aber ich schaff's nicht. Meine Geschäfte werden mich hier bestimmt noch zwei oder drei Wochen länger festhalten, aber ich mach's wieder gut, wenn ich nach Hause komme, Liebling.« Er erkundigte sich vorsichtig, ob Marsha nicht Lust hätte, ihre Mutter und deren neuesten Ehemann in Los Angeles zu besuchen, und als sie schlankweg ablehnte, hatte ihr Vater gesagt: »Na, ich wünsche dir jedenfalls alles Gute und Liebe, und es ist auch schon ein kleines Geburtstagsgeschenk für dich unterwegs, das dir, glaub' ich, gefallen wird.« Beim vertrauten Klang seiner Stimme hätte Marsha am liebsten geweint, ließ es aber bleiben, weil sie sich das Weinen schon vor Jahren abgewöhnt hatte. Es war auch zwecklos, darüber nachzudenken, warum der Eigentümer eines großen Warenhauses mit einem Stab hochbezahlter Geschäftsführer fester ans Geschäft gebunden sein sollte als ein Bürojunge. Vielleicht hielten ihn andere Dinge in Rom fest, über die er natürlich mit ihr nicht sprechen würde, so wie sie ihm niemals erzählen würde, was sich augenblicklich in der Nummer 1126 abspielte.

Als sie sich zum Weggehen entschloß, war sie ans Fenster getreten, um dort ihr Glas abzustellen, und nun kamen die Klänge von »Stardust« von unten zu ihr herauf. Wie bei jedem Fest war jetzt der Zeitpunkt gekommen, wo die Musik auf die alten sentimentalen Schlager zurückgriff, besonders, wenn es sich bei der Band um Moxie Buchanan und seine All-Star Southern Gentlemen handelte, die fast bei allen feudalen Festivitäten des St. Gregory aufspielten. Sogar wenn sie vorhin nicht getanzt hätte, würde sie den Klang der Band sofort erkannt haben - der warme, weiche und doch kräftige Ton der Blasinstrumente war Moxie Buchanans Gütezeichen.

Sie lehnte unschlüssig am Fenster und fragte sich, ob sie in den Tanzsaal zurückkehren sollte, obwohl sie sich ungefähr denken konnte, was sie unten vorfinden würde: verschwitzte Jungen im Smoking, die nervös an ihren Hemdkragen zupften; einige Tölpel, die sich nach ihrer Alltagskluft sehnten; und Mädchen, die den Waschraum umlagerten und sich hinter der verschlossenen Tür kichernd ihre Geheimnisse anvertrauten; in Marshas Augen hatte das Grnze eine peinliche Ähnlichkeit mit einem Kinderfest, bei dem Buben und Mädchen sich verkleiden, um Scharade zu spielen. Jungsein war abscheulich langweilig, dachte Marsha oft, zumal, wenn man das Los mit so vielen Gleichaltrigen teilte. Manchmal - wie eben jetzt - sehnte sie sich nach einem etwas reiferen Gefährten.

Lyle Dumaire hatte sie enttäuscht. Er stand noch immer in der Gruppe vor der Verbindungstür, mit gerötetem Gesicht, zerknitterter Hemdbrust und schiefsitzender schwarzer Schleife. Marsha wunderte sich, daß sie ihn jemals ernst genommen hatte.

Auch andere schickten sich nun zum Gehen an, und das Zimmer leerte sich so schnell, daß es den Anschein eines Massenauszugs hatte. Einer der älteren Jungen, von dem sie wußte, daß er Stanley Dixon hieß, kam aus dem Nebenraum, machte die Tür bedächtig hinter sich zu, wies mit dem Kopf nach nebenan und gab eine Erklärung ab, von der Marsha nur einige Worte auffing: »... Mädchen wollen gehen... sagen, sie haben genug... haben Angst... zuviel Tumult...«

«... hab' dir gleich gesagt, wir hätten nicht soviel Wirbel machen sollen«, meinte ein anderer.

»Warum nehmen nicht jemand von hier?« Lyle Dumaire hatte seine Stimme nicht mehr ganz unter Kontrolle.

»Tjah, aber wen?« Ihre Augen schweiften abschätzend durch den Raum. Marsha ignorierte ihre Blicke geflissentlich.

Ein paar Freunde von Sue Phillips bemühten sich um das betrunkene Mädchen und versuchten es aufzurichten, jedoch ohne Erfolg: »Marsha! Sue geht's ziemlich schlecht. Kannst du ihr nicht helfen?«

Marsha, die auf dem Weg nach draußen war, blieb widerwillig stehen und betrachtete das Mädchen, das mit offenen Augen in einem Sessel lag, das kindliche Gesicht kreidebleich, mit schlaffem Mund und verschmiertem Lippenstift. Mit einem innerlichen Seufzer sagte sie: »Na schön, helft mir, sie ins Bad schaffen.« Als sie von drei Jungen hochgehoben wurde, fing Sue an zu weinen.

An der Badezimmertür schien einer der Jungen nicht abgeneigt, den beiden Mädchen zu folgen, aber Marsha machte ihm energisch die Tür vor der Nase zu und schob den Riegel vor. Sie wandte sich zu Sue Phillips um, die sich entsetzt im Spiegel betrachtete. Der Schock hat wenigstens das eine Gute, dachte Marsha erleichtert, daß er sie zur Vernunft bringt.

»Ich würde mir an deiner Stelle nicht zu viele Sorgen machen«, bemerkte sie. »Angeblich passiert das jedem von uns mal, und du hast's hinter dir.«

»O Gott! Meine Mutter bringt mich um, wenn sie mich so sieht«, stöhnte Sue und machte einen wilden Satz auf das Klosettbecken zu, um sich zu übergeben.

Marsha hockte sich auf den Rand der Badewanne. »Dir wird gleich viel wohler zumute sein. Wenn du fertig bist, wasch ich dir das Gesicht, und du machst dich ein bißchen zurecht.«

Den Kopf noch immer über das Becken gebeugt, nickte das Mädchen kläglich.

Als sie zehn oder fünfzehn Minuten später aus dem Bad kamen, waren alle Gäste fort bis auf Lyle Dumaire und seine Kumpane, die in einer Ecke die Köpfe zusammensteckten. An der Tür wartete Sues Begleiter, der Marsha um Hilfe gebeten hatte. Er lief auf sie zu und sagte hastig: »Wir haben vereinbart, daß eine von Sues Freundinnen sie zu sich nach Haus mitnimmt, und wahrscheinlich kann Sue auch bei ihr schlafen.« Als er das Mädchen am Arm faßte, ging sie folgsam mit. »Unten wartet ein Wagen auf uns. Vielen Dank, Marsha«, rief ihr der Junge über die Schulter hinweg zu, bevor er mit Sue im Korridor verschwand. Marsha sah ihnen erleichtert nach.