Alles schwieg.
Der ältere Anwalt machte ein verwirrtes Gesicht. In gut vernehmbarem Flüsterton erklärte ihm der jüngere: »Es war wegen eines Farbigen, der aus dem Hotel gewiesen wurde.«
»Aha!« Der ältere Anwalt nickte verständnisvoll.
»Lassen Sie mich eines ganz klarmachen.« Mr. Dempster nahm die Brille ab und fing an, sie sorgsam zu putzen. »Ich rate nicht zu einer grundlegenden Änderung der Hotelpolitik. Meine Meinung als Geschäftsmann ist, daß lokale Anschauungen und Bräuche respektiert werden müssen. Es geht mir nur darum, zu verhindern, daß es in einer ähnlichen Situation wieder zu einem Skandal kommt.«
Niemand sagte etwas.
Dann merkte Peter plötzlich, daß sich die allgemeine Aufmerksamkeit ihm zugewandt hatte. Es überlief ihn kalt, denn ihm schwante, daß er vor einer Entscheidung stand - vielleicht der wichtigsten in seinem neuen Amt. Seine Haltung würde die Zukunft des Hotels und seine eigene Zukunft beeinflussen. Er wartete, bis er sich absolut klar darüber war, was er sagen wollte.
»Das, was soeben gesagt wurde« - Peter wies mit einem Nicken auf den jüngeren Anwalt -, »ist leider wahr. Ein Kongreßteilnehmer mit einer bestätigten Reservierung wurde vom Hotel abgewiesen. Er war Zahnarzt, offenbar auch ein bedeutender Gelehrter - und außerdem Neger. Bedauerlicherweise war ich es, der ihn fortschickte. Ich habe seitdem den festen Entschluß gefaßt, daß so etwas nicht noch einmal vorkommt.«
Emile Dumaire sagte: »Als Vizepräsident dürften Sie kaum jemals in die Lage kommen... «
»Das gilt auch für die Angestellten. In einem Hotel, das ich leite, werde ich eine solche Handlungsweise nicht mehr gestatten.«
Der Bankier schürzte die Lippen. »Das ist ein ziemlich drastischer Standpunkt.«
Warren Trent knurrte gereizt: »Fangen Sie nicht wieder mit der alten Geschichte an, McDermott.«
»Meine Herren«, Mr. Dempster setzte seine Brille auf, »ich dächte, ich hätte deutlich genug darauf hingewiesen, daß es mir nicht um eine grundlegende Änderung zu tun ist.«
»Aber mir, Mr. Dempster.« Falls eine Kraftprobe unvermeidlich war, dachte Peter, dann sollte es lieber gleich dazu kommen; dann wußte er wenigstens, woran er war. Entweder er hatte alle Vollmachten, oder er hatte sie nicht.
Der Mann aus Montreal beugte sich vor. »Wie soll ich das verstehen?«
Eine innere Stimme warnte Peter davor, nicht zu leichtsinnig zu sein. Er beachtete sie nicht. »Die Sache ist ganz einfach. Die Voraussetzung für meine Tätigkeit hier im Hotel wäre eine vollständige Aufhebung der Rassentrennung.«
»Ist es nicht etwas unbesonnen von Ihnen, uns Bedingungen zu stellen?«
Peter sagte ruhig: »Ihre Frage bedeutet vermutlich, daß Sie
über gewisse persönliche Angelegenheiten im Bilde sind...«
Mr. Dempster nickte. »Ja.«
Christine sah Peter gespannt an. Er fragte sich, was in ihrem Kopf vorgehen mochte.
»Unbesonnen oder nicht, ich halte es jedenfalls für fair, Sie wissen zu lassen, wo ich stehe.«
Mr. Dempster polierte wieder einmal seine Brillengläser. Er wandte sich an die Allgemeinheit. »Ich glaube, wir alle respektieren eine feste Überzeugung. Dennoch meine ich, handelt es sich hier um ein Problem, in dem wir zu einem Kompromiß gelangen könnten. Falls es Mr. McDermott recht ist, verschieben wir eine Entscheidung darüber auf später. In ein oder zwei Monaten können wir es wieder aufgreifen.«
Falls es Mr. McDermott recht ist. Der Mann aus Montreal hatte ihm mit diplomatischem Geschick einen Ausweg geöffnet.
Immer dasselbe uralte Schema: Zuerst pochte man auf seine Überzeugung, um sein Gewissen zu beruhigen. Dann kam es zu leichten Konzessionen, zu einem vernünftigen Kompromiß zwischen vernünftigen Menschen. Später können wir das Problem wieder aufgreifen. Eine zivilisierte, einsichtige Antwort. War es nicht die gemäßigte, zahme Haltung, zu der die meisten Leute neigten? Die Zahnärzte beispielsweise. Ihr offizieller Brief, in dem sie die Handlungsweise des Hotels im Fall Dr. Nicholas beklagten, war heute eingetroffen.
Andererseits mußte man auch bedenken, daß dem Hotel eine schwere Zeit bevorstand. Der Augenblick war für drastische Maßnahmen ungeeignet. Der Wechsel in der Hotelleitung würde zwangsläufig viele Probleme mit sich bringen. Vielleicht war es wirklich das klügste, die Entscheidung zu vertagen.
Aber man fand immer Gründe dafür, etwas nicht zu tun. Der Zeitpunkt war stets ungelegen. Irgend jemand hatte kürzlich erst davon gesprochen. Wer?
Dr. Ingram. Der ungestüme kleine Präsident des Zahnärztekongresses, der sein Amt niedergelegt hatte, weil ihm Prinzipien wichtiger waren als sein persönlicher Vorteil, und der das Hotel gestern abend in gerechtem Zorn verlassen hatte.
Ab und zu mußte man das, was man sich wünscht, gegen das, was man glaubt, abwägen, hatte Dr. Ingram gesagt... Sie haben es nicht getan, McDermott, als Sie die Chance hatten. Sie sorgten sich zu sehr um das Hotel, um Ihren Job... Aber manchmal bekommt man noch eine zweite Chance. Falls Ihnen das passiert, ergreifen Sie sie.
»Mr. Dempster«, sagte Peter, »das Gesetz über die Bürgerrechte ist völlig klar. Ob wir es nun eine Zeitlang hinauszögern oder umgehen, das Resultat wird am Ende dasselbe sein.«
»Wie ich höre, sind die Bürgerrechtsgesetze immer noch umstritten«, bemerkte der Mann aus Montreal.
Peter schüttelte ungeduldig den Kopf. Seine Augen schweiften um den Tisch. »Ich glaube, ein gutes Hotel muß sich dem Wandel der Zeiten anpassen. Eines der brennendsten Probleme unserer Zeit sind die Menschenrechte, und es gibt wohl nicht viele, die sich dessen nicht bewußt sind. Es ist besser, wir erkennen und akzeptieren diese Dinge, anstatt sie uns aufzwingen zu lassen, wie es unvermeidlich geschehen wird, wenn wir nicht von selbst die Initiative ergreifen. Ich sagte vorhin, daß ich mich nie wieder - weder direkt noch indirekt -dazu hergeben werde, einen Dr. Nicholas wegzuschicken. Ich bin nicht bereit, meine Meinung zu ändern.«
Warren Trent schnaubte. »Sie werden nicht alle ein Dr. Nicholas sein.«
»Wir erhalten jetzt einen gewissen Standard aufrecht, Mr. Trent, und werden das auch künftig tun.«
»Ich warne Sie! Sie werden das Hotel ruinieren.«
»Es scheint mehr als ein Mittel zu geben, um das zu erreichen.«
Die Antwort brachte Warren Trent aus der Fassung. Er errötete.
Mr. Dempster betrachtete seine Hände. »Bedauerlicherweise scheinen wir in eine Sackgasse geraten zu sein. Mr. McDermott, Ihre Haltung wird uns vielleicht dazu zwingen...« Zum erstenmal wirkte der Mann aus Montreal unsicher. Er blickte zu Albert Wells hinüber.
Der kleine Mann schien unter all den Blicken in sich zusammenzuschrumpfen. Aber er sah Mr. Dempster fest an.
»Charlie«, sagte er, »ich schätze, wir sollten den jungen Burschen das machen lassen, was er für richtig hält.« Er wies mit dem Kopf auf Peter.
Ohne die Miene zu verziehen, verkündete Mr. Dempster: »Mr. McDermott, Ihre Bedingungen sind angenommen.«
Die Sitzung wurde aufgehoben. Im Gegensatz zu der früheren Eintracht herrschte nun eine gewisse Befangenheit. Warren Trent übersah Peter geflissentlich; er wirkte verstimmt. Der ältere Anwalt sah mißbilligend drein, der jüngere reserviert. Emile Dumaire unterhielt sich angeregt mit Mr. Dempster. Nur Albert Wells schien sich über den Zwischenfall insgeheim zu amüsieren.
Christine ging als erste hinaus. Gleich darauf kam sie zurück und winkte Peter zu sich. Durch die offene Tür erspähte er seine Sekretärin. Wie er Flora kannte, mußte etwas Ungewöhnliches sie hergeführt haben. Er entschuldigte sich und ging hinaus.
An der Tür schob ihm Christine ein gefaltetes Briefchen in die Hand. Sie flüsterte : »Lies es später.« Er nickte und steckte es ein.
»Mr. McDermott«, sagte Flora, »ich hätte Sie nicht gestört, aber... «
»Ich weiß. Was ist los?«
»In Ihrem Büro wartet ein Mann. Er sagt, er arbeitet am Verbrennungsofen und hätte etwas Wichtiges für Sie. Er will's mir nicht geben und auch nicht weggehen.«