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Ihr Mann war vom Fenster in die Mitte des Raumes gekommen. Er stand reglos da, mit lose herabhängenden Armen, und ließ die Information in sich einsickern. Schließlich fragte er:

»Und jetzt?«

»Er benachrichtigte die Polizei. Er sagt, er hätte beschlossen, uns zuerst anzurufen.« Sie faßte sich verzweifelt an die Stirn. »Die Vollmacht war der schlimmste Fehler. Wenn ich sie nicht ausgestellt hätte... «

»Nein«, sagte der Herzog, »wenn nicht das, dann wäre es irgend etwas anderes gewesen. Dich trifft keine Schuld. Den ärgsten Fehler, mit dem alles anfing, habe ich begangen.«

Er ging zu der Anrichte, die als Bar diente, und goß sich einen steifen Scotch mit Soda ein. »Ich nehme nur den einen, nicht mehr. Wird vermutlich eine Weile dauern, bevor ich den nächsten kriege.«

»Was hast du vor?«

»Es ist ein bißchen spät, von Anstand zu reden.« Er schüttete den Drink hinunter. »Aber falls noch ein paar kümmerliche Reste übrig sind, will ich versuchen sie zu retten.« Er begab sich ins angrenzende Schlafzimmer und kam beinahe sofort mit einem leichten Regenmantel und einem Homburg zurück.

»Wenn's geht, möchte ich bei der Polizei sein, bevor sie zu mir kommt«, sagte der Herzog von Croydon. »Ich glaube, man nennt das: sich freiwillig stellen. Viel Zeit habe ich vermutlich nicht mehr, deshalb will ich das, was ich zu sagen habe, rasch abmachen.«

Die Herzogin sah ihn an. In diesem Moment zu sprechen überstieg ihre Kraft.

Mit beherrschter, leiser Stimme sagte der Herzog: »Du sollst wissen, daß ich dir für alles, was du getan hast, dankbar bin. Wir haben beide Fehler gemacht, aber ich bin dir trotzdem dankbar. Ich werde mein möglichstes tun, damit du nicht in die Sache hineingezogen wirst. Geschieht es doch, werde ich sagen, daß die Idee, den Unfall zu vertuschen, von mir stammt und daß ich dich überredet habe.«

Die Herzogin nickte matt.

»Noch eins. Ich nehme an, ich werde einen Anwalt brauchen. Du könntest dich darum kümmern, wenn du magst.«

Der Herzog setzte seinen Hut auf und stippte ihn mit einem Finger zurecht. Für jemanden, dessen Leben und Zukunft vor wenigen Minuten vernichtet worden waren, war seine Ruhe bemerkenswert.

»Du wirst für den Anwalt Geld brauchen. Eine ganze Menge vermutlich. Bezahl ihn von den fünfundzwanzigtausend Dollar, die du nach Chikago mitnehmen wolltest, und bring den Rest wieder zur Bank. Jetzt ist alle Geheimnistuerei überflüssig.«

Nichts deutete darauf hin, daß die Herzogin ihn gehört hatte.

Ein Ausdruck des Mitleids flog über das Gesicht ihres Mannes. »Es wird lange dauern...«, sagte er unsicher und streckte die Arme nach ihr aus.

Kalt und ohne Hast wandte die Herzogin sich ab.

Der Herzog wollte etwas sagen, überlegte es sich jedoch anders. Mit einem leichten Schulterzucken drehte er sich um, ging leise hinaus und schloß die Tür hinter sich.

Ein, zwei Minuten blieb die Herzogin unbeweglich sitzen und dachte an die Zukunft und die unmittelbar vor ihr liegende Bloßstellung und Schande. Dann siegte die Gewohnheit, und sie erhob sich. Zunächst würde sie für einen Anwalt sorgen; das war das wichtigste. Später würde sie über die Mittel für einen Selbstmord nachdenken.

Zunächst aber mußte das Geld an einem sicheren Platz verstaut werden. Sie ging in ihr Schlafzimmer.

Nach einigen Minuten, in denen sie zuerst ungläubig, dann verzweifelt sämtliche Winkel und Ecken absuchte, wurde ihr klar, daß die Aktenmappe verschwunden war. Sie konnte nur gestohlen worden sein. Als sie die Möglichkeit erwog, die Polizei zu informieren, brach die Herzogin von Croydon in wildes, hysterisches Gelächter aus.

Wenn man schnell einen Fahrstuhl braucht, dachte der Herzog von Croydon, kann man damit rechnen, daß er besonders langsam kommt.

Das Warten war unerträglich. Endlich hörte er den Fahrstuhl in dem Stockwerk über sich. Gleich darauf hielt er in der neunten Etage, und die Türen glitten auseinander.

Den Bruchteil einer Sekunde lang zögerte der Herzog. Es schien ihm, als hätte er seine Frau aufschreien gehört. Er war stark versucht, umzukehren, entschied sich dann jedoch dagegen.

Er betrat den Fahrstuhl Nummer vier.

In der Kabine befanden sich bereits mehrere Leute, unter ihnen ein attraktives blondes Mädchen und der Chefportier, der den Herzog wiedererkannte.

»Guten Tag, Euer Gnaden.«

Der Herzog von Croydon nickte zerstreut. Die Türen glitten zu.

10

Es dauerte fast die ganze Nacht und bis in den Morgen hinein, bevor Keycase Milne sein Glück zu fassen vermochte und nicht mehr für eine Halluzination hielt. Als er das Geld entdeckte, das er ahnungslos aus der Präsidentensuite mitgenommen hatte, glaubte er zuerst zu träumen. Er war in seinem Zimmer umhergelaufen, um wach zu werden. Aber das nützte nichts, denn er war auch im Traum wach. All das machte ihn so konfus, daß er erst bei Tagesanbruch einschlief und dann so tief und fest schlummerte, daß er erst am späten Vormittag erwachte.

Typisch für Keycase war jedoch, daß die Nacht nicht vergeudet wurde.

Während er sich mit Zweifeln herumschlug, machte er Pläne und traf Vorsichtsmaßregeln für den Fall, daß er nicht geträumt und wirklich fünfzehntausend Dollar erbeutet hatte.

So viel Geld war ihm während seiner langjährigen Betätigung als professioneller Dieb noch nie zwischen die Finger geraten. Besonders bemerkenswert erschien ihm dabei, daß es nur zwei Probleme zu lösen galt, um das Geld unangefochten aus dem Hotel zu schleusen. Das erste war der Zeitpunkt seiner Abreise, das zweite der Transport des Geldes.

Beide Fragen wurden noch in der Nacht zufriedenstellend geklärt.

Beim Verlassen des Hotels durfte er möglichst kein Aufsehen erregen. Folglich mußte er sich normal abmelden und seine Rechnung bezahlen. Alles andere wäre pure Torheit gewesen, hätte ihn als Betrüger entlarvt und zu Nachforschungen geführt.

Keycase wäre am liebsten auf der Stelle abgereist, widerstand aber der Versuchung. Eine Abreise mitten in der Nacht, die womöglich eine Diskussion darüber herausforderte, ob noch ein Tag mehr auf die Rechnung gesetzt werden sollte oder nicht, hatte zu viele Nachteile. Der Nachtkassierer würde sich an ihn erinnern und ihn beschreiben können. Das galt auch für andere Angestellte.

Nein! - Der Vormittag war die günstigste Zeit. Wenn er sich einem Schub abreisender Gäste anschloß, würde er unbeachtet bleiben.

Natürlich war der Aufschub nicht ganz ungefährlich. Der Herzog und die Herzogin von Croydon konnten den Verlust des Geldes entdecken und die Polizei alarmieren. Die Folge wäre Überwachung der Halle und Gepäckkontrolle bei den abreisenden Gästen. Auf der Kreditseite stand jedoch, daß nichts auf Keycase als den Täter hinwies und daß man wohl kaum sämtliche Gepäckstücke durchsuchen würde.

Ferner sagte Keycase ein Instinkt, daß das Vorhandensein einer so hohen Geldsumme in kleinen Scheinen sowie ihr Aufbewahrungsort zum mindesten seltsam, wenn nicht sogar verdächtig war. Würden die Croydons wirklich die Polizei alarmieren? Es war immerhin denkbar, daß sie es nicht tun würden.

Das zweite Problem war der Transport des Geldes.

Keycase erwog, es mit der Post zu versenden und an sich selbst zu adressieren, an ein Hotel in irgendeiner anderen Stadt, wo er es in ein oder zwei Tagen abholen konnte. Mit Bedauern sagte er sich, daß die Summe zu hoch war. Er würde zu viele Päckchen machen müssen und damit vielleicht die Aufmerksamkeit auf sich lenken.

Er würde das Geld bei sich tragen müssen. Aber wie?

Natürlich nicht in der Aktenmappe, die er aus dem Schlafzimmer der Herzogin entwendet hatte. Bevor er etwas in Angriff nahm, mußte er die Tasche verschwinden lassen. Keycase machte sich sogleich an die Arbeit.

Sorglich trennte er sie mit Hilfe von Rasierklingen auseinander und zerschnitt das Leder in kleine Schnipsel. Es war ein mühsames und langwieriges Unternehmen. Dann und wann spülte er eine Portion Schnipsel in der Toilette hinunter, war jedoch seiner Zimmernachbarn wegen darauf bedacht, es nicht zu häufig zu tun.