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Pfützen ausweichend, die der Regen zurückgelassen hatte, gingen sie zu einem anderthalb Blocks vom Hotel entfernten Parkhochhaus. Hoch über ihnen begann sich der Himmel nach dem kurzen, stürmischen Zwischenspiel wieder aufzuklären, der Mond kam zum Vorschein, und das Stadtzentrum um sie herum begab sich zur Ruhe. Die nächtliche Stille wurde nur dann und wann von einem vorbeiflitzenden Taxi unterbrochen, und das scharfe Stakkato ihrer Schritte hallte durch die menschenleere Straße mit ihren hohen dunklen Häuserfluchten.
Ein schläfriger Parkwächter brachte Christines Volkswagen herunter, und sie stiegen ein; Peter klappte sich auf dem rechten Vordersitz wie ein Taschenmesser zusammen. »Das ist das wahre Leben! Sie haben doch nichts dagegen, wenn ich mich ein bißchen breit mache?« Er legte seinen Arm auf die Rückenlehne des Fahrersitzes dicht über Christines Schultern.
Während sie in der Canal Street vor einer Ampel warteten, glitt einer der neuen mit Klimaanlage ausgestatteten Busse auf der mittleren Fahrbahn vor sie.
»Sie wollten mir doch erzählen, was passiert ist«, sagte sie.
Er runzelte die Stirn, wandte seine Gedanken wieder dem Hotel zu und berichtete kurz, was er über den Vergewaltigungsversuch an Marsha Preyscott wußte. Christine hörte schweigend zu und fuhr in nordöstlicher Richtung weiter. Zum Schluß erwähnte Peter sein Gespräch mit Herbie Chandler und seinen Verdacht, daß der Chefportier mehr von der Sache wisse, als er zugegeben habe.
»Herbie weiß immer mehr. Deshalb hat er sich so lange auf seinem Posten gehalten.«
»Mag sein, aber das entschuldigt nicht alles.«
Beide wußten, daß die kritische Bemerkung Peters Unzufriedenheit mit den Mängeln des Hotels verriet, gegen die er nichts zu unternehmen vermochte. In einem normal verwalteten Betrieb mit genau festgesetzten Richtlinien gab es solche Probleme nicht. Aber die Organisation des St. Gregory beruhte im wesentlichen auf mündlichen Abmachungen, wobei die letzte Entscheidungsgewalt bei Warren Trent lag und von ihm sehr willkürlich gehandhabt wurde.
Unter normalen Umständen hätte sich Peter - der die Hotelfachschule der Cornell-Universität mit Auszeichnung absolviert hatte - schon vor Monaten nach einem befriedigenderen Arbeitsfeld umgesehen. Aber die Umstände waren nicht normal. Als er sich im St. Gregory bewarb, war er in Verruf und würde es vermutlich auch noch auf Jahre hinaus bleiben.
Manchmal stellte er finstere Betrachtungen an über seine verpfuschte Karriere, für die er - wie er offen zugab -niemanden außer sich selbst verantwortlich machen konnte.
Im Waldorf, wo er nach seiner Abschlußprüfung an der Cornell-Universität eingetreten war, galt Peter McDermott als vielversprechender junger Mann mit Zukunft, Er stand dicht vor seiner Beförderung zum Geschäftsführer, als Pech plus Unbesonnenheit ihm einen Strich durch die Rechnung machten. Zu einem Zeitpunkt, in dem er angeblich Dienst hatte und woanders im Hotel benötigt wurde, ertappte man ihn in flagranti mit einem weiblichen Gast.
Selbst dann noch hätte sich eine Katastrophe vermeiden lassen. Gutaussehende junge Hotelangestellte waren häufig den Annäherungsversuchen einsamer alleinstehender Frauen ausgesetzt, und irgendwann im Laufe ihrer Karriere erlag fast jeder der Verlockung. Die Geschäftsleitung begnügte sich meistens damit, den Sünder warnend darauf hinzuweisen, daß so etwas nicht noch einmal vorkommen dürfe. In Peters Fall jedoch spielten zwei Faktoren eine entscheidende Rolle. Der Ehemann der Frau war, von Privatdetektiven unterstützt, an der peinlichen Entdeckung beteiligt, und es kam zu einem schmutzigen Scheidungsprozeß mit all der Publicity, die Hotels verabscheuen.
Zu allem Unglück wurde Peter noch das Opfer einer privaten Rache. Drei Jahre vor dem Debakel im Waldorf war er eine überstürzte Ehe eingegangen, die bald darauf mit einer Trennung der beiden Partner endete. Bis zu einem gewissen Grad waren seine Einsamkeit und Enttäuschung für den Zwischenfall im Hotel verantwortlich. Peters Frau machte sich das gebrauchsfertige Beweismaterial rücksichtslos zunutze und strengte mit Erfolg die Scheidung an.
Peter aber wurde von der Hotelleitung entlassen und auf die schwarze Liste gesetzt.
Die Existenz einer schwarzen Liste wurde natürlich nicht offen zugegeben. Aber eine große Anzahl von Hotels, vor allem solche, die Konzernen angehörten, hatten Peter McDermotts Bewerbung kurzerhand zurückgewiesen. Nur das St. Gregory, ein konzernfreies Hotel, hatte Peter eingestellt mit einem Gehalt, das Warren Trent schlau der Zwangslage des jungen Mannes anpaßte.
Daher hatte er mit seiner Bemerkung, das Durchhalten auf einem Posten sei keine Entschuldigung für alles, eine Unabhängigkeit vorgetäuscht, die nicht existierte. Er vermutete, daß Christine auch darüber im Bilde war.
Er beobachtete, wie sie den kleinen Wagen geschickt durch die schmale Burgundy Street manövrierte, die sich am Rand des Französischen Viertels entlangzog, parallel zum Mississippi. Christine bremste kurz und wich einer Schar schwankender Zecher aus, die sich aus der zwei Blocks entfernten, belebten, hell erleuchteten Bourbon Street hierher verirrt hatten. Dann sagte sie: »Es gibt etwas, das Sie, glaub' ich, erfahren sollten. Curtis O'Keefe kommt morgen an.«
Es war eine Neuigkeit von der Art, wie er sie befürchtet und mit der er doch fast gerechnet hatte.
Curtis O'Keefe war ein Name, der Wunder wirkte. Als Besitzer des weltweiten O'Keefe-Konzerns kaufte er Hotels wie andere Männer Krawatten oder Taschentücher. Selbst weniger gut informierte Kreise mußten aus Curtis O'Keefes Erscheinen im St. Gregory die stillschweigende Schlußfolgerung ziehen, daß zumindest der Wunsch bestand, das Hotel zu erwerben und dem ständig wachsenden Konzern einzuverleiben.
»Ist es ein Einkaufstrip?«
»Vielleicht.« Christine ließ die schwach erleuchtete Straße vor sich nicht aus den Augen. »W. T. ist gar nicht dafür, aber möglicherweise bleibt ihm nichts anderes übrig.« Sie wollte eigentlich hinzufügen, daß letzteres vertraulich behandelt werden müßte, besann sich jedoch eines Besseren. Peter wußte das ohnehin. Und was Curtis O'Keefe anbelangte, so würde sich die aufregende Neuigkeit von der Anwesenheit des großen Mannes sofort nach seiner Ankunft wie ein Lauffeuer im ganzen Hotel verbreiten.
»Es war wohl unvermeidlich.« Peter war, ebenso wie andere leitende Angestellte des Hotels, darüber im Bilde, daß das St. Gregory in den letzten Monaten schwere finanzielle Einbußen erlitten hatte. »Trotzdem ist es ein Jammer.«
»Noch ist es nicht soweit. W. T. möchte nicht verkaufen.« Peter nickte, ohne zu sprechen.
Nun verließen sie das Französische Viertel und bogen links in die mehrbahnige, von Bäumen gesäumte Esplanade Avenue ein. Die breite Straße war leer bis auf die davonflitzenden Rücklichter eines anderen Wagens, der in Richtung Bayou St. John verschwand.
»Die Weiterfinanzierung macht Schwierigkeiten«, sagte Christine. »W. T. versucht neues Kapital aufzutreiben, und er hofft noch immer, daß es ihm schließlich glückt.«
»Und wenn nicht?«
»Dann werden wir Curtis O'Keefe wohl öfter sehen.«
Und sehr viel weniger von Peter McDermott, dachte Peter. Er fragte sich, ob er einen Punkt erreicht hatte, an dem ein Hotelkonzern wie der von O'Keefe ihn als rehabilitiert und akzeptabel betrachten würde. Er bezweifelte es. Eines Tages, falls er sich weiter gut führte, würde es dazu kommen, aber im Moment war er noch nicht tragbar.
Es hatte ganz den Anschein, als würde er sich bald nach einer neuen Stellung umsehen müssen. Er beschloß, sich erst dann den Kopf zu zerbrechen, wenn es wirklich soweit war.
»Das O'Keefe-St.-Gregory«, sagte er laut. »Wann werden wir's genau wissen?«
»Die Sache muß sich auf die eine oder andere Art bis zum Wochenende entscheiden.«
»So bald?«
Es gab zwingende Gründe dafür, die Christine kannte, vorläufig jedoch für sich behielt.