»Selbst danach hätte er sich vielleicht nicht weiter um die Angelegenheit gekümmert, wenn ich ihm nicht drei Tage später einen Zettel auf den Schreibtisch gelegt hätte, auf dem, glaub' ich, stand: >Ich heiße Christine Francis und schlage das und das Gehalt vor.< Er gab mir den Zettel zurück, ohne Kommentar -nur mit seinen Initialen versehen, und das war alles.«
»Das war eine hübsche Gute-Nacht-Geschichte.« Peter erhob sich vom Sofa und streckte sich. »Ihre Uhr da starrt mich schon wieder an. Es ist wohl Zeit, daß ich gehe.«
»Aber das ist nicht fair«, protestierte Christine. »Wir haben die ganze Zeit nur über mich gesprochen.«
Sie war sich der Wirkung bewußt, die Peters Männlichkeit auf sie ausübte; und doch war er auch gutmütig und sanft, dachte sie; das hatte sich heute nacht gezeigt, als er Albert Wells in die Decke hüllte und ins andere Zimmer hinübertrug. Sie ertappte sich bei der Frage, wie es wohl sein mochte, von ihm in den Armen gehalten zu werden.
»Ich habe unser Zusammensein genossen... es war ein wundervoller Abschluß nach einem lausigen Tag.« Er hielt inne und sah sie gerade an. »Bis zum nächsten Mal. Ja?«
Als sie nickte, beugte er sich vor und küßte sie flüchtig.
Im Taxi, das er von Christines Appartement aus bestellt hatte, überließ sich Peter einer wohligen Müdigkeit und dachte über die Ereignisse des vergangenen Tages und des Abends nach. Der Tag hatte die übliche Quote von Problemen gebracht; am Abend war die Kurve jäh angestiegen und hatte ihm so unangenehme Zwischenfälle wie den Zusammenstoß mit dem Herzog und der Herzogin von Croydon beschert, die schwere Erkrankung von Albert Wells und den Vergewaltigungsversuch an Marsha Preyscott. Es gab auch noch einige ungeklärte Fragen in bezug auf Ogilvie, Herbie Chandler und nun auch Curtis O'Keefe, dessen Ankunft die Ursache für Peters Weggang sein konnte. Und dann war da noch Christine, die schon immer dagewesen war und die er vor heute nacht nie so recht beachtet hatte.
Aber er sagte sich warnend: Frauen waren schon zweimal sein Verderben gewesen. Was immer zwischen Christine und ihm entstehen mochte, es mußte sich langsam entwickeln, und er mußte vorsichtig sein.
Das Taxi raste auf den Elysian Fields stadteinwärts. Als sie die Stelle passierten, wo Christine und er auf der Hinfahrt angehalten worden waren, bemerkte er, daß die Absperrung entfernt und die Polizei verschwunden war. Aber die Erinnerung daran rief wieder das vage Unbehagen wach, das er schon früher verspürt hatte, und es bedrückte ihn auf dem ganzen Weg bis zu seinem eigenen Appartement, ein oder zwei Blocks vom St. Gregory entfernt.
DIENSTAG
1
Wie alle Hotels erwachte das St. Gregory frühzeitig und erhob sich gleich einem kampferprobten alten Frontsoldaten aus kurzem leichtem Schlummer. Lange bevor die ersten Gäste verschlafen vom Bett ins Bad torkelten, war sacht das Räderwerk eines neuen Hoteltages angelaufen.
Gegen fünf Uhr begannen müde nächtliche Reinmachetrupps, die während der vergangenen acht Stunden in den Gesellschaftsräumen, auf den unteren Treppen, im Küchentrakt und in der Halle schwer gearbeitet hatten, ihre Gerätschaften einzusammeln und sie für den Tag zu verstauen. Nach ihrem Abzug glänzten die Böden, schimmerten Holz- und Metallwerk, und sämtliche Räume rochen angenehm nach frischem Bohnerwachs.
Eine Putzfrau, die alte Meg Yetmein, die seit nahezu dreißig Jahren im Hotel gearbeitet hatte, schleppte sich mühsam vorwärts, und jeder zufällige Beobachter hätte ihre unbeholfenen Bewegungen ihrer Müdigkeit zugeschrieben. Der wirkliche Grund war jedoch ein dreipfündiges Lendensteak, das an der Innenseite ihres Oberschenkels befestigt war. Vor einer halben Stunde, als sie für einige Minuten unbeaufsichtigt war, hatte Meg das Stück Fleisch aus der Kühltruhe in der Küche entwendet. Aus langjähriger Erfahrung wußte sie genau, wo sie nachsehen mußte und wie sie ihre Beute, in einen alten Putzlappen eingehüllt, unbemerkt bis zum Waschraum schaffen konnte. Dort, hinter einer verriegelten Tür vor Entdeckung geschützt, befestigte sie das Steak mit Heftpflaster. Obwohl sie fast eine Stunde lang mit ihrer kalten, klammen Last herumlaufen mußte, nahm sie die Unbequemlichkeit gern in Kauf, im Bewußtsein, daß sie unbefangen am Hausdetektiv vorbeimarschieren konnte, der den Personaleingang überwachte und ausgehende Päckchen und angeschwollene Taschen mißtrauisch untersuchte. Dies von ihr selbst ersonnene Verfahren war, wie sie schon oft zuvor erprobt hatte, absolut narrensicher.
Zwei Stockwerke über Meg, hinter einer unmarkierten, gut versperrten Tür im Zwischengeschoß, legte eine Telefonistin ihr Strickzeug beiseite und erledigte den ersten morgendlichen Weckruf. Die Telefonistin war Mrs. Eunice Ball, Witwe, Großmutter und Seniorin der drei Frauen, die heute die Frühschicht hatten. Zwischen halb sechs und sieben Uhr würde das Trio in der Zentrale vereinzelt weitere Gäste wecken, deren Anweisungen vom Abend zuvor, auf Karten vermerkt und nach Viertelstunden geordnet, sich in Reichweite in einem Karteifach befanden. Nach sieben Uhr würde sich das Tempo erhöhen.
Mit geübten Fingern blätterte Mrs. Ball die Karten durch. Sie stellte fest, daß sieben Uhr 45, wo fast hundertachtzig Anrufe fällig waren, wie immer der kritische Zeitpunkt war. Selbst bei größter Schnelligkeit würden die drei Telefonistinnen das Pensum kaum in weniger als zwanzig Minuten bewältigen, was bedeutete, daß sie früh, und zwar um 7 Uhr 35, beginnen mußten - sofern sie rechtzeitig mit den Anrufen um halb acht fertig geworden waren -, bis fünf vor acht zu tun haben und damit in das Acht-Uhr-Pensum hineingeraten würden.
Mrs. Ball seufzte. Heute war es unvermeidlich, daß sich Gäste bei der Geschäftsleitung beschwerten, weil angeblich irgendeine stupide, vorm Klappenschrank eingedöste Telefonistin sie entweder zu früh oder zu spät geweckt hatte.
Die Frühschicht hatte aber auch ihre Vorteile. Wenige Gäste waren zu so früher Stunde zum Reden aufgelegt oder hatten verliebte Anwandlungen, wie es nachts manchmal der Fall war -daher auch die unmarkierte versperrte Tür. Außerdem traf um acht Uhr die Tagschicht ein - fünfzehn insgesamt zur Hauptgeschäftszeit -, und die drei von der Frühschicht würden um neun glücklich zu Haus sein und im Bett liegen.
Wieder war ein Weckruf fällig. Mrs. Ball steckte einen Stöpsel ein, betätigte den Umschalter, und irgendwo weit entfernt schlug ein Telefon schrill an.
Zwei Stockwerke unter der Straße im Maschinenkontrollraum legte Wallace Santopadre, dritter Ingenieur, eine Taschenbuchausgabe von Toynbees Werk »Die Griechische Kultur« beiseite und verspeiste ein Erdnußbutterbrot, an dem er in Etappen herumgekaut hatte. In der letzten Stunde war alles ruhig gewesen, und er hatte zwischendurch gelesen. Nun war es Zeit für den letzten Rundgang. Als er die Tür zum Maschinenraum öffnete, empfing ihn das Summen der Motoren.
Er überprüfte die Heißwasseranlage und stellte einen Temperaturanstieg fest, womit sich erwies, daß der Thermostat seine Pflicht tat. Für den unmittelbar bevorstehenden Zeitraum, in dem der Verbrauch am stärksten war, weil an die achthundert Menschen möglicherweise alle gleichzeitig baden oder duschen wollten, war genügend Heißwasser vorhanden.
Die umfangreiche Klimaanlage - eine Spezialmaschine von riesigem Gewicht - lief wegen des nächtlichen Absinkens der Außentemperatur viel ruhiger. Die Abkühlung der Luft hatte es ermöglicht, einen Kompressor auszuschalten, und indem man auch die anderen abwechselnd entlastete, konnten Reparaturen, die während der Hitzewelle der letzten Wochen verschoben werden mußten, endlich ausgeführt werden. Der Chefingenieur würde sich darüber freuen, dachte Wallace Santopadre.
Der alte Mann würde allerdings nicht so beglückt sein über die Nachricht, daß in der Nacht - gegen zwei Uhr - elf Minuten lang der Strom ausgefallen war, vermutlich infolge des Unwetters im Norden.