Mrs. Schulder verstummte. »Gehen Sie nach Haus«, sagte sie gereizt zu dem Arbeiter, der sie mit aufgerissenem Mund anstarrte. »Den ersten Ärger hab' ich weg, und Sie sind schuld dran.«
Ein Glück, daß sie den Packen abgefangen hatte, bevor er im Wasser landete, dachte sie, als der Mann abgezogen war. Sobald Kugelschreibertinte erst einmal naß geworden war, konnte man das Tischtuch praktisch abschreiben, denn gegen solche Flecken half kein Mittel, außer Dynamit. So würde sich Nellie die Expertin im Fleckenentfernen - heute mit Tetrachlorkohlenstoff an die Arbeit machen, und wenn sie Glück hatten, würden sie den größten Teil des Packens retten. Aber auch dann - dachte Mrs. Schulder grimmig - hätte sie gern ein Wörtlein mit den Schmierfinken gesprochen, die all die Scherereien verursacht hatten.
Und so lief überall im ganzen Hotel der Betrieb an. Vor und hinter den Kulissen - in der Wirtschaftsabteilung, den Büros, der Schreinerei, Bäckerei, Druckerei, Installation, im Einkauf, in der Innendekoration, der Magazinverwaltung, der Fernsehreparaturwerkstatt - begann ein neuer Tag.
2
In seiner privaten Sechs-Zimmer-Suite in der fünfzehnten Etage stieg Warren Trent von dem Friseursessel, in dem Aloysius Royce ihn rasiert hatte. Ein stechendes Zucken seines Ischiasnervs in der linken Hüfte gemahnte ihn daran, daß er wieder einen jener Tage vor sich hatte, an denen er sein reizbares Temperament würde zügeln müssen. Der private Friseursalon befand sich neben einem geräumigen Bad, das außer einem Dampfkabinett und einem in den Boden eingelassenen Becken im japanischen Stil auch ein eingebautes Aquarium enthielt, in dem tropische Fische mit Glotzaugen durch lamelliertes Glas starrten. Warren Trent schritt steifbeinig ins Bad und blieb vor einem wandbreiten Spiegel stehen, um die Rasur zu begutachten. Er fand nichts an ihr auszusetzen, während er sein Spiegelbild einer gründlichen Musterung unterzog.
Es zeigte ihm ein tief gefurchtes und zerklüftetes Gesicht, einen schlaffen Mund mit einem Anflug von Humor, eine schnabelförmige Nase und tiefliegende Augen, deren undurchdringlicher Blick kein Geheimnis preisgab. Sein früher kohlschwarzes Haar war nun weiß, dicht und noch immer gelockt. Ein Eckkragen mit sorgfältig geknüpfter Krawatte vervollständigte das Portrait eines vornehmen Gentlemans aus den Südstaaten.
Zu jeder anderen Zeit hätte ihm seine peinlich gepflegte Erscheinung Freude gemacht. Aber heute verdunkelte die niedergedrückte Stimmung, die ihn in den letzten Wochen überkommen hatte, alles andere. Heute war also Dienstag. In dieser endgültig letzten Woche zählte er die Tage - vier Tage, um zu verhindern, daß sich sein Lebenswerk in Nichts auflöste.
Mit einem ärgerlichen Stirnrunzeln über seine trübseligen Gedanken humpelte der Hotelbesitzer in das Eßzimmer, wo Aloysius Royce den Frühstückstisch gedeckt hatte. Neben dem langen Eichenholztisch mit dem gestärkten Leinenzeug und dem blinkenden Tafelsilber stand ein Servierwagen mit Warmhalteplatten, der vor wenigen Sekunden im Eiltempo aus der Hotelküche heraufgebracht worden war. Warren Trent sank schwerfällig in den Sessel, den Royce zurückgeschoben hatte, und wies dann mit der Hand auf den gegenüberliegenden Platz. Der junge Neger legte unverzüglich ein zweites Gedeck auf und setzte sich. Auf dem Servierwagen stand ein zweites Frühstück bereit, für jene Gelegenheiten, wenn der alte Mann aus einer Laune heraus von seiner Gewohnheit, allein zu frühstücken, abging.
Während er die zwei Portionen Rührei mit kanadischem Schinken und Maismehlgrütze servierte, blieb Royce stumm, da er wußte, daß sein Arbeitgeber das Gespräch eröffnen würde, wenn er dazu bereit war. Bisher hatte er sich weder zu Royces zerschundenem Gesicht noch zu den zwei Heftpflastern geäußert, die die ärgsten Spuren der nächtlichen Auseinandersetzung verdeckten. Schließlich schob Warren Trent seinen Teller zurück und bemerkte: »Halten Sie sich ordentlich ran. Für uns beide dürfte damit bald Schluß sein.«
Royce fragte: »Die Bankleute haben also ihre Meinung über eine Erneuerung des Kredits nicht geändert?«
»Nein, und sie werden sie auch nicht ändern.« Der alte Mann schlug plötzlich mit der Faust auf den Tisch. »Verflucht noch mal! - und es hat eine Zeit gegeben, wo sie nach meiner Pfeife tanzten und nicht ich nach ihrer. Damals rannten sie mir die Bude ein - Banken, Kreditgesellschaften und all die anderen -und drängten mir ihr Geld förmlich auf.«
»Die Zeiten ändern sich für uns alle.« Aloysius Royce schenkte Kaffee ein. »Manches wird besser, anderes schlechter.«
»Für Sie ist's leicht«, sagte Warren Trent grämlich. »Sie sind jung. Sie müssen nicht fast am Ende Ihres Lebens mit ansehen, wie alles, wofür Sie gearbeitet haben, auseinanderfällt.«
So weit war es mit ihm gekommen, dachte er resigniert. Heute in vier Tagen - am Freitag vor Geschäftsschluß - wurde eine zwanzig Jahre alte Hypothek auf das Hotelgrundstück fällig, und die Finanzierungsgesellschaft, deren Schuldner er war, hatte es abgelehnt, die Hypothek zu erneuern. Als er von der Entscheidung erfuhr, war er zunächst überrascht, aber nicht beunruhigt gewesen. Eine ganze Reihe anderer Geldgeber würde nur zu gern einspringen - zweifellos zu einem höheren Zinssatz -, aber, wie immer ihre Bedingungen lauten mochten, sie würden jedenfalls die erforderlichen zwei Millionen Dollar zur Verfügung stellen. Erst, als er überall - von Banken, Kreditgesellschaften, Versicherungsgesellschaften und privaten Geldgebern - abschlägig beschieden wurde, begann seine ursprüngliche Zuversicht zu schwinden. Ein Bankier, den er gut kannte, gab ihm den aufrichtigen Rat: »Hotels wie deine sind nicht mehr gefragt, Warren. Eine Menge Leute sind der Ansicht, daß die Zeit der großen Unabhängigen vorbei ist und daß heutzutage nur noch die Hotelkonzerne einen vernünftigen Profit herauswirtschaften können. Sieh dir doch deine Bilanz mal an. Du hast ständig Geld verloren. Wie kannst du erwarten, daß Kreditgeber sich auf ein solches Risiko einlassen?«
Sein Einwand, daß es sich um eine vorübergehende Krise handele und daß die Bilanz bei besserem Geschäftsgang aus dem Bereich der roten Zahlen herauskommen würde, machte keinen Eindruck. Man glaubte ihm einfach nicht.
In dieser auswegslosen Situation hatte Curtis O'Keefe angerufen und für diese Woche eine Zusammenkunft in New Orleans vorgeschlagen. »Mir geht es wirklich nur um ein freundschaftliches Gespräch, Warren«, hatte der Hotelmagnat in seinem ungezwungenen, schleppenden texanischen Tonfall erklärt. »Schließlich sind wir zwei ein Paar bejahrter Gastwirte. Wir sollten einander öfter sehen.« Aber Warren Trent ließ sich von den glatten Worten nicht täuschen; der O'Keefe-Konzern hatte ihm schon früher Offerten gemacht. Die Aasgeier versammeln sich, dachte er. Curtis O'Keefe würde heute eintreffen, und zweifellos war er über die finanziellen Nöte des St. Gregory genauestens unterrichtet.
Mit einem unterdrückten Seufzer wandte sich Warren Trent näherliegenden Problemen zu. »Sie sind im Nachtbericht genannt«, sagte er zu Aloysius Royce.
»Ich weiß. Ich habe ihn gelesen.« Er hatte den Bericht, als er frühzeitig wie immer abgegeben wurde, überflogen und darin folgende Notiz entdeckt: »Beschwerden über starken Lärm in Zimmer 1126, und darunter in Peter McDermotts Handschrift: »Wurde erledigt von A. Royce und P. McD. Ausführlicher Bericht folgt.«
»Nächstens werden Sie vermutlich auch noch meine private Post lesen«, knurrte Warren Trent.
Royce grinste. »Bisher hab' ich's nicht getan. Möchten Sie denn, daß ich sie lese?«
Frage und Antwort gehörten zu einem Gesellschaftsspiel, das sie miteinander spielten, ohne es sich einzugestehen. Royce wußte ganz genau, daß der alte Mann, falls er es unterlassen hätte, den Bericht zu lesen, ihm mangelndes Interesse an den Hotelangelegenheiten vorgeworfen hätte.