»Ich wollte mir doch immer diese Füllung machen lassen. Vielleicht kann ich jetzt... «
»Die Leute sind hier, weil sie ausnahmsweise mal ihre eigenen Schnauzen aufmachen wollen und nicht die von anderen Leuten.«
Dodo machte ein verwirrtes Gesicht, wie so oft, als wären die Geschehnisse um sie herum etwas, das sie eigentlich begreifen müßte, aber irgendwie nicht begreifen konnte. Einer von O'Keefes leitenden Angestellten, der nicht ahnte, daß sein Boß zuhörte, hatte unlängst über Dodo geäußert: »Ihr Grips sitzt im Ausschnitt; leider kann er sich da nicht äußern, er ist zu gut gepolstert.«
O'Keefe wußte, daß einige seiner Bekannten sich verwundert fragten, warum er ausgerechnet Dodo zu seiner Reisegefährtin gemacht hatte, obwohl er bei seinem Reichtum und Einfluß so ziemlich jede Frau haben konnte, die er wollte. Wovon sie allenfalls etwas ahnten und was sie ganz bestimmt unterschätzten, war Dodos wilde Sinnlichkeit, die sie je nach Wunsch aufdrehen oder zuvorkommenderweise auf kleinem Feuer am Kochen halten konnte. Ihre Einfalt und ihre häufigen Taktlosigkeiten, die andere zu stören schienen, erheiterten ihn nur, vielleicht, weil er zuzeiten der klugen Köpfe in seiner Umgebung überdrüssig war, die stets danach strebten, mit seinem Scharfsinn Schritt zu halten.
Er nahm jedoch an, daß er demnächst auf Dodo verzichten würde. Seit beinahe einem Jahr - länger als die meisten anderen vor ihr - war sie eine Art Fixstern an seinem Himmel. In Hollywood gab es noch eine Menge kleiner Sternchen, die nur auf einen freundlichen Wink warteten. Natürlich würde er Dodo versorgen, würde seinen weitreichenden Einfluß benutzen, um ihr ein oder zwei gute Rollen beim Film zu verschaffen, und wer weiß, vielleicht wurde sie sogar ein Star. Den Körper und das Gesicht dazu hatte sie. Andere hatten es mit diesen nützlichen Attributen weit gebracht.
Der Empfangschef kam zum Schalter zurück. »Es ist alles bereit, Sir.«
Curtis O'Keefe nickte. Dann setzte sich die kleine Prozession, angeführt von Herbie Chandler, der sich schleunigst eingefunden hatte, in Bewegung und marschierte zum wartenden Lift hinüber.
6
Kurz nachdem Curtis O'Keefe und Dodo ihre Suiten bezogen hatten, nahm Julius »Keycase« Milne ein Einzelzimmer.
Keycase rief um zehn Uhr 45 im St. Gregory an und benutzte dazu die direkte Leitung vom Moisant-Flughafen zum Hotel (Telefonieren Sie kostenlos mit New Orleans' feinstem Hotel). Als er um die Bestätigung einer Reservierung bat, die er vor einigen Tagen von außerhalb getätigt hatte, wurde ihm versichert, mit der Vorbestellung sei alles in Ordnung, und falls er sich gütigst auf schnellstem Weg in die Stadt aufmachen würde, könne man ihn sofort unterbringen.
Da sein Entschluß, im St. Gregory abzusteigen, erst einige Minuten alt war, hatte sich Keycase über die Mitteilung gefreut, wenn sie ihn auch nicht überraschte, denn er hatte sich vorsichtshalber in sämtlichen größeren Hotels von New Orleans angemeldet, und zwar in jedem unter einem anderen Namen. Im St. Gregory hatte er sich als »Byron Meader« angemeldet, ein Name, den er einer Zeitung entnommen hatte, weil der rechtmäßige Eigentümer beim Toto einen beträchtlichen Gewinn eingestrichen hatte. Dies schien ihm von guter Vorbedeutung zu sein, und auf Vorzeichen gab Keycase sehr viel.
Sie schienen ihm bei mehreren Gelegenheiten tatsächlich Glück gebracht zu haben. So war zum Beispiel bei seinem letzten Gastspiel vor Gericht und gleich nach seinem Schuldgeständnis ein Sonnenstrahl schräg über den Richtertisch gefallen, und der Urteilsspruch, der kurz darauf erging, verdonnerte Keycase zu milden drei Jährchen, während er mit mindestens fünf gerechnet hatte. Auch die Serie von Jobs, die ihn dann schließlich ins Gefängnis brachte, hatte sich zunächst über Erwarten gut abgewickelt. Bei seinen nächtlichen Besuchen in mehreren Detroiter Hotelzimmern war alles glatt gegangen. Wie er vermutete, hauptsächlich deshalb, weil alle Zimmernummern außer der letzten seine Glückszahl, eine Zwei, enthielten. In diesem Raum schließlich, dem die ermutigende Ziffer fehlte, erwachte die Bewohnerin und schrie gellend auf, gerade, als Keycase ihren Nerzmantel in einen Koffer stopfte, nachdem er bereits ihren Schmuck und ihr Bargeld in einer seiner besonders geräumigen Manteltaschen verstaut hatte.
Vielleicht infolge der unheilvollen Nummernsituation wollte es das Pech, daß sich ein Hausdetektiv in Hörweite der Hilferufe befand und prompt darauf reagierte. Keycase, ein Philosoph, fügte sich mit Grazie ins Unvermeidliche und verzichtete sogar auf jede Ausrede, obwohl ihm seine erfindungsreichen Erklärungen schon manchmal gute Dienste geleistet hatten. Bei der Tat ertappt zu werden, war jedoch ein Risiko, das jeder Dieb und auch ein so erfahrener Spezialist wie Keycase in Kauf nehmen mußte. Aber nun, nachdem er wegen guter Führung vorzeitig entlassen worden war und auch schon einen zehntägigen erfolgreichen Beutezug in Kansas City hinter sich hatte, freute er sich auf zwei einträgliche Wochen in New Orleans.
Der Start war vielversprechend.
Kurz vor halb acht war er auf dem Moisant-Flughafen eingetroffen, nach kurzer Fahrt von dem Chef Menteur Highway aus, wo er die vergangene Nacht in einem billigen Motel verbracht hatte. Es war ein prächtiges modernes Flughafengebäude, dachte Keycase, mit viel Glas und Chrom und zahllosen Papierkörben, die für seine Zwecke besonders wichtig waren.
Auf einer Tafel las er, daß der Flughafen nach John Moisant benannt worden war, einem Bürger von New Orleans und Flugpionier, und stellte dabei frohlockend fest, daß die Anfangsbuchstaben des Namens mit seinen eigenen Initialen übereinstimmten, was auch ein günstiges Omen sein konnte. Er fand, daß es genau die Sorte Flugplatz war, auf der er selbst gern in einer Düsenmaschine landen würde. Vielleicht konnte er sich diesen Luxus bald leisten, falls die Dinge weiterhin so glatt liefen wie vor seinem letzten Gefängnisaufenthalt, der ihn eine Weile aus der Übung gebracht hatte. Aber er hatte fast wieder seine alte Form erreicht, auch wenn er heute manchmal zögerte, wo er früher kühl zugepackt hätte.
Aber das war natürlich und hatte seinen Grund. Er wußte, daß er diesmal, falls er wieder gefaßt wurde, mit zehn bis fünfzehn Jahren rechnen mußte. Die Strafe würde nicht leicht zu verkraften sein. Mit zweiundfünfzig hatte man nicht mehr viel Zeit zu verschwenden.
Während er unauffällig durchs Flughafengebäude schlenderte - für den Betrachter eine adrette gut gekleidete Gestalt mit einer zusammengefalteten Zeitung unter dem Arm -, hielt Keycase seine Augen sorgsam offen. Von der äußeren Erscheinung her wirkte er entspannt und zuversichtlich wie ein wohlhabender Geschäftsmann. Nur seine Augen waren unausgesetzt in Bewegung und nahmen die Reisenden scharf aufs Korn, die ihre Hotels frühzeitig verlassen hatten und in Bussen und Taxis vor dem Flughafengebäude anlangten. Der Strom riß nicht ab. Es war der erste Massenaufbruch des Tages nach dem Norden, und er war um so stärker, als United, National, Eastern und Delta mit planmäßigen Düsenmaschinen nach New York, Washington, Chikago, Miami und Los Angeles starteten.
Zweimal erspähte er das, worauf er wartete, und beide Male blieb es im Ansatz stecken. Zwei Männer stießen, als sie in die Tasche griffen, um Flugschein oder Kleingeld herauszuholen, auf ihren Hotelzimmerschlüssel, den sie versehentlich eingesteckt hatten. Der erste beherzigte den Rat auf dem Plastikanhänger des Schlüssels, machte sich auf die Suche nach einem Briefkasten und warf ihn ein. Der andere übergab ihn einem Angestellten am Flugscheinschalter, und der deponierte ihn im Geldfach, um ihn bei nächster Gelegenheit dem Hotel zuzustellen.
Beide Zwischenfälle waren enttäuschend, aber für Keycase eine alte Erfahrung. Er blieb weiter auf dem Posten. Er war ein geduldiger Mann und wußte, daß er nicht umsonst warten würde.
Zehn Minuten später wurde seine Wachsamkeit belohnt.
Ein Mann mit frischem rotem Gesicht und beginnender Glatze, der einen Mantel, eine pralle Flugtasche und eine Kamera trug, blieb auf dem Weg zur Abflugrampe stehen, um sich eine Illustrierte zu kaufen. Am Zeitungsstand entdeckte er in seiner Rocktasche einen Hotelschlüssel und stieß einen verärgerten Ruf aus. Seine Frau, eine dünne freundliche Person, machte ihm leise einen Vorschlag, den er mit einem barschen »Dazu haben wir keine Zeit mehr!« beantwortete. Keycase, dem kein Wort entgangen war, heftete sich an ihre Fersen. Tatsächlich! Als sie an einem Abfallkorb vorbeikamen, warf der Mann den Schlüssel hinein.