Beide schienen stillschweigend übereingekommen zu sein, ihren nächtlichen Streit nicht mehr zu erwähnen.
Der Herzog nahm seinen Marsch durchs Zimmer wieder auf. »Das einzige, womit wir das erreichen können, wäre eine Verlautbarung, die meine Berufung nach Washington bestätigt.«
»Richtig.«
»So was kann man nicht übers Knie brechen. Wenn Hal merkt, daß man ihn antreibt, jagt er das Dach von Downing Street in die Luft. Die ganze Sache ist sowieso verflucht heikel -
«
»Sie kann viel peinlicher werden, falls -«
»Als ob ich das nicht selbst wüßte, zum Teufel noch mal! Du kannst mir glauben, ich hab' schon ein paarmal gedacht, wir könnten ebensogut gleich aufgeben!« Die Stimme des Herzogs klang leicht hysterisch. Er zündete sich mit zitternder Hand eine Zigarette an.
»Wir geben nicht auf! « Im Gegensatz zu ihrem Mann sprach die Herzogin in trockenem, geschäftsmäßigem Ton. »Sogar Premierminister reagieren auf Druck, wenn er von der richtigen Seite kommt. Hal ist keine Ausnahme. Ich rufe London an.«
»Warum?«
»Ich will mit Geoffrey sprechen und ihn bitten, sein möglichstes zu tun, um deine Ernennung zu beschleunigen.«
Der Herzog schüttelte zweifelnd den Kopf, ohne jedoch den Vorschlag gänzlich von der Hand zu weisen. Er hatte zu oft erlebt, über welch bemerkens werten Einfluß die Familie seiner Frau verfügte. Dennoch sagte er warnend: »Wir vernageln uns damit vielleicht unsere eigenen Geschütze, altes Mädchen.«
»Nicht unbedingt. Geoffrey versteht sich auf sanfte Gewalt, wenn er will. Außerdem, wenn wir hier herumsitzen und warten, schaden wir uns womöglich noch mehr.« Die Herzogin griff nach dem Hörer des Telefons neben ihrem Bett und sagte zu dem Mädchen in der Zentrale: »Ich möchte ein Gespräch mit London..., Lord Selwyn.« Sie gab eine Nummer in Mayfair an.
Der Anruf kam nach zwanzig Minuten durch. Als die Herzogin ihr Anliegen vorgebracht hatte, zeigte sich ihr Bruder, Lord Selwyn, wenig begeistert. Der Herzog konnte das tiefe protestierende Organ seines Schwagers, das die Membran im Telefon zum Schwingen brachte, quer durch die ganze Breite des Schlafzimmers hören. »Herrje, Sis, damit scheuchst du womöglich ein ganzes Vipernnest auf. Was soll's also? Ich will dir lieber gleich sagen, daß Simons Berufung nach Washington im Moment nicht genehm ist. Ein paar von den Burschen im Kabinett halten ihn jetzt nicht für den richtigen Mann. Nicht daß ich ihnen etwa beipflichte, aber es hat keinen Zweck, sich was vorzumachen, stimmt's?«
»Falls wir gar nichts unternehmen, wie lange müßten wir dann auf eine Entscheidung warten?«
»Schwer zu sagen, altes Mädchen. Aber nach dem, was ich gehört habe, kann's noch Wochen dauern.«
»So lange können wir einfach nicht warten. Ich versichere dir, Geoffrey, es wäre ein entsetzlicher Fehler, wenn wir nicht jetzt auf der Stelle etwas unternehmen.«
»Das leuchtet mir nicht ein«, sagte ihr Bruder gereizt.
Ihr Ton wurde schärfer. »Ich bitte dich nicht nur unseretwegen, sondern auch um der Familie willen. Darauf gebe ich dir mein Wort.«
Am anderen Ende blieb es eine Weile still, und dann ertönte die vorsichtige Frage: »Ist Simon bei dir?«
»Ja.«
»Was steckt hinter alledem? Hat er wieder was angestellt?«
»Selbst, wenn es eine Antwort darauf gäbe, wäre ich kaum so töricht, sie am Telefon auszuposaunen«, erwiderte die Herzogin von Croydon.
Wieder gab es eine kurze Pause, und dann rang sich Lord Selwyn widerwillig das Zugeständnis ab: »Na ja, im allgemeinen weißt du, was du tust, das muß ich sagen.«
Die Herzogin suchte den Blick ihres Mannes und nickte ihm fast unmerklich zu. Dann fragte sie ihren Bruder: »Soll das heißen, daß du tun wirst, worum ich dich bitte?«
»Die Sache gefällt mir nicht, Sis. Sie gefällt mir ganz und gar nicht.« Er verstummte und fügte dann mürrisch hinzu: »Schön, ich werde sehen, was sich machen läßt.«
Kaum hatte die Herzogin den Hörer aufgelegt, als der Apparat erneut läutete. Beide Croydons zuckten zusammen, und der Herzog fuhr sich nervös mit der Zunge über die Lippen. Als seine Frau sich meldete, lauschte er angespannt.
»Ja?«
Eine flache, nasale Stimme fragte: »Herzogin von Croydon?«
»Am Apparat.«
»Ogilvie. Hausdetektiv.« Man hörte ein kräftiges Schnauben, und dann verstummte der Anrufer, als wollte er der Herzogin Zeit geben, die Information zu verdauen.
Die Herzogin wartete. Als nichts weiter erfolgte, fragte sie scharf: »Was wollen Sie?«
»Ein Gespräch unter vier Augen. Mit Ihrem Gatten und Ihnen.« Es war keine Bitte, sondern eine sachliche Feststellung.
»Falls es sich um eine Hotelangelegenheit handelt, befinden Sie sich, fürchte ich, in einem Irrtum. Solche Dinge besprechen wir grundsätzlich nur mit Mr. Trent.«
»Wie Sie wollen. Nur werden Sie's diesmal bereuen.« Aus der kalten unverschämten Stimme klang unmißverständliche Zuversicht. Die Herzogin zögerte und stellte dabei fest, daß ihre Hände zitterten.
Sie zwang sich zu der Antwort: »Ihr Besuch kommt uns ungelegen.«
»Wann?« Wieder eine lange Pause, die nur von einem gelegentlichen Schnauben unterbrochen wurde.
Was immer dieser Mann auch wußte oder von ihnen wollte, er verstand sich jedenfalls darauf, einen psychologischen Vorteil wahrzunehmen.
»Später vielleicht«, entgegnete sie.
»In einer Stunde bin ich bei Ihnen«, erklärte der Mann noch immer in demselben leidenschaftslosen kühlen Ton.
»Aber dann sind wir -«
Ihr Protest wurde durch ein gedämpftes Klicken abgeschnitten, als der unbekannte Anrufer auflegte.
»Wer war das? Was wollte er?« Der Herzog machte einen Schritt auf sie zu. Sein hageres Gesicht war verkrampft und totenbleich.
Die Herzogin schloß einen Moment lang die Augen. Sie sehnte sich verzweifelt danach, wenigstens einmal von ihrer Führerrolle und der Verantwortung für sie beide erlöst zu werden; jemanden neben sich zu haben, der ihr die Last der Entscheidung abnahm. Aber sie wußte, daß die Hoffnung vergeblich war; solange sie denken konnte, war sie vergeblich gewesen. Wenn man mit einem Charakter geboren wurde, vor dem sich alle Menschen in ihrer Umgebung beugten, gab es kein Entkommen. Sogar in ihrer eigenen Familie, die über ein gerütteltes Maß an Willensstärke verfügte, richteten sich alle instinktiv nach ihr, folgten ihrem Rat, erkannten neidlos ihre Überlegenheit an. Selbst Geoffrey, der so begabt und dabei so halsstarrig war, ließ sich schließlich stets von ihr umstimmen -so wie vorhin. Der Moment der Schwäche entschwand, und sie wandte sich entschlossen der Wirklichkeit zu.
»Es war ein Hoteldetektiv. Er will uns in einer Stunde aufsuchen.«
»Dann weiß er es also! Mein Gott - er weiß alles!«
»Auf jeden Fall ahnt er etwas. Er sagte aber nicht, was.«
Der Herzog richtete sich plötzlich auf, hob den Kopf, straffte die Schultern. Seine Hände hörten auf zu zittern, sein Mund bekam einen festen Zug. Er machte die gleiche Wandlung durch wie in der Nacht zuvor. »Es würde unsere Lage erleichtern -selbst jetzt noch - wenn ich mich stelle - wenn ich zugebe -«
»Nein!« Die Augen seiner Frau funkelten. »So versteh doch endlich! Nichts, aber auch gar nichts, was du unternehmen könntest, würde unsere Lage auch nur im mindesten verbessern!« Schweigen breitete sich zwischen ihnen aus, dann fügte die Herzogin grübelnd hinzu: »Wir werden nichts tun. Wir werden auf diesen Mann warten und sehen, was er weiß und was er vorhat.«
Einen Moment lang hatte es den Anschein, als wollte der Herzog widersprechen. Dann nickte er unlustig. Er hüllte sich enger in den scharlachroten Morgenmantel, tappte in den angrenzenden Raum hinüber und kam wenige Minuten später mit zwei Gläsern puren Whiskys zurück. Als er seiner Frau das eine hinhielt, sagte sie abwehrend: »Du weißt doch, so früh trinke ich nie -«