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»Schon gut. Du kannst's gebrauchen.« Mit einer Fürsorglichkeit, die sie von ihm nicht gewöhnt war, drückte er ihr das Glas in die Hand.

Überrascht und nachgiebig nahm sie es und trank einen Schluck. Der unverdünnte Alkohol brannte in ihrer Kehle, raubte ihr den Atem und durchdrang sie gleich danach mit einer tröstlichen Wärme.

9

»So schlimm kann's doch nicht sein!«

An ihrem Schreibtisch im äußeren Büro der Direktorensuite brütete Christine Francis stirnrunzelnd über einem Brief, den sie in der Hand hielt. Nun blickte sie auf und sah Peter McDermotts fröhliches derbes Gesicht zur Tür hereinspähen.

Ihre Miene erhellte sich. »Schlimm? Es ist ein neuer Schuß aus dem Hinterhalt. Aber bei dem vielen Ärger, den wir so schon haben, kann uns einer mehr eigentlich egal sein.«

»So gefallen Sie mir.« Peter schob seine riesige Gestalt durch die Tür.

Christine musterte ihn anerkennend. »Dafür, daß Sie sehr wenig Schlaf gehabt haben, machen Sie einen erstaunlich munteren Eindruck.«

Er grinste. »Ich hatte heute früh eine Unterredung mit Ihrem Boß. Sie wirkte wie eine kalte Dusche. Ist er noch nicht unten?«

Sie schüttelte den Kopf und blickte dann auf den Brief, den sie gerade gelesen hatte. »Ich fürchte, das hier wird ihm nicht gefallen, wenn er herunterkommt.«

»Ist es ein Geheimnis?«

»Ich glaube nicht. Außerdem geht es Sie ganz besonders an.«

Peter setzte sich dem Schreibtisch gegenüber in einen Ledersessel.

»Sie erinnern sich doch sicher noch an den Mann«, sagte Christine, »dem auf der Carondelet Street eine Flasche von oben auf den Kopf flog. Er wurde ziemlich bös zugerichtet.«

»Freilich.« Peter nickte. »Verdammtes Pech! Die Flasche wurde aus einem unserer Zimmer geworfen, das steht außer Frage. Aber wir konnten den Gast, der's getan hat, nicht ermitteln.«

»Was für eine Sorte Mensch war er... ich meine, der Mann, der verletzt wurde?«

»Netter kleiner Bursche, soweit ich mich erinnere. Ich sprach danach mit ihm, und wir bezahlten die Krankenhauskosten. Unsere Anwälte wiesen aber in einem Brief eigens darauf hin, daß es sich dabei um eine reine Gefälligkeit unsererseits handelte und daß wir für den Unfall nicht haftbar gemacht werden könnten.«

»Die freundliche Geste hat nicht gewirkt. Er will das Hotel auf zehntausend Dollar Schadenersatz verklagen. Er macht Schock, Körperverletzung und Verdienstausfall geltend und behauptet, wir wären fahrlässig gewesen.«

»Er wird nicht einen Cent kassieren«, erklärte Peter bestimmt. »In gewisser Weise ist das wohl nicht ganz fair, aber er hat nicht die geringste Chance, damit durchzukommen.«

»Woher können Sie das so genau wissen?«

»Weil es eine Menge Gerichtsentscheidungen gibt, in denen es um die gleiche Sache geht. Verteidiger brauchen bloß auf diese Präzedenzfälle zurückgreifen und sie vor Gericht zu zitieren.«

»Und das genügt, um eine Entscheidung durchzusetzen?«

»Im allgemeinen ja«, versicherte er. »Die Rechtsprechung auf diesem Gebiet ist schon seit Jahren ziemlich einheitlich. Da gab es beispielsweise einen klassischen Fall in Pittsburgh - im William-Penn-Hotel. Ein Mann wurde von einer Flasche getroffen, die aus einem der Gästezimmer geworfen wurde und das Verdeck seines Wagens durchschlug. Er verklagte das Hotel.«

»Und er gewann den Prozeß nicht?«

»Nein, er verlor ihn in erster Instanz und legte Berufung beim Obersten Gerichtshof von Pennsylvania ein. Das wies ihn ab.«

»Warum?«

»Das Gericht sagte, kein Hotel wäre für die Handlungen seiner Gäste verantwortlich. Als einzige Ausnahme könnte man eventuell gelten lassen, wenn einer der leitenden Angestellten, sagen wir, der Hoteldirektor, im voraus von der Attacke Kenntnis hatte und nichts unternahm, um sie zu verhindern.« Peter kramte in seinem Gedächtnis und runzelte vor lauter Anstrengung die Stirn. »Dann war da noch ein Fall - in Kansas City, glaube ich. Einige Kongreßteilnehmer ließen mit Wasser gefüllte Wäschesäcke aus ihren Fenstern auf die Straße plumpsen. Als die Säcke barsten, stoben die Leute auf dem Gehsteig auseinander, und dabei wurde ein Passant unter einen fahrenden Wagen gestoßen. Er wurde schwer verletzt. Später verklagte er das Hotel, kam aber auch nicht damit durch. Es gibt noch eine Menge anderer Gerichtsentscheidungen - im Wortlaut sind sie alle ziemlich gleich.«

»Woher wissen Sie das alles?« fragte Christine neugierig.

»Unter anderem habe ich in Cornell auch Vorlesungen über Hotelrecht gehört.«

»Na, ich finde, das alles klingt gräßlich unfair.«

»Es ist hart für die Betroffenen, aber fair dem Hotel gegenüber. Im Grunde müßte natürlich der Schuldige zur Rechenschaft gezogen werden. Der Haken dabei ist bloß, daß es bei den vielen Fenstern zur Straße nahezu unmöglich ist, den Schuldigen zu finden. Und so rutschen sie meistens durch.«

Christine hatte aufmerksam zugehört, den Ellenbogen auf den Schreibtisch und das Kinn leicht in die Hand gestützt. Sonnenlicht sickerte durch die halb geschlossenen Jalousien herein und setzte ihr rotes Haar in Flammen. Im Moment kräuselte eine nachdenkliche verwirrte Falte ihre Stirn, und Peter ertappte sich bei dem Wunsch, sie sanft mit zwei Fingern wegzustreicheln.

»Ganz begriffen hab' ich das noch immer nicht«, sagte sie. »Wollen Sie im Ernst behaupten, daß kein Hotel für die Handlungen seiner Gäste gesetzlich verantwortlich ist - nicht mal für das, was ein Gast dem anderen antut?«

»Allerdings, zumindest auf dem Gebiet, über das wir eben gesprochen haben. Die Rechtsprechung ist da ganz eindeutig, und zwar schon seit langer Zeit. Tatsächlich geht ein Großteil unserer Gesetze auf die englischen Wirtshäuser zurück, beginnend mit dem 14. Jahrhundert.«

»Erzählen Sie mir davon.«

»Ich will Ihnen eine Kurzfassung geben. Es fängt damit an, daß die englischen Herbergen nur eine einzige große, von einem offenen Feuer erwärmte und beleuchtete Halle hatten, in der alle zusammen schliefen. In der Nacht war es Sache des Wirts seine Gäste vor Dieben und Mördern zu schützen.«

»Das klingt vernünftig.«

»Es war auch vernünftig. Und man erwartete das gleiche auch dann noch vom Wirt, als kleinere Schlafzimmer aufkamen, weil in ihnen stets mehrere Gäste untergebracht wurden - oder zumindest untergebracht werden konnten.«

»Wenn man's sich genau überlegt«, sagte Christine versonnen, »dann war das damals keine Zeit für Abgeschiedenheit und Einsamkeit.«

»Die Absonderung kam erst mit den Einzelzimmern, zu denen die Gäste Schlüssel hatten. Und von da an ging auch die Rechtsprechung von anderen Gesichtspunkten aus. Der Wirt war lediglich verpflichtet, seine Gäste vor Dieben und Einbrechern zu schützen. Aber darüber hinaus hatte er keine Verantwortung, und zwar weder für das, was ihnen in ihren Zimmern zustieß, noch für das, was sie da machten.«

»Mit dem Schlüssel änderte sich also alles.«

»Ja, und so wie damals ist's noch heute. In dem Punkt sind sich die Gesetze gleichgeblieben. Wenn wir einem Gast einen Schlüssel geben, ist das ein Rechtssymbol. Es bedeutet, daß der Wirt über den Raum nicht länger verfügen kann oder nicht noch jemanden dort einquartieren darf. Andererseits haftet das Hotel auch nicht für den Gast, sobald der die Tür seines Zimmers hinter sich geschlossen hat.« Er wies auf den Brief, den Christine beiseite gelegt hatte. »Deshalb müßte unser Freund da schon den Flaschenwerfer ausfindig machen und sich an ihn halten. Wenn er uns belangt, hat er keine Chance.«

»Ich ahnte nicht, daß Sie so ungeheuer viel darüber wissen.«