Links von O'Keefe, an der Schmalseite des Eichentisches, an dem sie das delikate aus fünf Gängen bestehende Dinner eingenommen hatten, präsidierte Warren Trent mit patriarchalischer Herzlichkeit: Ihm gegenüber rauchte Dodo, in einem hautengen schwarzen Abendkleid, eine Orientzigarette, die Royce ihr offeriert und angezündet hatte.
»Herrje«, sagte Dodo, »ich komm' mir vor wie genudelt.«
O'Keefe lächelte nachsichtig. »Das Essen war hervorragend, Warren. Übermitteln Sie bitte dem Küchenchef mein Kompliment.«
Der Besitzer des St. Gregory neigte artig den Kopf. »Er wird sich über das Lob freuen, vor allem, wenn er hört, von wem es kommt. Es wird Sie übrigens vielleicht interessieren, daß es heute abend in meinem Hauptrestaurant genau das gleiche Menu gab.«
Curtis O'Keefe nickte, aber er war nicht beeindruckt. Seiner Meinung nach war ein umfangreiches, ausgetüfteltes Menu in einem Hotelrestaurant ebensowenig am Platze wie Gänseleberpastete in einem Lunchkorb. Kam noch hinzu, daß er vorhin, zur Hauptessenszeit, einen Blick ins Restaurant des St. Gregory geworfen und festgestellt hatte, daß der weite gewölbte Saal nur zu einem Drittel besetzt war.
Im O'Keefe-Imperium war das Dinner standardisiert und umfaßte eine beschränkte Auswahl einfacher populärer Gerichte. Hinter dieser Geschäftstaktik stand Curtis O'Keefes Überzeugung, daß das Publikum erfahrungsgemäß beim Essen auf Abwechslung keinen Wert legte und höchst phantasielos war. In den Hotels des O'Keefe-Konzerns kamen Feinschmecker, obwohl die Speisen sorgfältig zubereitet und mit antiseptischer Reinlichkeit serviert wurden, nicht auf ihre Kosten; man betrachtete sie als eine überflüssige, unrentable Minorität.
»Es gibt heutzutage nicht mehr viele Hotels, die eine solche Küche führen«, bemerkte der Hotelmagnat. »Die meisten, die sie hatten, mußten sich den veränderten Verhältnissen anpassen.«
»Die meisten, aber nicht alle. Nicht jeder ist so fügsam, und warum sollte er auch?«
»Weil unser Geschäft eine Wandlung durchgemacht hat, Warren, das ist eine feststehende Tatsache, ob sie uns nun gefällt oder nicht. Die Zeiten individueller Gastlichkeit und Bedienung sind vorbei. Möglich, daß die Leute früher für solche Dinge was übrig hatten. Jetzt haben sie andere Bedürfnisse.«
Die Direktheit, mit der beide Männer sich äußerten, schien anzudeuten, daß mit beendeter Mahlzeit auch der Austausch höflicher Phrasen ein Ende hatte. Dodo blickte mit ihren babyblauen Augen neugierig von einem zum anderen wie ein Zuschauer, der irgendeine fast unverständliche Szene auf der Bühne verfolgt. Aloysius Royce hantierte, dem Trio den Rücken zuwendend, an einem Seitentisch.
»Bei manchen würden Sie mit Ihrer Ansicht auf Widerspruch stoßen«, sagte Warren Trent scharf.
O'Keefe betrachtete das glühende Ende seiner Zigarre. »Für alle, die mir nicht beipflichten, habe ich nur eine Antwort: meine Bilanz im Vergleich zu der anderer Hotels -beispielsweise der des St. Gregory.«
Trent errötete und preßte die Lippen zusammmen. »Beim St.
Gregory handelt es sich um eine temporäre Krise. Es ist nicht die erste, und sie wird vorübergehen wie alle anderen davor.«
»Nein. Wenn Sie das glauben, drehen Sie sich selbst den Strick. Und Sie haben sich etwas Besseres verdient, Warren -nach all den Jahren.«
Nach einer mürrischen Pause knurrte Trent: »Ich habe nicht mein ganzes Leben daran gewendet, ein erstklassiges Hotel aufzubauen, nur um mit anzusehen, wie es zu einem billigen Massenquartier absinkt.«
»Falls Sie meine Hotels damit meinen, so ist keins von ihnen ein billiges Massenquartier.« Nun lief O'Keefe vor Ärger rot an »Und ich bin mir gar nicht so sicher, ob das St. Gregory ein erstklassiges Haus ist.«
Das lastende feindselige Schweigen wurde von Dodo unterbrochen. »Wird das eine richtige Rauferei oder bloß eine mit Worten?« fragte sie.
Die zwei Männer lachten, Warren Trent allerdings ein wenig gezwungen. Curtis O'Keefe hob beschwichtigend beide Hände.
»Sie hat recht, Warren. Ein Streit zwischen uns ist sinnlos. Auch wenn wir weiterhin getrennte Wege gehen, können wir doch wenigstens Freunde bleiben.«
Warren Trent nickte, halb besänftigt. Schuld an seinem scharfen Ausfall war zum Teil sein Ischiasnerv, der ihn eben ganz besonders arg gezwickt hatte; der Schmerz war aber wieder abgeklungen. Als ob es nicht auch ohnedies schwer genug wäre, dachte er erbittert, sich nicht über diesen aalglatten, siegesbewußten Mann zu erbosen, dessen finanzielle Erfolge von den seinen so sehr abstachen.
»Das, was das Publikum heutzutage von einem Hotel erwartet, läßt sich in drei Worten zusammenfassen«, erklärte Curtis O'Keefe. »Ein leistungsfähiges, wirtschaftliches Programm. Wir können es aber nur liefern, wenn wir sämtliche Leistungen - unsere eigenen und die unserer Gäste - genau kalkulieren; dazu gehört ein rationeller Betrieb und vor allem ein Minimum an Gehältern, und das wiederum bedeutet Automation und Verzicht auf Personal und Gastlichkeit im alten Stil, wo immer es möglich ist.«
»Und das ist alles? Sie wollen auf alles verzichten, was man früher von einem guten Hotel zu erwarten pflegte? Sie wollen leugnen, daß ein guter Hotelier jedem Haus seinen persönlichen Stempel aufdrücken kann?« Der Besitzer des St. Gregory schnaubte verächtlich. »Ein Besucher Ihrer Sorte Hotel hat nicht das Gefühl, dazu zu gehören, eine wichtige Persönlichkeit zu sein, der man ein bißchen mehr gibt - an Wärme und Gastlichkeit -, als die Rechnung später aufzeigt.«
»Das ist eine Illusion, die er nicht braucht«, sagte O'Keefe bissig. »Ein Hotel gewährt Gastlichkeit, weil es dafür bezahlt wird, das ist alles. Heute durchschauen die Leute Unaufrichtigkeit und Gefühlsduselei. Aber sie respektieren Fairness - einen fairen Profit für das Hotel; einen fairen Preis für den Gast, und genau das gebe ich ihnen. Oh, ich leugne durchaus nicht, daß es stets ein paar Tusculums für solche Gäste geben wird, die auf individuelle Bedienung Wert legen und bereit sind, sich das was kosten zu lassen. Aber dabei handelt es sich um kleine Hotels für einige wenige Außenseiter. Große Häuser, wie Ihres, müssen sich - wenn sie die Konkurrenz, die ich ihnen mache, überleben wollen - zu meiner Anschauung bekehren.«
»Sie haben hoffentlich nichts dagegen, wenn ich noch eine Weile unbekehrt bleibe«, sagte Warren Trent trocken.
O'Keefe schüttelte ungeduldig den Kopf. »Es war nichts Persönliches in dem, was ich sagte. Ich sprach von der Entwicklung im allgemeinen.«
»Zum Teufel damit! Mein Instinkt sagt mir, daß sehr viele Menschen noch immer gern erster Klasse fahren und sich ein bißchen mehr davon versprechen als eine Box mit einem Bett drin.«
»Der Vergleich hinkt.« O'Keefe lächelte kühl. »Aber ich will ihn trotzdem anfechten. Außer für einige wenige ist die erste Klasse erledigt, tot.«
»Warum?«
»Weil der Düsenverkehr den Erster-Klasse-Reisen und zugleich damit einer bestimmten Geisteshaltung den Garaus gemacht hat. Davor war die erste Klasse von einer Aura der Vornehmheit umgeben. Aber der Düsenverkehr hat den Leuten bewiesen, wie albern und verschwenderisch die alten Einrichtungen gewesen waren. Die Flugverbindungen wurden immer besser und schneller, so daß sich die erste Klasse einfach nicht mehr lohnte. Folglich zwängten sich die Leute in die Touristenklasse und hörten auf, sich über Rangunterschiede den Kopf zu zerbrechen - der Preis war zu hoch. Ziemlich bald wurde die Touristenklasse sogar ausgesprochen gesellschaftsfähig. Die feinsten Leute benutzten sie und erzählten einander über ihren Lunchkartons, die erste Klasse wäre nur noch etwas für Narren und Verschwender. Die Leute wissen ganz genau, was ihnen der Düsenverkehr liefert, nämlich ein leistungsfähiges, wirtschaftliches Programm. Und das gleiche fordern sie auch vom Hotelgeschäft.«
Dodo suchte vergebens ein Gähnen hinter der Hand zu verbergen und drückte dann ihre Zigarette aus. Sofort stand Aloysius Royce neben ihr, bot ihr eine neue an und reichte ihr ein brennendes Streichholz. Sie lächelte warm, und der junge Neger lächelte zurück; es war ein Lächeln, das diskret sein Mitgefühl zum Ausdruck brachte. Gewandt und unauffällig ersetzte er die gebrauchten Aschenbecher auf dem Tisch durch neue, schenkte Dodo und danach den beiden Männern Kaffee nach und schlüpfte leise hinaus. »Sie haben da einen guten Mann, Warren«, bemerkte O'Keefe.