»Sind Hotelangestellte jemals loyal? Würden denn nicht alle oder fast alle Sie noch in diesem Moment verkaufen, wenn sie sich einen Vorteil davon versprächen?«
»Aber nein, ausgeschlossen. Ich leite dieses Haus seit über dreißig Jahren, und ein solcher Zeitraum schafft ein enges Loyalitätsverhältnis. Aber vielleicht haben Sie in dieser Richtung nicht so viele Erfahrungen gesammelt wie ich.«
»Ich habe mir darüber meine eigene Meinung gebildet«, sagte O'Keefe geistesabwesend. Er ging in Gedanken den Bericht von Odgen Bailey und Sean Hall durch, den er am Vormittag gelesen hatte. Zwar hatte er Hall ermahnt, sich nicht zu sehr in Einzelheiten zu verlieren, aber nun kam ihm ein Detail, das in dem Gutachten angeführt war, zustatten. Er dachte angestrengt nach und sagte schließlich: »Sie haben doch einen alten Angestellten, der die Pontalba-Bar verwaltet, nicht wahr?«
»Ja. Tom Earlshore. Er ist beinahe genauso lange im Hotel wie ich.« In gewissem Sinne verkörperte Tom Earlshore den Typ des alten Angestellten, den er nicht im Stich lassen konnte. Als er Earlshore engagierte, waren sie beide junge Männer, und heute gehörte der ältliche Barkeeper, obwohl er mit den Jahren krumm und bei der Arbeit langsamer geworden war, zu den Angestellten, die Warren Trent als persönliche Freunde betrachtete. Und wie einem Freund hatte er Tom Earlshore geholfen. Als Toms jüngste Tochter mit einer deformierten Hüfte geboren wurde, sorgte Warren Trent dafür, daß sie in die Mayo-Klinik geschickt und operiert wurde. Danach bezahlte er stillschweigend die Rechnungen, was Tom Earlshore zu Beteuerungen ewiger Dankbarkeit und Treue veranlaßte. Earlshores Jüngste war nun eine verheiratete Frau mit eigenen Kindern, aber das Band zwischen ihrem Vater und dem Hotelbesitzer bestand unverändert weiter. »Wenn es einen Menschen gibt, dem ich blind vertraue«, sagte er zu Curtis O'Keefe, »dann ist es Tom.«
»Sie wären ein Narr, wenn Sie das täten«, antwortete O'Keefe beißend. Ich weiß positiv, daß er Sie bis zum Weißbluten betrügt.«
Als Trent entsetzt schwieg, begann O'Keefe auszupacken. Es gab unendlich viele Möglichkeiten für einen unredlichen Barkeeper, seinen Arbeitgeber zu bestehlen - indem er schlecht ausschenkte und bei jeder Flasche ein bis zwei Drinks gutmachte; indem er nicht jede Bestellung über die Registrierkasse laufen ließ; indem er seine eigenen, unter der Hand gekauften Vorräte in die Bar einschmuggelte, so daß eine Bestandsaufnahme zwar kein Defizit aufweisen würde, die Einnahmen jedoch - mit erheblichem Profit - in die Tasche des Bartenders wanderten. Tom Earlshore schien sich aller drei Methoden bedient zu haben. Außerdem hatten Sean Halls Beobachtungen, die sich über mehrere Wochen erstreckten, ergeben, daß Earlshores zwei Gehilfen mit ihm unter einer Decke steckten. »Ein hoher Prozentsatz Ihrer Gewinne aus der Bar wird abgeschöpft«, erklärte O'Keefe, »und nach allem, was ich sonst gehört habe, würde es mich nicht wundem, wenn das nicht schon eine ganze Weile so geht.«
Warren Trent hatte dem Bericht reglos, mit ausdrucksloser Miene gelauscht, obwohl er innerlich heftig bewegt und erbittert war. Trotz des Vertrauens, das er Tom Earlshore entgegengebracht, und ihrer langjährigen Freundschaft, an die er geglaubt hatte, bezweifelte er nicht im mindesten, daß O'Keefes Informationen der Wahrheit entsprachen. Er hatte zu viel von den Spionagetricks der großen Hotelkonzerne gehört, um nicht überzeugt zu sein, und außerdem hätte Curtis O'Keefe die Anschuldigung ohne ausreichende Beweise wohl kaum geäußert. Warren Trent argwöhnte seit langem, daß sich O'Keefes Spitzel vor der Ankunft ihres Chefs ins St. Gregory eingeschlichen hatten. Mit dieser ätzenden persönlichen Demütigung hatte er allerdings nicht gerechnet. »Sie sagten, nach allem, was Sie sonst gehört haben... was meinten Sie damit?«
»Ich möchte damit sagen, daß Ihr angeblich so loyales Personal bis in die Knochen korrumpiert ist. Es gibt kaum eine Abteilung, in der man Sie nicht ausbeutet und betrügt. Meine Informationen sind natürlich lückenhaft, aber was ich an Material habe, überlasse ich Ihnen gern. Wenn Sie es wünschen, fordere ich einen detaillierten Bericht an.«
»Danke.« Die Antwort war ein kaum vernehmbares Flüstern.
»Die Leute, die für Sie arbeiten, sind zu fett. Das war das erste, was mir bei der Ankunft auffiel. Ich habe das von jeher als Warnsignal betrachtet. Sie haben sich den Bauch mit gutem Hotelessen vollgestopft. Außerdem plündert man Sie aus, was das Zeug hält.«
Die Stille in dem kleinen Speisezimmer wurde nur vom gedämpften Ticken einer holländischen Wanduhr unterbrochen. Nach einer Weile sagte Warren Trent mühsam und mit einem Anflug von Müdigkeit: »Was Sie mir eben mitgeteilt haben, dürfte meine Einstellung ändern.«
»Das dachte ich mir.« Curtis O'Keefe machte Anstalten, sich die Hände zu reiben, besann sich aber gerade noch rechtzeitig. »Nun, da wir diesen Punkt erreicht haben, wäre es mir lieb, wenn Sie mein Angebot in Erwägung ziehen würden.«
Warren Trent erwiderte trocken: »Mir hat geschwant, daß das kommen würde.«
»Es ist ein faires Angebot, besonders unter den gegenwärtigen Umständen. Vielleicht sollte ich noch erwähnen, daß ich über Ihre derzeitige finanzielle Lage im Bilde bin.«
»Das überrascht mich nicht.«
»Lassen Sie mich kurz zusammenfassen: Ihr persönlicher Anteil an diesem Hotel beträgt einundfünfzig Prozent des Aktienkapitals; damit haben Sie die Kontrolle.«
»Richtig.«
»Im Jahre 1939 haben Sie das Hotel neu finanziert - mit einer Hypothek von vier Millionen Dollar. Davon sind zwei Millionen noch nicht beglichen und am Freitag fällig. Falls Sie nicht zahlen, übernehmen die Gläubiger das Hotel.«
»Stimmt auch«
»Vor vier Monaten versuchten Sie die Hypothek zu erneuern. Man wies Sie ab. Sie boten den Gläubigern bessere Bedingungen, aber auch darauf gingen sie nicht ein. Seitdem sind Sie auf der Suche nach anderen Geldgebern. Erfolglos. Und in den paar Tagen, die Ihnen noch bleiben, haben Sie nicht die mindeste Chance, noch jemanden aufzutreiben.«
»Das kann ich nicht akzeptieren«, knurrte Warren Trent. »Derartige Transaktionen werden häufig kurzfristig arrangiert.«
»Nein, eben nicht. Und ganz besonders dann nicht, wenn die Verluste so hoch sind wie bei Ihnen.«
Warren Trent kniff die Lippen zusammen, sagte jedoch nichts.
»Ich erbiete mich, Ihnen das Hotel für vier Millionen Dollar abzukaufen«, erklärte O'Keefe. »Zwei Millionen werden erzielt durch Erneuerung der Hypothek, und ich brauche Ihnen wohl nicht erst zu versichern, daß es mir ein leichtes sein wird, das in die Wege zu leiten.«
Trent nickte, die unverhohlene Selbstzufriedenheit des anderen verdrießlich zur Kenntnis nehmend.
»Die Restsumme setzt sich zusammen aus einer Million Dollar in bar, die es Ihnen ermöglicht, Ihre kleinen Aktionäre auszuzahlen, und einer Million Dollar in Aktien des O'Keefe-Konzerns - eine Neuauflage, die noch geregelt werden muß. Außerdem behalten Sie, als zusätzliche persönliche Entschädigung, das Nutzungsrecht über Ihre Wohnung, mit der ausdrücklichen Versicherung meinerseits, daß - sollten sich Umbauten nicht vermeiden lassen - eine andere, alle Teile befriedigende Lösung gefunden wird.«
Der Besitzer des St. Gregory saß reglos da; sein Gesicht verriet weder seine Gedanken noch seine Überraschung. Die Bedingungen waren besser, als er erwartet hatte. Falls er sie akzeptierte, blieb ihm persönlich etwa eine Million Dollar -keine kleine Errungenschaft; damit konnte man sich nach einem arbeitsamen Leben guten Gewissens zur Ruhe setzen. Aber sich zur Ruhe setzen bedeutete wegzugehen, alles zu verlassen, was er aufgebaut und geliebt hatte oder - dachte er grimmig - was er zum mindesten bis vor ein oder zwei Minuten zu lieben glaubte.
»Ich könnte mir vorstellen«, meinte O'Keefe, der sich bemüßigt fühlte, einen heiteren Ton anzuschlagen, »daß Ihr Leben hier in der gewohnten Umgebung recht erträglich sein dürfte. Sie hätten keine Sorgen, Ihr Diener würde Sie betreuen wie bisher.«