Eine Pause, und dann waren sie plötzlich nicht mehr nahe beieinander.
»Es gibt manchmal Dinge, an die man sich erinnert, und die im unpassendsten Moment mit einmal auftauchen«, sagte Peter und nahm sie wieder in die Arme, aber weniger stürmisch als eben. »Du hattest ganz recht«, sagte er sanft. »Wir haben ja Zeit.«
Er küßte sie sanft, und dann entfernten sich seine Schritte. Christine hörte, wie sich die Wohnungstür öffnete und einen Moment später schloß.
Sie machte die Augen auf und flüsterte: »Peter, Liebster, du brauchst nicht zu gehen. Bitte, geh nicht!«
Aber um sie war Stille; nur das gedämpfte Surren des Lifts drang von draußen herein.
15
Der Dienstag war fast vorüber. Es war einige Minuten vor Mitternacht.
In einem Striptease-Lokal in der Bourbon Street preßte sich eine breithüftige Blondine dichter an ihren Partner; ihre eine Hand lag auf seinem Oberschenkel, mit der anderen tätschelte sie ihm den Nacken. »Klar«, sagte sie. »Klar möchte ich gern mit dir ins Bett gehen, Süßer.«
Er wär' Stan Dingsbums, hatte er gesagt, aus einem Kaff in Iowa, von dem sie noch nie etwas gehört hatte. Und wenn er mir nochmal seinen Atem ins Gesicht pustet, dachte sie, dann muß ich kotzen. Der riecht nicht aus dem Mund; der hat eine direkte Leitung zur Senkgrube.
»Worauf warten wir dann noch?« lallte der Mann mit dicker Stimme. Er nahm ihre Hand und schob sie an der Innenseite seines Schenkels höher. »Ich hab' hier was Besonderes für dich, Baby.«
Die Kerle waren alle gleich, dachte sie verächtlich, Bauerntölpel, die das Maul aufrissen und sich einbildeten, das Ding zwischen ihren Beinen wäre was Außergewöhnliches, etwas, worauf Frauen ganz versessen waren. Sie taten immer so blödsinnig stolz damit, als hätten sie es selbst gezüchtet wie eine preisgekrönte Gurke. Falls man es aber wirklich auf einen Versuch ankommen ließ, dann hatte der Bursche hier höchstwahrscheinlich nichts im Spind und würde nur winseln wie die anderen. Aber sie dachte gar nicht daran, ihn auf die Probe zu stellen. Mein Gott - wie der Kerl aus dem Mund stank.
Einige Meter von ihrem Tisch entfernt beendete die Jazz Combo, die zu dilettantisch war, um in den besseren BourbonStreet-Lokalen wie »Famous Door« und »Paddock« Arbeit zu finden, ihre Nummer mit einem holprigen Schlußakkord. Als Tänzerin - falls man ihr unbeholfenes Gehopse als Tanz bezeichnen konnte - hatte sich eine Jane Mansfield produziert. (Es gehörte zu den Geschäftstricks der Bourbon Street, die Namen berühmter Stars mit unerheblichen Schreibfehlern zu versehen und unbekannte Künstlerinnen mit ihnen zu schmücken, in der Hoffnung, Passanten könnten die falsche Ware für die echte halten.)
»Hör mal«, sagte der Mann aus Iowa ungeduldig, »warum hauen wir nicht endlich ab?«
»Ich hab's dir doch schon erklärt, Schatz. Ich arbeite hier. Ich kann noch nicht gehen. Ich hab' noch einen Auftritt.«
»Scheiß auf deinen Auftritt!«
»Also, Süßer, das ist aber nicht nett.« Als sei ihr plötzlich eine Erleuchtung gekommen, fragte die breithüftige Blondine: »In welchem Hotel wohnst du?«
»Im St. Gregory.«
»Das ist nicht weit von hier.«
»Stimmt. Kannst in fünf Minuten deine Schlüpfer runter haben.«
Sie sagte vorwurfsvolclass="underline" »Krieg' ich nicht vorher wenigstens noch einen Drink?«
»Aber sicher! Los, gehen wir.«
»Wart' mal, Stanley, Liebling! Ich hab' eine Idee.«
Alles lief glatt, dachte sie, wie in einem gutgezimmerten Einakter. Und warum auch nicht? Sie hatte die Vorstellung schon an die tausendmal durchexerziert. Seit anderthalb Stunden war Stan Dingsbums aus Dingsda ein williges Opfer der abgenutzten alten Routine: der erste Drink - eine Art Versuchsballon, der ihn viermal soviel kostete wie in einer soliden Bar. Dann hatte der Kellner sie herübergelotst, damit der Gast Gesellschaft hatte. Man hatte ihnen einen Drink nach dem anderen serviert. Allerdings hatte sie, wie die anderen Mädchen, die auf Kommission arbeiteten, kalten Tee getrunken statt des billigen Whiskys, den die Kunden vorgesetzt bekamen. Später hatte sie dem Kellner einen Wink gegeben, mit der vollen Behandlung zu beginnen - das war eine Flasche gespritzter einheimischer Champagner, die, obwohl der Dummkopf Stanley das noch nicht wußte, vierzig Dollar kosten würde - und er sollte nur mal versuchen, sich vor dem Zahlen zu drücken!
Nun brauchte sie ihn bloß noch los zu werden, und vielleicht sprang dabei, wenn sie die Sache richtig anfing, noch ein kleiner Nebenverdienst für sie heraus. Schließlich stand ihr eine Art Bonus dafür zu, daß sie seinen stinkenden Atem so lange ertragen hatte.
»Was für eine Idee, Baby?« fragte er.
»Laß mir deinen Zimmerschlü ssel da. Du kannst dir im Hotel einen anderen geben lassen; sie haben immer welche in Reserve«. Sie knetete seinen Oberschenkel. »Sobald ich hier fertig bin, komm' ich nach. Sorg nur dafür, daß ich nicht umsonst komme.«
»Keine Bange.«
»Okay. Gib mir den Schlüssel.«
Er holte ihn hervor, gab ihn aber nicht her.
»He«, sagte er zweifelnd, »legst du mich auch bestimmt nicht herein... «
»Aber nein, Süßer, ich werde fliegen, das verspreche ich dir.« Ihre Hand drückte wieder zu. Das widerliche Ferkel würde sich vermutlich in einer Minute die Hosen naß machen. »Schließlich, Stan, welches Mädel wäre nicht wild drauf?«
Er lieferte ihr den Schlüssel aus.
Bevor er es sich anders überlegte, hatte sie den Tisch verlassen. Den Rest konnte der Kellner erledigen, mit Hilfe eines Muskelmannes, falls Schlechter-Mundgeruch wegen der hohen Rechnung Schwierigkeiten machte. Aber er würde vermutlich wie ein Lamm bezahlen und nicht wiederkommen.
Solche wie er kamen nie wieder.
Sie fragte sich, wie lange er in seinem Hotelzimmer wach liegen und auf sie warten, und wann er endlich begreifen würde, daß er vergebens hoffte, daß er sie nie wiedersehen würde, selbst wenn er für den Rest seines nutzlosen Lebens dort bliebe.
Etwa zwei Stunden später, am Ende eines Tages, der genauso trübselig verlaufen war wie die meisten anderen - nur daß er ihr ein bißchen mehr eingebracht hatte, und das war immerhin ein Trost -, verkaufte die breithüftige Blondine den Schlüssel für zehn Dollar an Keycase Milne.
MITTWOCH
1
Als ein neuer Morgen über New Orleans heraufdämmerte und den Himmel mit den ersten grauen Streifen sprenkelte, saß Keycase - erfrischt, wach und einsatzbereit - auf dem Bett in seinem Zimmer im St. Gregory.
Er hatte den Nachmittag des vergangenen Tages bis zum Abend fest durchgeschlafen. Dann hatte er vom Hotel aus einen kleinen Streifzug unternommen, von dem er gegen zwei Uhr nachts zurückgekehrt war. Danach hatte er wieder anderthalb Stunden geruht und sich pünktlich zur vorgesehenen Zeit erhoben. Er hatte sich rasiert, warm geduscht und schließlich den Hahn der Brause kalt aufgedreht. Unter dem eisigen Wasserstrahl prickelte seine Haut und begann zu glühen, als er sich kräftig abfrottierte.
Vor jedem professionellen Ausflug gehörte es zu seinem Ritual, frische Unterwäsche und ein reines gestärktes Oberhemd anzuziehen. Die angenehme Kühle der Wäsche vervollständigte gewissermaßen das Gefühl äußerster Anspannung, das wie eine Batterie seine Kraft speiste. Wenn ihn dennoch sekundenlang Zweifel beschlich, ein Anflug lähmender Angst beim Gedanken an die fünfzehn Jahre Gefängnis, die ihm bei der nächsten Verhaftung sicher waren -, dann verbannte er ihn energisch.
Der Gedanke, wie glatt die Vorbereitungen abgelaufen waren, verschaffte ihm mehr Befriedigung.
Seit seiner Ankunft hatte sich die Zahl der Schlüssel von drei auf fünf erhöht.
Einen davon hatte er am Abend zuvor auf die denkbar einfachste Art und Weise ergattert, indem er beim Empfang darum bat. Seine eigene Zimmernummer war 830. Er hatte den Schlüssel von 803 verlangt.